124. Kapitel

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Agnes war in einer nahegelegenen Stadt einkaufen gewesen und sie hatte sich schon an die misstrauischen Blicke gewöhnt, die ihr zugeworfen wurden. Immerhin sah sie nicht wirklich vertrauenswürdig aus mit Narben im Gesicht, der dreckigen Kleidung eines Rumtreibers und ihrem grundsätzlich feindseligen Blick, um ungebetene Fragen zu verhindern, also war es kein Wunder, dass Muggel ihr eher auswichen, aber das war vermutlich auch kein Wunder.

Sie hatte die Einkäufe in ihrem Rucksack verstaut – es war hauptsächlich reduzierte Lebensmittel, nachdem sie immer noch auf ihr Geld schauen mussten und das Geld, das Fred und George ihnen gegeben hatten nicht für immer reichen würde und keiner konnte sagen, wie lange sie noch damit auskommen mussten. Es war Brot vom Vortag, beinahe abgelaufene Dosen mit Essen und Agnes hatte ausnahmsweise einmal eine billige Tafel Schokolade mitgenommen – das war etwas ganz besonderes.

Als Agnes die Lebensmittel in ihrem Rucksack verstaut hatte, fiel ihr Blick auf das Schwert der Familie Tripe.

Es war natürlich nicht das vollständige Schwert, aber es war der goldene Griff, an dem nur noch ein Stück der Klinge angebracht war, die zerbrochen war. Sie wusste nicht, warum sie es mitgenommen hatte, immerhin hatte sie nur schlechte Erinnerungen damit gesammelt, aber es hatte sich richtig angefühlt.

Sie war froh, dass bisher noch niemand bemerkt hatte, dass sie es mit sich herumtrug – zuerst hatte sie Angst gehabt, die Leute von MACUSA würden es ihr abnehmen und dann hatte sie einige Zauber auf den Rucksack gelegt, damit kein Muggel auf die Idee kam, ihren Rucksack zu durchsuchen und wenn sie es doch getan hätten, hätten sie nur Kleidung gefunden. Es war Agnes wichtig, dass das Schwert in ihrem Besitz blieb.

Agnes verließ den Muggelladen und suchte nach einem guten Ort, um zu disapparieren – sie durften noch immer nicht allzu sehr auffallen und da brauchten sie nicht das Ministerium auf dem Hals, die sie wegen Magie vor Muggeln jagten.

Sie wollte gerade in eine Gasse einbiegen, als ihr Blick auf eine Muggel-Apotheke fiel und spontan betrat sie diese und kam wenig später mit Verbandszeug heraus. Zauberer brauchten normalerweise kein Verbandszeug, aber das war eine Ausnahme.

Mit ihrer Beute apparierte sie zurück in die Hütte, in der sie noch immer mit Sirius lebte, wobei sie schon bald umziehen würden – sie wollten nicht zu lange an einem Ort bleiben.

Sirius wartete im Haus auf sie, aber es schien so, als hätte er eine Beschäftigung gefunden, denn vor ihm stand auf dem Boden ein alter, rostiger Radio. Sirius tippte immer wieder mit dem Zauberstab darauf und murmelte verschiedene Wörter vor sich hin, schien aber keinen Erfolg zu haben. Agnes wusste, was er versuchte – er wollte PotterWatch finden, aber selbst Agnes wusste nicht genau, wie das funktionierte.

„Hey, Agnes!", begrüßte Sirius sie heiter, „Ich habe einen Radio auf dem Schrottplatz gefunden!"

„Funktioniert er noch?", fragte Agnes überrascht und setzte sich zu ihm auf den Boden.

„Ich habe ein bisschen gebraucht, um ihn mit Magie zu reparieren, aber jetzt sollte er eigentlich laufen", gestand Sirius und versuchte es weiter.

Agnes ließ ihn einfach weiter probieren – es war gut, wenn Sirius etwas zu tun hatte – während sie ihren Rucksack zu sich zog und als erstes das Verbandszeug herausholte. Sie zog ihren Mantel aus und entblößte auch die Narben auf ihren Armen, die von ihrem kurzärmligen T-Shirt nicht verdeckt wurden und begann, ihren linken Arm zu verbinden.

Sirius sah auf und beobachtete sie dabei. „Brauchst du Hilfe?", fragte er sie sanft und Agnes schüttelte den Kopf.

„Ich bin Beidhänderin", erklärte sie, „Ich schaff das schon."

Sirius sah ihr noch einen Moment länger zu, bevor er zu ihr rutschte und ihr den Verband doch aus der Hand nahm.

Agnes wollte nicht, dass er ihr half, aber gleichzeitig wehrte sie sich nicht dagegen, als er begann, den Verband um ihren linken Unterarm zu binden. Sirius schien verstanden zu haben, was Agnes damit erreichen wollte. Dort war die Narbe, die Agnes am meisten anwiderte. Abschaum. Das stand dort noch immer in so roten Buchstaben in der Handschrift ihrer Mutter, als wäre die Wunde frisch. Agnes kannte den Zauber nicht, den Agnolia darauf gewirkt hatte, aber sie vermutete, dass dieses Mal auf ihrem Körper für immer so aussehen würde. Sie versuchte, stolz auf ihre Narben zu sein.

In Hogwarts hatte sie ihre Narben häufig versteckt. Zuerst nur jene, die vom Fluch der Schwarzen Rose auf ihrem rechten Arm zu sehen waren, die sich leicht mit langärmligen Pullovern und Jacken verdecken ließen, aber dann später, in ihrem siebten Jahr, auch die Narben in ihrem Gesicht. Sie hatte einen Zauber auf ihr Gesicht gewirkt, damit man die Narben nicht mehr sehen konnte, obwohl ihre Haut dadurch wächsern und künstlich aussah, aber zu diesem Zeitpunkt war alles besser gewesen, als die Narben zu präsentieren. Als Umbridge sie mit einer magischen Feder dazu gebracht hatte, sich selbst Wörter in die Hand zu ritzen, war sie das erste Mal stolz auf eine Narbe gewesen, denn anstatt die Wörter zu schreiben, die Umbridge ihr aufgetragen hatte, hatte sie „Ich kämpfe für die Freiheit" fein säuberlich auf ihrer eigenen Haut verewigt. Darauf war Agnes stolz gewesen und keinen Moment lang hatte sie versucht, diese Wörter zu verstecken.

Aber dann war Agnolia auf die Idee gekommen, ein eigenes Wort auf ihr zu hinterlassen und nun stand genau das auf Agnes' Haut, das Agnolia von ihr dachte – sie war Abschaum.

Agnes hasste diese Narbe und jedes Mal, wenn sie sie zu lange ansah, wurde sie zurückversetzt in den Keller, aus dem sie doch schon lange entkommen war. Sie wollte diese Narbe nicht mehr sehen und obwohl sie gelernt hatte, mit allen anderen Narben zu leben, so konnte Agnes den Anblick dieser nicht mehr ertragen.

Und deswegen verband Sirius ihren Unterarm auch mit einem Muggel-Verband, damit sie selbst dieses Wort nicht mehr sehen musste. Tief im Inneren wusste sie, dass sie stolz darauf sein sollte – auf jeder ihrer Narben, aber bei dieser einen schaffte sie es einfach nicht.

Sie fühlte sich sogar besser, als Sirius mit einer ordentlichen Schleife die Enden des Verbands verknotete und sie ihren Mantel wieder anziehen konnte.

„Ich habe etwas ganz besonderes mitgebracht", erinnerte sich Agnes und war froh, etwas gefunden zu haben, mit dem sie diese Stille unterbrechen konnte und aus ihrem Rucksack holte sie die gekauften Lebensmittel heraus, aber auch die Tafel Schokolade.

Sie hielt sie Sirius hin, als wäre es ein großer Schatz und für einen Moment lang sah Sirius in ihr nicht nur den Lupin, der sie in diesem Moment eindeutig war, sondern auch das Kind, das sie nie gewesen war.

Sirius lächelte glücklich. „Du hast Recht, das ist wirklich etwas ganz Besonderes."

„Ich habe sie einfach gesehen und ich musste sie einfach mitnehmen", gestand Agnes, „Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal Schokolade gegessen habe."

„Wahrscheinlich ist es schon zu lange her, Baby-Moony", grinste Sirius, „Ihr Lupins ernährt euch ja nur von Schokolade!"

„Ich bin kein –", wollte Agnes ihm widersprechen, aber Sirius ließ sie nicht ausreden.

„Aber zuerst wird etwas anderes gegessen, junge Dame", warnte er sie und holte das trockene Brot hervor und teilte es in der Mitte, bevor er eine Hälfte Agnes gab und die andere behielt – er versteckte es zwar so, dass Agnes es tatsächlich nicht bemerkte, aber er überließ Agnes die etwas größere Hälfte, „Wir können uns nicht nur von Schokolade ernähren."

„Ich glaube, ich kenne jemanden, der dir da widersprechen würde", grinste Agnes.

„Ja, ich auch", stimmte Sirius ihr zu.

„Moony." „Tia." Sie sahen sich überrascht an, als sie diese unterschiedlichen Namen gleichzeitig sagten und lachten.

„Komm schon, du musst essen", drängte Sirius sie, „Davor gibt es keine Schokolade."

„Seit wann bist du so verantwortungsbewusst?", scherzte Agnes und begann wirklich ihr Brot zu essen, aber ihre Worte hatten Sirius überrascht.

Sie hatte Recht – seit wann war er so erwachsen? Wann war das passiert? Sollte er das gut oder schlecht finden? Darüber konnte Sirius sich noch später Sorgen machen und in friedlicher Zweisamkeit verzehrten sie ihr Mahl.

Virago | Fred WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt