Nach über 16 Stunden Reisezeit stand Stephanie in einem Treppenhaus. Um nicht daran, zu denken, was sie dabei war zu tun, hatte sie jeden Moment seit ihrer Ankunft auf sich wirken lassen. Die geschwungenen Hallen des Flughafens von Toronto, das Aroma von Zimt und Verzweiflung, das jedes Starbucks-café dieser Welt durchwehte (es war eine der wenigen Konstanten des Lebens), den Kampf mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, bis Stephanie eingeknickt war und ein Taxi zu der Adresse auf ihrem post-it genommen hatte. Sicherlich wäre es auch angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit weiser gewesen, sich erst um eine Unterkunft zu bemühen, oder zumindest zu duschen, sich die Haare zu bürsten und generell dafür zu sorgen, dass man nicht aussah, als käme man aus einer geheimen Kolonie von Abwasserkanal-Siedlern, doch Stephanie konnte nicht länger warten.
Als sie die Treppen in den dritten Stock erklomm, fühlte sie sich wieder etwas sicherer. Sie nahm stets zwei Stufen auf Einmal und das Gefühl, ihre Beine gegen das Gewicht ihres Rucksacks zu stemmen hatte etwas Erhebendes. Am Absatz der Treppe fand sie sich zwei Türen gegenüber. Da an der einen ein Kranz aus vertrockneten Rosen hing und sie mit einem Vorleger versehen war, auf dem eine Katze abgebildet war, die sich putzte, entschied sie sich für die andere Tür. Erleichtert stelle sie fest, dass diese tatsächlich mit den richtigen Namen gekennzeichnet war.
Von drinnen konnte sie gedämpft eine Stimme wahrnehmen. „Okay also Freitag ist die Klausur. Am besten kriegst du also den Donnerstag und den Freitag für Last-Minute Notizen und spontane Post-Klausur-Unternehmungen." Statt einer Antwort war wenige Momente später wieder dieselbe Stimme zu vernehmen. „Ja, ich weiß, ich wäre am Freitag dran gewesen, aber ich hatte ohnehin nichts Sinnvolles mit meiner Zeit geplant. Dafür kannst du noch einkaufen gehen." Scheinbar telefonierte jemand gerade dort drin. Allerdings schien das Gespräch nun beendet zu sein, also klopfte Stephanie beherzt an die Türe. Erst kurz darauf fielen ihr mehrere Dinge auf; es wäre auch eine Klingel vorhanden gewesen, sie hätte sich eventuell unten an der Sprechanlage ankündigen können, anstatt einfach an einem Bewohner vorbei wie ein Einbrecher in den Hausflur zu schlüpfen, sie hatte sich seit 24 Stunden nicht die Zähne geputzt, sie sah aus wie ein Vagabund mit ihrem zerschlissenen Rucksack und sie hatte gerade an der Tür eines völlig Fremden geklopft, um was genau zu sagen?
Noch bevor sie sich auf dem Absatz umkehren konnte, um die Flucht zu ergreifen und ihren Plan noch einmal zu überdenken, wurde die Tür geöffnet. Vor ihr stand ein Typ mit sandfarbenem Haar, das ihm leicht in sein Gesicht fiel, aus dem sie blaugrüne Augen verwundert musterten. Er trug ein graues T-Shirt und unter seinen Jeans lugten schwarze Socken hervor. Er war so groß, dass sich sein Kopf dem Türrahmen gefährlich näherte. Stephanie hatte nie ein Bild von ihm gefunden und dennoch wirkte er merkwürdig vertraut. Während sich bei ihrem Anblick Belustigung in die Verwunderung zu schleichen schien, fand er zuerst seine Sprache wieder. „Ähm...wie kann ich dir hel..." „Hi, ich bin Stephanie!"
„Hey, Stephanie, schön dich kennen zu lernen." Einige Momente sagte keiner von Beiden etwas. Sie musste außerordentlich verdutzt aussehen, denn der Typ begann unversehens zu schmunzeln. „Christian Harper?" Der Typ hörte auf zu schmunzeln. Innerlich beglückwünschte sie sich zu ihrem gekonnten Rateversuch. „Das wäre dann ich." Jetzt musste sie die Gunst der Stunde nutzen. „Ähm. Ich bin aus Deutschland hergekommen um dich und Jeremy Martin zu finden." Christian Harper und Jeremy Martin. Um diese beiden Namen hatte sich in den letzten Tagen alles gedreht. Sie hatte sie wie ein Mantra verinnerlicht. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass die beiden ihren Namen noch nie gehört haben sollten. Zumindest das konnte sie nun ändern. „Mein Name ist Stephanie Weber. Ich denke, ich bin eure Halbschwester."
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North is where the wind smells of pines
Про оборотнейOriginaltitel: Das inkohärente Gewusel, das sich eines Tages zu einem Plot verdichten könnte (working title) Liebe Leute auf Wattpad, ich werde gar nicht erst versuchen, so zu tun, als sei das hier viel mehr, als eine äußerst mittelmäßige Urban Fant...