Erwachen

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Stephanie wurde vom Geräusch einer sich öffnenden Kühlschranktüre geweckt. Kurz darauf stieß jemand ein leises Stöhnen aus „Thunfischpizza...". Der Thunfischskeptiker bewegte sich leisen Schrittes durch die Küche, zu der sich der Raum hinter dem massiven Esstisch öffnete, holte etwas aus einem Schrank und ließ es anschließend in eine Schüssel rieseln. Dann begoss er sein Werk mit der Milch, die er im Kühlschrank gefunden hatte. Es vergingen ein paar Sekunden, bis die Stille von einem Husten zerrissen wurde.

Da Stephanie nun nicht mehr so tun konnte, als würde sie schlafen, setzte sie sich auf und spähte neugierig am Esstisch vorbei in die Küche. Dort stand ein Typ im Alter von Chris mit dunkelbraunen locken und dazu passenden, dunkelgrünen Augen, aus denen er sie verdutzt musterte, während er den Inhalt seiner Schüssel in den Mülleimer entleerte. „Oh Gott, tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken. Ich hatte nur die Unfähigkeit meines Mittbewohners unterschätzt, frische Milch zu besorgen." „Ich bitte dich, das ist Regel Nummer eins." Der Typ zog fragend die Augenbrauen hoch. „Vertraue niemals einer offenen Packung Milch." Er ließ seinen Blick sinken und schmunzelte. Mit einer gewissen Zufriedenheit stellte Stephanie fest, dass er durchaus auf der ersten Seite von Suchergebnissen erscheinen konnte, wenn man „1998 in Portland, Maine, geboren" in den Browser eingab.

„Du musst Jeremy sein." Stellte sie also wenig geistreich fest. Kurz wirkte der Typ ein wenig verwundert, dann schüttelte er den Kopf. „Ja, ja klar. Der bin ich. Sorry, meine Manieren wollten heute ausschlafen." Jetzt trat Jeremy in den Durchgang, der die Küche vom Wohnbereich abgrenzte, und musterte Stephanie von dort. Sie konnte erkennen, dass er einen dunkelblauen Hoodie der University of Toronto trug. „Und du bist Stephanie." Jeremy deutete die Verwunderung in ihrem Blick richtig. „Chris hat mir von dir erzählt, als er heute morgen gegangen ist" Stephanie wurde flau im Magen. „Hat er dir auch...?" Ein kurzes Lächeln schien über Jeremys Lippen zu huschen, doch kurz darauf war Stephanie sich nicht mehr sicher, ob sie es sich nicht doch eingebildet hatte. „Ja, auch das habe ich mitbekommen."

Stephanie hatte in der Nacht lange darüber nachgedacht, was ihr Auftauchen für Jeremy bedeuten musste. „Hey....ähm es tut mir leid, dass du das so rausfinden musstest. Ich habe es auch durch Zufall erfahren und...ich fühle mich ziemlich mies, dass ich jemand anderem das angetan habe." Jeremy lehnte sich an der Wand neben ihm an. Auch er schien bereits intensiv darüber nachgedacht zu haben. Kurz wandte er sich ab und schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, als er sich ihr wieder zuwandte wurde sein Blick weicher. „Ist schon okay. Du kannst nichts dafür. Wir wohnen zusammen, es war für dich nur logisch anzunehmen, dass wir voneinander wissen. Ich werde demnächst mal meine Eltern darauf ansprechen und mir anhören, was sie von der Sache halten." Er zuckte mit den Schultern. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Aber hey, jetzt wo du wach bist und vielleicht auch noch meine Halbschwester, ist das Mindeste was ich tun kann, dir Pancakes anzubieten." Sie lachte. „Klar, wenn die Zutaten dafür frischer sind als eure Milch!" Er holte ein gelbes Päckchen aus einem der Schränke über der Theke und schüttelte es demonstrativ. Dort wo es herkam wartete der Rest einer Fröhlichen Familie aus Pancake-Mischungen.

Während sie den kleinen, goldgelben Talern beim Brutzeln zusahen, lehnten sie nebeneinander an der Küchentheke. Stephanie hatte sich die Frage bisher verkniffen, um nicht allzu aufdringlich zu wirken, doch jetzt, wo sie mit einem Typen den sie seit fünfzehn Minuten kannte, Pancakes briet fand sie, dass sie eigentlich nichts zu verlieren hatte. „Wo ist Chris denn schon so früh am Morgen?" Wie um ihre Frage zu unterstützen piepte der Radiowecker in der Küchenecke fröhlich und verkündete sieben Uhr morgens. „Uni." Kam es von Jeremy wie aus der Pistole geschossen. „So früh?" Er schien kurz abzuwägen. „Er geht vorher immer noch eine Runde laufen." „Mit Spot?" Ein unterdrücktes Lachen kam von Jeremy zurück. „Yup. Mit Spot." Er begann mit einem Pfannenwender die Pancakes zu bearbeiten. „Er ist wirklich wunderschön." Jeremy drehte sich mit einer erhobenen Augenbraue zu ihr um. Stephanie verdrehte die Augen. „Spot!" Das schien Jeremy zu überraschen. Er wandte den Blick verlegen den Pancakes in der Pfanne zu. „Ja. Ich schätze das ist er wohl." Sagte er mit leiser Stimme. „Was für ein Mischling ist er? Also vermutlich deutscher Schäferhund, und...?" Jeremys Blick war von der Pfanne an die Wand hinter dem Herd gewandert. „Timberwolf." antwortete er leise.

North is where the wind smells of pinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt