Christian sah sie erst verwirrt an, dann lichtete sich etwas in seinem Blick, als hätte sich ihm gerade eine lang verschlossene Tür geöffnet. So schnell der Eindruck gekommen war, so schnell verflog er auch wieder. „Jeremy hat zwei Eltern. Sogar einen jüngeren Bruder. Wir sind nur Mitbewohner, nicht verwandt, sorry." So schnell war Stephanie nicht gewillt aufzugeben. „Aber er steht in der Datenbank! Als Erzeugnis einer Spende von Spender 273942!" Diese sechs Zahlen waren es, die ihr Leben auf den Kopf gestellt hatten. „In dem Fall muss da ein Fehler unterlaufen sein. Oder vielleicht ist ein anderer Jeremy gemeint. Jeremy Martin ist jetzt kein außergewöhnlicher Name." Jetzt wurde Stephanie wütend. Dieser Typ hatte ja keine Ahnung, wie viel Arbeit sie sich mit dieser Suche gemacht hatte! Wie konnte er es wagen, ihr zu unterstellen, so einen dummen Fehler begangen zu haben?
„Ach der! Du hast Recht! Der Andere Jeremy Martin, geboren am 12. Oktober 1998 in Portland, Maine, Sohn von Kate Martin und David Martin, älterer Bruder von Simon Martin! Richtig! Gut, dass du mich darauf hinweist!" Christian wurde blass. Erst jetzt stellte Stephanie fest, dass sie sich anhören musste, wie eine durchgeknallte Stalkerin. Die Unruhe schien sich auch auf den Wolf übertragen zu haben. Dieser war vom Sofa aufgesprungen und starrte in ihre Richtung. „Sorry, ich wollte nicht..." versuchte es Stephanie jetzt etwas sachter, doch der Schaden schien angerichtet zu sein. Christian war ebenfalls aufgesprungen. „Ähm weißt du was, vielleicht sollten wir ein andermal weiterreden. Schreib mir ein...nein, weißt du was, hier, schreib mir deine Nummer auf, ich kann dich dann kontaktieren." Christian zog einen zerknüllten Kassenbon aus seiner Hosentasche und reichte Stephanie einen Stift. Kleinlaut bedankte sie sich bei ihm und kritzelte ihre Nummer auf das Papier, ohne Hoffnung, dass Christian sich jemals die Mühe machen würde, zu versuchen, ihr Geschreibsel zu entziffern.
„Ähm. Es war nett, dass du vorbeigekommen bist, ich richte Jeremy aus, was du berichtet hast." Das war eine klare Ansage gewesen. Verlegen trottete Stephanie in Richtung des Flurs, in dem ihre Schuhe und ihre Jacke auf sie warteten. Während sie ihre Stiefel anzog, versuchte sie die Situation noch ein wenig zu retten, doch sie wusste, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte. „Ja, ich muss mir sowieso noch eine Bleibe suchen." Christian schien kurz inne zu halten, doch Stephanie wollte den Rest Würde, den sie aus dieser Konversation noch hinüberretten konnte, behalten. Nachdem sie den verbliebenen Riemen ihres Rucksacks geschultert, und die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte, drehte sie sich noch einmal um. „Danke für das Gespräch." Christian stand im Flur und blickte sie an. Sie wusste seine Miene nicht zu deuten. Damit wandte sie sich ab und verschwand im Treppenhaus.
Auf halbem Wege blieb sie stehen lehnte sich resigniert mit der Stirn an die raue Wand. Alles hatte so gut angefangen. Und war dann so miserabel geendet. Und wieder ein Tag gerettet durch die fantastische Menschenkenntnis von Stephanie Weber. Stephanie ließ sich mit dem Rücken an der Wand hinabgleiten und starrte einige Minuten lang ins Leere. Draußen war es bereits dunkel geworden. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und begann, nach Motels in der Umgebung zu suchen, die ein Zimmer für sie frei hatten. Zwischenzeitlich glaubte sie, einen gedämpften Schrei aus dem dritten Stock wahrzunehmen. Sie ging nicht nachsehen, woher er gekommen war.
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North is where the wind smells of pines
Hombres LoboOriginaltitel: Das inkohärente Gewusel, das sich eines Tages zu einem Plot verdichten könnte (working title) Liebe Leute auf Wattpad, ich werde gar nicht erst versuchen, so zu tun, als sei das hier viel mehr, als eine äußerst mittelmäßige Urban Fant...