Richtungsweisend

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Ohne große Umschweife hatte Jeremy seine und Chris' Sachen geschultert und hatte Stephanie bedeutet, ihm zu folgen. Sie hatte sich kaum den letzten verbliebenen Riemen ihres Rucksacks über die Schulter gestreift, als er auch schon mitten im Gestrüpp verschwunden war. Stephanie sah ihm verdutzt nach. Als sie die Stelle erreicht hatte, an der er gestanden hatte, schob sie Mühsam das Geäst beiseite und fand auf der anderen Seite Jeremy, der ihr schmunzelnd dabei zusah, wie sie sich einige Blätter aus den Haaren zupfte. Stephanie sah sich um.

Sie standen unter einem dichten Dach aus grünen Baumkronen, auf einem kleinen, ausgetretenen Pfad, den sie ohne Jeremys Hilfe vermutlich niemals gefunden hätte. Der Boden war über und über mit Laub und Moosen in kräftigen Grüntönen bedeckt und die massiven Stämme schienen den Weg wie riesige Wächter zu umstellen. Das wenige Licht, das hier durch die Baumkronen trat, zeichnete komplexe Muster auf den Waldboden und auf Jeremys Gesicht, dessen Augen amüsiert funkelten. „Es ist...tatsächlich wunderschön." Stephanie sahn ihn mit großen Augen an. Jeremy grinste. „Dann warte bis du unseren Platz siehst." Da fiel Stephanie auf, dass jemand im Bunde fehlte. „Wo ist eigentlich..." Plötzlich bewegte sich ein Stück Wald und Chris sprang von dem Baumstumpf herunter, auf dem er gesessen hatte. Stephanie lachte überrascht auf. Er hatte ganz stillgesessen und das bräunliche Grau seines Fells war einfach mit den umliegenden Grau- und Brauntönen des Waldes verschmolzen. Leichtfüßig ging er voraus. Jeremy bedeutete ihr mit einer Geste, ihnen zu folgen.

Eine Weile liefen sie einfach schweigend hintereinander durch den Wald. Stephanie lauschte den Geräuschen um sie herum. Irgendwo in einem Baum in der Nähe machte ein kleiner Kauz auf sich aufmerksam. Überall um sie herum schien es zu rascheln, doch wenn sie mit ihrem Blick den Geräuschen folgte, konnte sie nie etwas entdecken. Irgendwann begannen die Bäume sich zu lichten und sie konnte in der Ferne Wasser rauschen hören. Fünf Minuten später endete der Wald abrupt und machte einer breiten Schneise, voll hellen Gerölls Platz.

In der Mitte des Grabens bahnte sich ein kleiner, aber reißender Strom seinen Weg Richtung Tal. Das klare Wasser wurde in weiß gekrönten Wellen zwischen den Steinen herumgeschleudert. Vor ihnen überspannte eine schmale Brücke aus dunklem, alten Holz das Hindernis. Mit der Routine eines erfahrenen Wanderers bestiegen Chris und Jeremy hintereinander die Konstruktion. Stephanie zögerte einen Moment. Wie lange diese Brücke hier wohl schon stand? Ob jemals jemand herkam um sie zu überprüfen? Dann sah sie zu den anderen, die zielstrebig den hölzernen Steg überquerten und setzte entschlossen den ersten Schritt darauf.

In der Mitte angekommen wandte sie sich zur Seite. Vom Berg aus fiel das Wasser über einen kleinen, steinernen Hang zu ihnen hinab. Einige Stämme lagen quer im Graben, als hätten ihre Kollegen sie hinterrücks in das Flussbett gestoßen, um selbst eine bessere Aussicht zu haben. Dann wandte sich Stephanie talwärts. Ihr Mund blieb für einen Augenblick offenstehen. Die Schneise gab den Blick auf ein Meer aus grünen Wipfeln frei, dass sich Hangabwärts vor ihr ausbreitete. Weiter hinten stieg das Gelände wieder an und verschwand dann hinter dem Horizont. Alles war mit einer Decke aus Bäumen bedeckt, die sich dicht an dicht aneinanderdrängten. Es kam Stephanie vor, als würde sie auf eine stehende Woge inmitten eines grünen Ozeans blicken.

Als sie es schaffte, den Blick abzuwenden, sah sie Jeremy und Chris, die am anderen Ufer auf sie warteten. Jeremy lächelte, als würde er ein Rehkitz dabei beobachten, wie es zu ersten Mal auf einer Wiese herumtollte. Rasch überquerte Stephanie den Rest der Brücke und fand den Anschluss an die beiden wieder. Als sie zu Jeremy aufschloss, hielt sie zunächst peinlich berührt den Blick gesenkt, schenkte ihm dann aber ein scheues Lächeln.

Nachdem sie sich weiter durch den dichten Laubwald gearbeitet hatten, begann das Gelände irgendwann zu fallen. Schließlich lichtete sich der Wald gab den Blick frei auf einen großen See. Stephanie traute ihren Augen kaum. Das Wasser, das am Ufer leise gegen die breite Böschung schwappte war so klar, dass sie die großen, runden Steine am Grund hätte zählen können. Nach ein paar Metern wechselte es jedoch die Farbe zu einem strahlenden Türkis, das das Blau des Himmels in den Schatten stellte. Am anderen Ufer ersteckte sich der Wald weiter ins Land hinein und schützte den Ort von allen Seiten vor dem Treiben der Außenwelt. Mitten im See erhob sich eine kleine Insel mit ein paar einzelnen Bäumen über dem Wasser. Keine Welle brach an ihren Ufern, das Wasser lag still wie ein Spiegel da und leuchtete ihnen entgegen.

Jeremy stelle sich mit verschränkten Armen neben sie und ließ seinen Blick über die Oberfläche schweifen. „Besser als der Parkplatz?" Sie nickte stumm. Er grinste sie an. „Wie schön. Dann kannst du mir ja jetzt helfen, die Zelte aufzustellen."

North is where the wind smells of pinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt