7 • the new one

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Wenn es einen Moment gab, den ich hasste, dann war es, zu spät in den Unterricht zu kommen, in den Raum zu stürmen und von allen Blicken durchbohrt zu werden, als hätte man gerade drei Menschen umgebracht.

"Taeyong! Hat der Herr es auch endlich in den Unterricht geschafft?"

Normalerweise hätte ich jetzt einen schnippischen Kommentar losgelassen und mit den Augen gerollt, doch ich hatte keine Kraft mehr für so etwas. Ich hatte keine Kraft, den Coolen zu spielen, den nichts interessieren würde.

Ich verbeugte mich kurz, murmelte mit gesenktem Kopf ein "Es.. tut mir leid, Herr Kim, i-ich.. ich hab verschlafen, kommt nicht wieder vor.", ehe ich mich zu meinem Sitzplatz begab und mich neben Jungwoo setzte, der mir leicht zulächelte.

Mein Mathelehrer runzelte verwirrt über mein ungewöhnlich höfliches, zurückhaltendes Verhalten die Stirn und räusperte sich. "N-Nun gut, wo war ich gleich? Wir waren bei den Hausaufgaben stehengeblieben, machen wir weiter mit.."

"Dir geht's heute nicht sonderlich gut, stimmt's?" flüsterte mein Sitznachbar mir zu und ich seufzte. "War schon mal besser" Jungwoo spielte mit seinem Bleistift und zögerte. "Ich hab kurz vor dem Unterricht noch mit Doyoung gesprochen.. Das mit Ten ist also wirklich wahr?" fragte er vorsichtig und ich drehte meinen Kopf zu meinem Kumpel, welcher mich unsicher ansah. "Nichts für ungut, Jungwoo, aber ich möchte grad' nicht darüber nachdenken.." - "Schon okay.. Aber wenn du über etwas reden willst, ich bin da, auch die anderen" versicherte er mir und wandte seinen Blick wieder zu unserem Mathelehrer, der irgendwelche mir völlig fremden Formeln auf die Tafel kritzelte.

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Die Mittagspause war endlich angebrochen und ich war erleichtert, mich zumindest für eine kurze Weile vom Unterricht abzuregen und einmal nichts zutun. Der Tag heute fühlte sich einfach nur stressig an, jede Stunde fühlte sich doppelt so lang an und ich war mittlerweile an einem Punkt an dem ich nur noch extrem reizbar war.

Meine Freunde verstanden das zum Glück, nahmen Rücksicht und hatten bisher nicht einmal Ten erwähnt seitdem wir hier wie jeden Tag an unserem Stammtisch in der Cafeteria saßen, also wurde ich zumindest nur in meinen eigenen Gedanken mit diesem Thema belastet.

Von meinem Zusammenbruch heute morgen hatte ich ihnen nichts erzählt, ich wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf meine schlechte Laune lenken und meinen Freunden unnötig Sorgen bereiten. Am Ende war es mein eigenes Problem, mit dem ich nicht zurechtkam. Somit blieb ich heute lieber still und ließ die anderen darüber diskutieren, wie merkwürdig das heutige Essen schmeckte.

"Sagt mal, wo ist Mark-Hyung eigentlich? Ich hab ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen, er war auch nicht im Unterricht" stellte Donghyuck fest und wunderte sich über das Fehlen seines besten Freundes.

"Ich hab gestern nur nebenbei mitbekommen dass er heute anscheinend 'nem neuen Schüler die Schule zeigt und ihm hier alles erklärt" erinnerte sich Doyoung und Donghyucks Augen wurden groß. "Neuzuwachs? Ist derjenige in unserem Jahrgang?" fragte der Jüngste und Doyoung nickte, "ist mitten im Schuljahr gerade erst aus Amerika hergezogen, aber er ist wohl gebürtiger Koreaner"

"Ich frage mich immer wieder, woher du dieses ganze Insider-Wissen hast, Do" lachte Johnny, während Doyoung sich nur zurücklehnte. "Wenn man in der Schülervertretung sitzt, erfährt man halt so Einiges" schmunzelte er und überlegte kurz, "aber ich hab echt keine Ahnung wer das ist oder wie er aussieht. Bin gespannt was Mark später so-"

Wie aufs Wort flog die Tür der Cafeteria auf, als Mark gefolgt von jemand anderem den Saal betrat und natürlich alle Blicke der Schüler auf sich zog. "Das nenne ich Timing" kicherte Donghyuck und wir sahen zu, wie sie sich unserem Tisch näherten.

"Einen schönen guten Tag euch Spinnern," begrüßte Mark grinsend die Runde, ehe der andere Junge zögernd hinter ihm hervortrat und mein Blick erstarrte.

"Das ist Jaehyun, seit heute unser Frischling im Jahrgang! Hab ihm angeboten, die Mittagspause mit uns zu verbringen, so kann ich ihm gleich noch die Cafeteria zeigen" verkündete Mark schließlich und klopfte dem neuen Schüler auf die Schulter, während mein Blick komplett an seinem Gesicht festhing.

Es war der Junge von heute Morgen.

Ausgerechnet dieser neugierige Typ, der mich in diesem aufgebrachten Zustand gesehen hatte und den ich schließlich angeschrien und weggeschickt hatte.
Konnte es heute noch schlimmer kommen?

Anders als vor ein paar Stunden bei meinem kompletten Breakdown, hatte ich nun das erste Mal die Gelegenheit, ihn überhaupt richtig anzusehen.
Volle, hellbraune Haare, die ihm teilweise leicht als Pony auf die Stirn fielen, dunkle Augen, die uns alle neugierig betrachteten und ein schüchternes und dennoch ehrlich und herzlich wirkendes Lächeln.
Mehr Zeit um sein ungewöhnlich schönes Aussehen näher zu betrachten, blieb allerdings nicht, da die Stimme des Jungen, welche ich heute nicht zum ersten Mal hörte, mich aus meinen Gedanken riss.

"Hallo, es freut mich euch kennenzulernen, ich war schon gespannt darauf, Marks Freunde zu treffen. Ich hoffe es stört euch nicht, wenn ich mich heute zu euch setze." sprach Jaehyun und machte dabei einen höflichen und doch lockeren Eindruck.

"Aach, als ob uns sowas stört, nimm gerne Platz, Jaehyun!" entgegnete Taeil und zeigte auf den freien Platz neben sich, welcher sich ausgerechnet direkt gegenüber von mir befand.

"Ist bestimmt nicht grade stressfrei, so ein erster Tag, aber an diesem Tisch bekommst du jetzt die beste Unterhaltung" lachte Johnny und die anderen stimmten mit ein.

Jaehyun bedankte sich lachend und er und Mark begaben sich zu den freien Plätzen am Tisch. "Ich habs dir doch gesagt, alles entspannte, nette Freunde, die ich hab" sagte Mark stolz und genau während er diesen Satz aussprach, setzte sich Jaehyun und blickte mir plötzlich direkt in die Augen.

Kaum sichtbar spiegelte sich für einen Bruchteil einer Sekunde die Verwunderung in seinem Blick wieder und ich sah, dass er mich wiedererkannt hatte, den Jungen, der heute morgen aufgelöst auf dem Boden gehockt und ihn brüllend abgewiesen hatte.

Jaehyun ließ sich trotzdem nichts anmerken, hatte nur noch ein leichtes Lächeln aufgesetzt und wandte den Blick von mir ab: "Ja, damit hattest du Recht, Mark"

Ich wollte am Liebsten bereits in dieser Sekunde einfach aufstehen und gehen.
Hätte ich gewusst, dass Mark nun Anstalten machte, sich mit dem Neuen anzufreunden, hätte ich heute morgen vermutlich zwei mal überlegt, ob ich ihn so zusammenscheißen würde.

Ich bin so aufgebracht, wütend und fertig gewesen, ich hatte doch nur meine Ruhe gewollt, und dieser komplett Fremde Junge wollte einfach nicht locker lassen. Er hatte sich zu einer völlig falschen Zeit in eine fremde Angelegenheit eingemischt und sich so aufgedrängt und ich hätte mit Sicherheit das Recht dazu gehabt ihn so anzufahren, doch trotzdem war es mir nun unangenehm, Jaehyun so gegenüberzusitzen.

Denn entspannt und nett, wie Mark gerade beschrieben hatte, schien ich in Jaehyuns Augen gerade definitiv nicht zu sein, das wusste ich. Und diese Vorstellung war mir nicht so egal, wie sie eigentlich sein sollte.

trust issues - jaeyongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt