Kapitel 2

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<< You know we're gonna be legends. >>

Als Freya am nächsten Morgen durch die kalten Gänge des Schlosses lief und schon langsam begann zu frieren, dachte sie an das kommende Gespräch mit ihrem Vater. Der König nahm zu dieser Zeit immer sein Frühstück in dem kleinen Saal neben seinem Arbeitsraum ein. Sie war heute extra früher aufgestanden und hatte ihre Zofe ermahnt, sich mit ihrem Ankleiden zu beeilen. Sie musste unbedingt jetzt mit ihm sprechen. Denn morgens war er noch nicht erschöpft von langen Gesprächen und Diskussionen mit seinem Hofstab. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, deshalb zögerte sie auch nicht lange und öffnete die schwere Holztüre ohne zu klopfen.

Ihr Vater, der König saß an einem großen runden Tisch, in der einen Hand ein Stück Brot, in der anderen mehrere Papiere. Er sah auf, etwas verwirrt, denn eigentlich wagte es niemand ihn beim Frühstück zu stören. Innerlich stöhnte er auf, als er seine Tochter vor sich sah. Sie konnte auch noch nicht lange wach sein, denn sie sah komplett verschlafen aus. Und etwas zu Speisen hatte sie bestimmt noch nicht gehabt. Der König ließ sein Brot wieder auf den weißen Teller mit den bunten Mustern fallen. Dann schnipste er mit den Fingern und ein Diener trat aus dem Schatten heraus.

Freya setzte sich neben ihren Vater und wartete geduldig, bis der Bedienstete in grüner Uniform vor ihr gedeckt hatte. Dann konnte sie sich nicht länger zurückhalten und griff nach der Gabel, die galant neben einer Schale voll Früchten lag. Herbstfrüchte. Sie liebte die bunte Vielfalt und häufte sich beinahe alle auf den Teller. Der König musste schmunzeln. Freya hatte Früchte schon als kleines Kind geliebt und war immer glücklich gewesen, wenn sie im Garten auf die Bäume klettern konnte. Und sie nahm sich immer so viel sie wollte. Wenn ihr ganzer Teller bereits wieder leer war, dann würde ihr erst einfallen, dass andere vielleicht auch gerne etwas gekostet hätten. Freya liebte Essen.

Nachdem sie einige Bissen genommen hatte und genüsslich feststellen musste, dass die Ernte mit jedem Jahr noch besser schmeckte, legte sie die Serviette sorgfältig auf ihren Schoss und sah dann ihren Vater an. Dieser erwiderte den Blick und manchmal musste er sich daran erinnern, dass vor ihm nicht seine verstorbene Frau saß, sondern seine Tochter. Die die gleichen langen fast schwarzen Haare ihrer Mutter vererbt bekommen hatte und auch die strahlend grünen Augen. „Was hast du vor in Bezug auf die Toten?", kam die umständlich formulierte Frage bei ihm an.

König Emric verging das Schmunzeln, als er daran dachte, wie schwierig und kräftezehrend die Diskussion gestern gewesen war. Fast alle Generäle waren schon beinahe zu ängstlich gewesen, um eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Vielleicht hätte seine Tochter gestern teilnehmen sollen, denn sie blieb beinahe immer ruhig und gefasst. Mit ihr konnte man reden und argumentieren und sie bekam nicht plötzlich einen Gefühlsausbruch. Eine weitere Sache, die sie von ihrer Mutter hatte.

„Ich weiß es nicht", gab er von sich, schon wieder erschöpft, wenn er daran dachte, dass er heute wieder vor allen seinen Standpunkt markieren musste. Er wusste, dass Freya nicht sonderlich glücklich über diese Antwort war. Sie war immer darum bemüht, das Beste für ihr zukünftiges Volk zu bekommen. Sie kämpfte dafür, legte sich mit den ältesten Mitgliedern seines Rates an und schreckte vor keiner Drohung oder Beleidigung zurück. In diesem Punkt war sie die geborene Anführerin.

„Vater, du musst eine Entscheidung treffen." Freya sah ihren Vater an, bemühte sich um eine aufrechte Sitzposition und versuchte wirklich, ihn mit Blicken einzuschüchtern. „Es sind bereits sieben Menschen tot", ihre Hände begannen leicht zu zittern, „So kann es nicht weitergehen." Die Prinzessin wusste nicht, warum sich ihr Vater so schwer mit einer Lösung tat. Sonst probierte er gerne einfach etwas aus, erkannte dann zwar meistens immer zu spät, dass eine andere Alternative besser gewesen wäre, aber immerhin tat er etwas. Jetzt hielt er sich zurück und tat nichts.

Als die erste Nachricht über den Tod einer aufgefundenen jungen Frau gekommen war, glaubten alle noch an einen Zufall. Es gab viele wilde Tiere in den Wäldern, manche aggressiver, andere weniger. Kindern erklärte man heute noch, dass sie sich bei Dunkelheit von dem Wald und seinen Bewohnern fernzuhalten hatten. Doch immer wieder passierten Unfälle. Manche schwerer als andere.

Als jedoch drei weitere Menschen gefunden worden waren, begannen allmählich verschiedene Gerüchte den Rundgang zu machen. Jeder glaubte etwas anderes. Aber alle waren sich sicher, dass es kein Zufall mehr sein konnte. Vier Tote in nur einer Woche. Und es starben weitere. Manche waren sogar noch am Leben als man sie zurück in die Stadt brachte, jedoch schon fast bis zur Unkenntlichkeit verletzt. Sie starben immer wenige Stunden nach dem Auffinden. Es war allen ein Rätsel, zu dem sie die Antwort nicht kannten. Doch eins wussten sie: Der König würde sie beschützen, sie verteidigen und dafür sorgen, dass sie keine Angst mehr haben brauchten.

Besagter König stöhnte frustriert auf und durchbohrte seine Tochter mit Blicken. „Ich weiß, Freya. Ich versuche jeden Tag mein Bestes. Aber wenn jeder meiner Männer einer anderen Meinung ist, dann dauert es eben bis man eine Entscheidung fällen kann." Das war ein weiterer Punkt, der Freya enorm gegen den Strich ging. Wenn der König zu einer Beratung rief, dann kamen fast immer alle: Grafen, Fürsten und Herzoge. Doch es kamen immer nur die Männer. Sie wollten Teil einer Entscheidung sein. Wollten zu Hause erzählen können, dass sie dabei waren, wenn der König Bestimmungen verkündete. Die Ehefrauen und Mätressen wurden jedoch zu Hause gelassen, um sich um die Kinder oder das Anwesen zu kümmern. Freya hatte noch nie eine einzige Frau aus dem großen Saal kommen sehen, in dem es manchmal schlimmer zuging als auf einem Schlachtfeld. Wenn sie Königin war, dann würde ein neues Zeitalter beginnen. Frauen an der Macht würden einen Richtungswechsel einleiten auf den sich Freya bereits heute freute.

„Dann lass mich mit ihnen reden. Ich werde versuchen, sie alle zu überzeugen." Freya sah sich in der Pflicht, für ihr Volk und alle Frauen aufzustehen und den ganzen Männern die alle mehr Greis als schon alt waren, die Meinung sagen. Warum halfen diese Menschen bei einer Entscheidung, die das ganze Reich betraf? Sie würden alle nicht mehr lange genug leben, um die Auswirkungen ihrer Entscheidungen erleben zu können. Und trotzdem, niemand hielt sie auf.

„Mein Kind", stöhnte der König auf, jetzt mehr als frustriert, „Dir werden sie noch weniger zuhören als mir." Da hatte er Recht. Denn nichts sahen die alten mächtigen Männer des Landes weniger gern, als eine junge Frau, die versuchte, die existenten Regeln und Abmachungen zu reformieren. Genau das machte Freya wütend. So wütend, dass sie ihre Hände in dem zarten Kleid verkrampfen musste. Sie war sich sicher, dass ihr Vater auch meistens gegen seinen Hofstab war, aber er konnte es sich nicht mit allen vergraulen, denn sonst hätte er noch ein Problem.

„Ich möchte doch nur, dass die Menschen in der Stadt wieder beruhigt sind. Sie machen sich Sorgen." Freya legte so viel Gefühl in ihre Stimme wie nur möglich. Sie hatte früh erkannt, dass sie das oft ans Ziel brachte. Wenn sie eine weitere Portion Nachtisch wollte. Wenn sie eine Rede nicht halten wollte. Doch ihr Vater kannte sie. Und fiel leider nicht mehr darauf herein. „Ich weiß. Und glaube mir, ich bemühe mich", sagte er sanft und griff nach seinem Glas. Der Prinzessin war das aber nicht genug: „Hast du denn wenigstens schon eine Idee, wie man dieses Problem lösen könnte?"

„Nun", antwortete er langsam, „Wir wissen wohl alle schon, wer verantwortlich für diese Angriffe war." Freya nickte. Natürlich wusste sie es. Die Option mit den wilden, angriffslustigen Tieren war nur die nächstbeste Lösung gewesen, welche den Menschen etwas Sicherheit geben sollte. Aber es war nicht die Wahrheit. Sie kannte die Wahrheit. Ihr Vater auch. Und die Menschen wussten es mittlerweile bestimmt ebenfalls, auch wenn es niemand aussprach.

„Ich werde sie einladen." Jetzt wurde Freya hellhörig. „Alle von ihnen." Die Prinzessin konnte es nicht glauben. Was sagte er da? „Und dann werde ich mit ihnen verhandeln. Und ich werde erst zufrieden sein, wenn sie mir versprechen, keine Menschen mehr anzurühren." Freya konnte ihren eigenen Herzschlag spüren, denn von der einen Sekunde auf die andere war ihr nicht mehr wohl zumute.

Ihr Vater wollte verhandeln. Mit den gefährlichsten Wesen der Nacht, mit denen sie sich leider nicht nur die Luft zum atmen teilen mussten. Sondern auch das Land. Denn das Dunkle Reich grenzte nahtlos an das Menschenreich. Bis jetzt hatte es nie so ein großes Problem gegeben. Sonst stellten sich die Verletzungen an Menschen, die im Wald arbeiteten, schnell wieder ein. Such das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Aber dieses Mal war es anders: Sie töteten Menschen. Bewusst.

Freya ließ die angestaute Luft aus ihren Lungen fließen. Verhandeln. Mit den Wesen der Nacht. Vampiren. Werwölfen. Dämonen. Drachen. Hexen. Elfen. Feen.

Und mittendrin sie. Ein Mensch.

The Dark CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt