Kapitel 37

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Freya sah nicht einmal zurück als sie ihr Pferd anspornte, schneller zu rennen. Sie musste hier weg. Sofort. Und obwohl es nicht schneite, hatten ihr sämtliche Bedienstete trotzdem empfohlen, die sicheren Mauern des Schlosses nicht zu verlassen. Sie konnte ihnen nicht sagen, dass sie sich hier gerade gar nicht mehr sicher fühlte. Ihr Vater, der König von Evendor hatte ihr vor nicht mal einer Stunde eine sehr finstere Zukunft versprochen und wenn sie sich jetzt nicht abreagierte, dann würde sie ausrasten. Und das musste wirklich niemand sehen. Erst hatte sie mit dem Gedanken gespielt, Gennady zu fragen, ob er mitkam. Vielleicht hätte auch Evette zugestimmt. Aber sie wusste, dass sie das alleine durchstehen musste. Und sie wollte die beiden nicht in ihr Chaos mitreinziehen. Vela hatte ruhig im Stall gestanden und hatte sich nicht gewehrt, als man sie nach draußen in die Kälte gezogen hatte. Freya war sich nicht sicher, aber scheinbar schien ihr Pferd zu verstehen, dass sie schnell wegmusste. Denn sie galoppierte bald so geschwind, dass sich ihre Reitern wirklich festhalten musste.

Im Wald gleich hinter dem Schloss hatte der zertrampelte Schnee für viele, nicht erkennbare Eisplatten gesorgt und Freya verlangsamte das Tempo ihrer Stute. Sie konnte das frühzeitige Ende ihres Ausflugs wirklich nicht riskieren. Immer wieder dachte sie an das Gespräch mit ihrem Vater. Sie bereute kein Wort, welches sie zu ihm gesagt hatte und war sich deshalb sicher, alles richtig gemacht zu haben. Eigentlich wollte sie ihrem Vater alles erzählen. Er war nach dem Tod ihrer Mutter die einzige Familie gewesen und sie hatten sich vertraut. Immer. Doch seitdem sie gesehen hatte wie er sich geändert und was er dadurch angerichtet hatte... Sie wusste instinktiv, sie konnte ihm die Wahrheiten, die sie in sich verbarg, nicht anvertrauen. Und allmählich war sie müde. Sie war müde, wenn sie sah, was ihr Vater alles tat – oder nicht tat – und sie hatte wirklich Angst, dass er dieses Land zerstörte. Evendor war schon lange nicht mehr im Krieg gewesen. Andere Inseln hatten zwar immer wieder versucht, das Land einzunehmen. Doch die Präsenz von Wesen, von dunklen gefährlichen Wesen, hatte als Abschreckung gereicht. Und aus diesem Grund war sich Freya auch sicher, dass sich die anderen Königreiche nicht in einen Krieg zwischen Wesen und Evendor einmischen würden. Sie wären auf sich alleine gestellt. Verstand ihr Vater, wie tief sie bereits in der Scheiße steckten?

Der Wald endete abrupt und gab den Blick auf Kestramore frei. Aus allen Schornsteinen qualmte der holzig riechende Rauch und trieb gen Norden. Vela trottete auf die offenen Stadttore zu und schnaubte kurz auf. Viele Leute waren nicht unterwegs, bis sie das erste Haus erreicht hatte, kam ihr niemand entgegen. So war es vielleicht auch besser. Freya war sich nicht sicher, wie viel die Stadtbewohner von dem Treiben im Schloss wussten und konnte sich nicht mal sicher sein, dass sie einen Groll gegen sie hegten. Je weiter sie in das Zentrum kam, desto mehr Menschen sah sie und desto lauter wurden die Glocken der Kirche. Bald schien ein Götterdienst stattzufinden. Kurz zögerte sie, aber sie brauchte Ablenkung und vielleicht könnte ein Gebet zu den Göttern helfen. Sie führte Vela zu einem der Unterstände und band sie zwischen zwei großen schwarzen Pferden an, versprach ihr aber, sie nicht lange im kalten Winter stehen zu lassen. Dann steuerte sie die Kirche an.

Sie war ein Kind gewesen als ihre Mutter starb. Sie erinnerte sich dunkel an die Beerdigung in dieser Kirche. Es war schrecklich gewesen und nach der Hälfte hatte Rohana sie auf den Arm nehmen müssen und schließlich mussten sie das Götterhaus ganz verlassen, denn erst da hatte Freya wirklich verstanden, um wen da gerade getrauert wurde. Und das war zu viel gewesen. Seit diesem Tag hatte sie keinen Fuß mehr in das große weiße Haus setzen können. Bei Beerdigungen war sie immer erst auf dem Friedhof zu den Trauernden gestoßen und hatte sich dort dem Volk gezeigt. Doch jetzt war sie erwachsen und hatte sich schon so vielen Gefahren und Ängsten gestellt, da konnte sie auch wieder in die Kirche gehen. Vielleicht half es.

The Dark CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt