Wassertopfen

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Stephanie stand unter der Dusche und hatte die Arme um sich geschlungen. Die warmen Wasserstrahlen die aus dem Duschkopf auf sie einprasselten vermischten sich mit den Tränen, die aus ihren Augen rannen. Diesmal war es kein hässliches, rotziges Weinen, wie es neuerdings ihre Spezialität war. Sie schluchzte nicht, gab keinen Mucks von sich. Und dennoch benetzte die warme Flüssigkeit ihre Wangen.

Egal, woran sie dachte, der Fluss wollte einfach nicht mehr versiegen. Sie versuchte sich abzulenken mit Erinnerungen an ihre Freunde in Berlin. Das brachte keine Besserung. Sie dachte an ihre Familie. Das schien es noch schlimmer zu machen. Schließlich lenkte sie ihre Gedanken widerwillig dorthin, so sie sie am wenigsten haben wollte. Zu den Szenen, die sich gerade vor ihren Augen abgespielt hatten.

Es war nicht mal besonders abstoßend gewesen. Wie sich die Körper der beiden verändert hatten. Mensch zu Wolf, Wolf zu Mensch, das war eigentlich fast künstlerisch. Die Muskeln, die sich unter der Haut bewegten, die feinen Gliedmaßen, die mit Präzision alle ihre neue Form einnahmen. Wie ein Orchester, das gemeinsam und allmählich das Tempo wechselte. Jeder zu seiner Zeit und doch im Einklang. Wenn sie nur nicht die Schmerzen auf ihren Gesichtern gesehen hätte. Sie taten das jeden Tag. Stephanie konnte sich kaum vorstellen, wie es sich anfühlen musste, mit einem anderen Menschen auf diese Weise verbunden zu sein. Mit einer anderen Person so eine Last zu teilen und sich dadurch nicht allmählich zu hassen, sondern noch enger zu verbinden. Was diese beiden zueinander hatten, das verstand Stephanie jetzt, war bedingungsloses Vertrauen.

Als Stephanie die Dusche abstellte, waren ihre Tränen versiegt.

North is where the wind smells of pinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt