Kapitel 31

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<< And in the end, we were all just humans...drunk on the
idea that love, only love, could heal our brokenness. >>
- F. Scott Fitzgerald

Lilura sah auf den Menschen vor sich hinunter und konnte wieder einmal erkennen, dass sie wirklich schwach und so schutzlos waren. Sie hätte mit nur einer Bewegung der Prinzessin das Licht aus den Augen nehmen können. Sie hätte sich nicht wehren können. Hätte nicht schreien können. Sie wäre tot gewesen bevor überhaupt nur ein Wort ihre Lippen verlassen hätte. In diesem Moment musste sie sich eingestehen, dass die Idee ihres Gemahls gar nicht so schlecht gewesen wäre. Sie hätten die Gedanken aller Menschen einfach so verändern können, sie sich so zurechtbiegen können, dass sie niemals wieder eine ernsthafte Gefahr darstellten. Aber das konnten sie nicht. Reaghan hatte sie angesehen, den Kopf geschüttelt und Lilura kannte seine Gründe. Dafür hatte sie nicht in seine Gedanken schauen müssen. Deshalb stand sie jetzt hier.

Eigentlich war sie mehr als wütend, denn ein Mensch hatte es geschafft sie zu verletzen. Sie hatte einen Moment nicht aufgepasst und schon war es passiert. Dieser Mann hatte sich nicht entschuldigt, hatte auch keine Entschuldigung schicken lassen. Sein Ansehen war in den letzten Tagen in ihren Augen verschwunden. Sie hatte von Anfang an die Wut im Gesicht ihres Sohnes auf diesen Mann gesehen. Sie wollte aber ganz neutral an die Verhandlungen herangehen. Sie hatte das Ende der Nacht vorausgesehen. Und sie war sich immer noch sicher: Wäre sie nicht auf den König zugegangen und hätte nicht versucht ihn zu beruhigen, dann wären jetzt keine Gespräche mehr nötig. Auch wenn es nicht funktioniert hatte. Stattdessen hatte er ihr sein Schwert zwischen die Rippen gestoßen. Zurück in ihren Räumen hatte Reaghan geflucht, dem König sämtliche Flüche an den Kopf geworfen und war am Ende sogar sauer auf den Heiler gewesen, der seiner Meinung nach nicht schnell genug mit der Verarztung der Wunde vorankam.

Und schließlich war er sauer auf seinen Sohn gewesen. Der ewige Störenfried, der sich nicht dazwischenreden ließ und immer seinen Plänen folgte. Reaghan hatte ihn geschlagen. Frontal ins Gesicht und ihn dann auf sein Zimmer verbannt. Auch wenn Lilura es nicht gerne sah wenn sich ihre beiden Männer stritten, sie musste ihrem Partner zustimmen. Cathan hatte noch niemals so dumm einen Krieg provoziert. Er war blind gewesen, blind vor all dem Zorn und... und der Gefühle. Es stimmte. Cathan spürte vielleicht das erste Mal in seinem Leben etwas anderes als all die bösen Emotionen die sich sonst in ihm anstauten. Sie war zwar seine Mutter, aber er hatte es schon früh hinbekommen, seine Gefühle vor ihr zu verbergen. Mit gutem Grund. Gefühle machten schwach. Emotionen machten angreifbar. Das konnte sich niemand von ihnen leisten. Wie viele Jahre waren sie im Krieg gewesen. Gegen andere Wesen. Sie mussten ihr wahres Ich immer verstecken um sicher zu sein.

Doch hier und jetzt schien Cathan aufzutauen. Die Kämpfe waren alle schon lange vorbei und die Dunklen lebten alle friedlich hinter dem dichten Wald. Trotzdem war ihr Sohn kalt geblieben, hatte sich niemals gebunden und niemanden wirklich an sich herangelassen. Er hatte Befehle ignoriert und war schon immer seinem eigenen Willen gefolgt. Niemand konnte ihn kontrollieren. Aber auch das schien sich geändert zu haben. So schien es jedenfalls. Auf jeden Fall empfand Cathan etwas für die Prinzessin vor ihr. Lilura war sich nicht sicher, was es war. Freya war nicht ihr Vater. Sie wollte helfen und hatte versucht, Emric aufzuhalten. Sie wusste nicht so wirklich, warum Cathan sie davon abgehalten hatte. Vielleicht hatte er sie schützen wollen. Schützen vor dem Hass der Wesen, die jetzt im König nur noch einen Feind sahen.

Und sie war es auch gewesen, die ihn zum Stillstand gebracht hatte. Er hatte sich ergeben. Und als er es ihr und Reaghan erzählt hatte, hatte er die Worte benutzt, die auch schon sie ihm genannt hatte. Es würde ihm nichts zustoßen, es würde alles zuverlässig ablaufen. Reaghan konnte und wollte das nicht glauben, aber wie immer ließ Cathan sie nicht entscheiden. Er hatte sich ergeben und war jetzt gefangen im Kerker. In der ersten Nacht hatten ihr Gemahl und Priamos gemeinsam versucht, die beiden wieder rauszuholen, doch der König war schlauer als sie beide jemals gedacht hatten. Er hatte alles mit Holuseer bedeckt. Die Türen, die Treppen, sogar die Wände. Niemand konnte hinein oder hinaus. Und die Schreie der beiden hatten zwar nach einigen Stunden aufgehört, aber Lilura konnte sie immer noch in den Knochen spüren. Allerdings konnten sie nichts unternehmen. Die Gefahr, dass Emric ihrem Sohn und Aillard eine Überdosis verabreichte war zu groß. Sie konnten es alle nicht leiden, aber es war klar: Der König hatte einen sehr riskanten Schachzug gespielt und gewonnen. Die Wesen mussten sich seinem Willen beugen und vorerst ruhig bleiben. Irgendwann. Irgendwann würden sie sich wehren.

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