Kapitel 24| Im Hier und Jetzt

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„Guten Morgen Winzling.", ertönte die verschlafende Stimme von Liam hinter mir. Ich war dabei uns Pfannkuchen zum Frühstück zu machen und hörte nebenbei ein bisschen Radio. „Morgen.", erwiderte ich. „Alles gut?", erkundigte er sich fürsorglich, was mich grinsen ließ. „Alles bestens." „Sicher?" Ich nickte zustimmend und wandte mich wieder den Pfannkuchen zu. „Bleibst du heute noch bei mir?", platzte ich plötzlich heraus. Warum ich ihn das fragte, wusste ich selbst nicht so richtig. Vielleicht wollte ich einfach nicht allein sein. Bei der Schule hatte ich schon angerufen und mich krankgemeldet. Liam schwänzte eh öfter, weshalb er sich auch nie abmeldete.

Etwas überrascht sah er zu mir. „Wir beide?", erkundigte er sich. „Ne, ich wollte eigentlich noch Obama einladen.", gab ich ironisch zurück. Er lachte auf. „Na dann. Das wird bestimmt lustig.", neckte er mich. „Aber sicher doch. Nein mal ehrlich. Ja oder nein?" „Klar. Wir müssen aber vorher noch zu meinem Bruder. Ich will sehen, wie es ihm geht." Ich nickte einverstanden und servierte dann die Pfannkuchen. „Was machen wir?" Ich überlegte kurz. „Wir könnten an den Strand und ein Eis oder so essen gehen.", schlug ich vor. Liam war damit einverstanden und mampfte weiter seinen Pfannkuchen.

Mit etwas zittrigen Beinen betrat ich die Große Halle. Es roch nach Schweiß und Männerdeo. Diesmal konnte ich mich besser umsehen und war mir inzwischen sicher, dass das hier eine Art Quartier der Black Rose war. Etwas weiter hinten im Raum waren Boxsäcke aufgehängt und eine Menge anderer Trainingsgeräte. Als ich nach links sah, war eine kleine Bar zu erkennen und rechts eine große Sofaecke, wo sich ein paar Männer tummelten. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich hier noch kein einziges Mädchen gesehen hatte. „Gibt es auch Frauen bei der Black Rose?", sprach ich meine Gedanken laut aus. Liam drehte sich verwundert über meine Frage zu mir um. „Ja, meine Mutter und meine Schwester. Ansonsten keine. Wir halten die Frauen hier raus und das ist auch besser so. Meine Mutter ist halt die Frau vom Boss und meine Schwester ist hier hinein geboren. Ich glaube auch nicht, dass das der richtige Job für eine Frau wäre." Er sah mich prüfend an. „Ich dachte, Lorenzo wäre der Boss..." „Naja, er hält hier die Stellung während unser Dad die geschäftlichen Dinge in New York erledigt. Für uns alle ist er sowas wie der Boss." Ich nickte nachdenklich. „Warum fragst du?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab hier bisher halt keine Frauen gesehen. Mich wundert es nur, dass es bei der anderen Gang Frauen gibt." „Glaubst du echt, dass die irgendwelche Jobs machen. Die sind für die Männer doch nur zum Vergnügen da und sonst nichts." Ich verzog angewidert das Gesicht. „Du meinst, die prostituieren sich?", fragte ich geschockt. „Wahrscheinlich. Bei uns wird sowas nicht gerne gesehen, weshalb wir auch nur ungern Frauen in die Sache mit reinziehen." Beim letzten Satz sah er mich vielsagend an. Tja, Lea und ich hatten uns das selbst zuzuschreiben. Außerdem gehörten wir ja nicht dazu. Wir hatten beide nur etwas mit den Mitgliedern. Naja... Ich hatte was mit dem Boss. Auch, wenn ich nicht genau wusste, was da zwischen uns war.

Ich hatte noch nie so viel Angst, wie gestern Abend und ich wusste nicht, ob mir das alles vielleicht doch etwas zu viel war. Ich meine, ich war neuerdings ständig in Gefahr. Das war ja kaum auszuhalten. Was war, wenn Liam und die anderen das nächste Mal nicht rechtzeitig kommen würden? Dann wäre ich aufgeschmissen.

„Kommst du mit rein?", riss mich Liam aus meinen Gedanken. Ich schüttelte den Kopf. „Ich warte hier." Er nickte mir noch einmal zu und verschwand in einem Raum. Ich konnte Lorenzo noch nicht begegnen. Ich wollte ihn nicht so sehen. Schließlich wurde er nur meinetwegen so zugerichtet.

Nach ein paar Minuten kam Liam wieder. „Na dann mal los!", sagte er euphorisch und zog mich hinter sich her. Ich hatte mich bei mir zu Hause schon umgezogen, damit wir nicht nochmal zurück mussten. Auf direktem Wege fuhren wir zum Strand und breiteten nicht weit vom Wasser unsere Handtücher aus. Ich zog mich in Windeseile bis auf den Bikini aus und sprintete in's Wasser. Liam war direkt hinter mir. Wir schwammen eine Weile, bespritzten uns mit Wasser und lachten viel. Es war schön mit Liam Zeit zu verbringen. Ich vergaß all meine Sorgen und lebte im hier und jetzt.

Ich wollte von Liam wegschwimmen, doch er packte mich an den Hüften und zog mich zu ihm. Keuchend atmete ich auf. Mein Rücken klebte an seiner Brust und seinen Kopf hatte er in meinen Nacken gelegt. „Du bist schön, Jasmina.", hauchte er gegen meine Schulter und eine Gänsehaut überfuhr meinen Körper. Langsam drehte ich mich um. Ich wusste nicht, warum ich das tat, doch ich war wie in Trance. Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich die schwarzen Linien seines Tattoos nach. Er ließ mich dabei nicht aus den Augen und musterte mich durchdringend. Konzentriert biss ich auf meine Unterlippe, bis ich schließlich von seinem Tattoo abließ und ihm in die Augen sah.

Er sah mich immer noch mit diesem undefinierbaren Blick an und das Blut brodelte in meinen Adern. Langsam beugte er sich zu mir runter und strich leicht über meine Lippen. Mein Atem wurde hastiger und ich wusste nicht, was hier gerade geschah. Nach kurzem Zögern küsste er mich dann. Seine eine Hand platzierte er an meiner Hüfte und die andere in meinem Nacken. Ich konnte nicht widerstehen und erwiderte den Kuss. Meine Beine schlang ich um seine Hüften und meine Arme legte ich um seinen Hals. Es fühlte sich unglaublich gut an und dennoch beschlich mich ein ungutes Gefühl. Irgendwann löste ich mich dann schweratmend von ihm. „Liam, ich..." „Shhh." Er legte sanft seinen Zeigefinger auf meine Lippen. Etwas verwirrt sah ich ihn an. „Sag jetzt nichts. Ich genieße diesen Moment gerade. Über meinen Bruder können wir uns danach unterhalten, auch wenn ich nicht besonders scharf darauf bin." Ich nickt und ließ langsam von ihm ab. „Lass uns zum Strand zurück.", sagte ich mit gesenktem Blick. Wie konnte ich mich nur dazu hinreißen lassen? Ich fühlte mich unglaublich schlecht und wäre am liebsten einfach davongelaufen.

BLACK ROSE - Gefährliche Welt✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt