Prolog

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Prolog


Nun war es also soweit. Mein siebzehnter Geburtstag und damit Tag der Zeremonie. In meinem Fall sogar Tag beider Zeremonien. Heute würde ich nicht nur meine Partnerin finden, meine Seelenverwandte, meine Mate –gegebenenfalls auch meinen Mate, das ließ sich nicht vorherbestimmen-, für mich stand heute außerdem noch die Alphazeremonie auf dem Plan. Ich würde den Platz meines Vaters einnehmen und Leiter unseres Rudels werden. Zunächst noch mit Unterstützung meiner Familie, doch ab dem Moment, in dem ich das Ritual vollendete und den letzten wichtigen Schritt ging, wäre ich alleiniger Anführer des Lancon-Rudels. Ich hätte die absolute Befehlsgewalt, gleichzeitig aber auch die riesige Verantwortung, die all das mit sich brachte.

Das war okay. Auf diese Zeremonie wurde ich mein Leben lang vorbereitet und auch auf alles, was danach kommen würde. Ich war bereit, ein Alpha zu werden. Ich wusste, was jetzt geschehen würde. Wie alles ablaufen würde.

„Tyson Lancon, Alpha des Lancon-Rudels ..." Ohne etwas Weiteres hinzuzufügen, reichte man meinem Vater ein Messer. Er nahm es stumm entgegen und schnitt sich in die Handfläche. Dabei ließ er den Blick nicht von meinem Gesicht abgewandt. Auch ich sah nicht beiseite.
„Aaron Lancon, zukünftiger Alpha des Lancon-Rudels ..." Die gleiche Prozedur. Ich nahm stumm das Messer entgegen und schnitt mir in die Hand. Es ziepte kurz, tat aber ansonsten nicht weiter weh.

Erst als mein Vater seine blutende Hand auf meine drückte, begann es zu brennen. Ich verzog keine Miene.


Der Rest des Rituals war ein Kinderspiel. Mein Vater sprach seinen auswendig gelernten Text, ich rezitierte den Schwur, den mir meine Eltern seit über einem Jahr einprägten. Ich würde die Verantwortung für mein Volk übernehmen. Bla. Ich würde alles tun, um mich dieser großen Ehre würdig zu erweisen. Bla bla.
Währenddessen hielten unsere blutenden Hände sich fest umklammert.

Ich spürte keinen Unterschied zwischen vorher und nachher. Vielleicht lag das daran, dass das Ritual noch nicht beendet war. Vielleicht auch daran, dass ich viel zu aufgeregt war. Ich wollte endlich in den nächsten Teil des Abends übergehen – die zweite Zeremonie. Meine Mate, ich wollte sie finden. Oder ihn. Ich wollte wissen, wer es war. Mir wäre beides recht, ich wollte es nur endlich herausfinden! Wer war der Wolf, der bis an mein Lebensende an meiner Seite bleiben würde? Ich hielt diese Warterei kaum noch aus.


Die Wunden waren größtenteils schon verheilt, doch meinem Vater und mir wurden Tücher gereicht, damit wir uns das Blut von den Händen wischen konnten. Obwohl wir Werwölfe waren und uns vorzugsweise streunend im Wald aufhielten, waren wir dennoch zivilisiert.

Mein Vater beugte sich zu mir herüber. „Denk daran, du bist erst der vollwertige Alpha, wenn du deinen Mate markiert hast. Erst dann wird die Macht in dir verankert", sagte er mahnend.
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu und knurrte leise. „Ja, ich weiß. Aber dafür muss ich diese Person erstmal finden!" Den letzten Teil sagte ich lauter, damit auch die Anwesenden auf der Lichtung mich hören konnten. Sie sollten wissen, wie ungeduldig ich langsam wurde.

Meine Mutter kam lächelnd auf mich zu und strich mir über die Schultern.
„Hab Geduld, mein Schatz", sagte sie mit ruhiger Stimme. „Es wird nicht mehr lange dauern."


Nicht mehr lange ... Pah! Dass ich nicht lache. Eine geschlagene dreiviertel Stunde voller Beglückwünschungen dauerte es noch, bis ich endlich wieder vor das Rudel gerufen wurde – dieses Mal ohne meinen Vater.
Mir wurde leicht zittrig, als ich vor den versammelten Werwölfen stand – vor Aufregung selbstverständlich, nicht etwa, weil ich mir Sorgen machte. Es kam nur ganz selten vor, dass ein Wolf seinen Mate nicht fand. Mir würde das nicht passieren!

Ungeduldig blickte ich in die Menge. Na los! Sie sollten endlich anfangen mit ihrem komischen Tanz-Dings und den Kräutern und was sie nicht sonst noch alles benutzten.

Wie als würden sie meine Ungeduld fürchten, eilten ein paar auserwählte Rudelmitglieder auf mich zu. Es folgten die seltsamsten Minuten meines Lebens. Ich wurde von den Leuten umringt und mit irgendetwas beweihräuchert. Sie sprachen komische Worte und ich stand einfach nur in der Mitte und regte mich nicht. Was genau sie da taten, wusste ich nicht. An der Ausbildung dazu hatte ich nie teilgenommen und ich hatte von anderen nie etwas mitbekommen.
Eigentlich war mir das auch egal. Ich wurde nur immer nervöser, als nichts geschah. War ich doch eine der seltenen Ausnahmen? Einer, der keinen Seelenverwandten hatte und auf ewig dazu verdammt war, einsam zu leben? Ich, als Alpha? Das konnte doch nicht ...


Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ich von zu vielen Empfindungen gleichzeitig überwältigt wurde. Es funktionierte also doch!

Das erste, was ich sah, waren blaue Augen. Ein Omega? Oder waren das die Augen des dazugehörigen Menschen? Ich hatte nicht die Zeit, mich darauf zu konzentrieren und es genauer herauszufinden, denn das nächste Bild schlich sich in mein Bewusstsein. Ein Wald. Nicht mein Wald, das erkannte ich auf den ersten Blick. Nicht meine Heimat. Also ein Wolf aus einem anderen Rudel? Das wäre kein Problem. Für Mate-Verbindungen durfte man das Rudel wechseln.

Ich hörte das Knacken von Holz, als würde jemand über Zweige laufen. Dazu vernahm ich die passenden Schritte. Laufgeschwindigkeit, nicht abgehetzt, aber auch kein Spaziergang mehr. Und ich hörte jemanden atmen. Ein abgehacktes, aber nicht angestrengtes Atmen. Ich bekam eine Gänsehaut, als würde ich diesen Atem in meinem Nacken spüren.

Doch schließlich lag es an dem Geruch, der mein Herz schneller schlagen ließ und es fast dazu antrieb, aus meiner Brust zu springen. Ein Geruch, herb und doch so süß und irgendwie auch verschwitzt. Eine seltsame Kombination, aber so angenehm! Und männlich. Also ein Rüde?

Meine Sinne hörten nicht auf, verrückt zu spielen. Vor lauter Empfindungen hatte ich gar nicht gemerkt, wie ich auf die Knie gesunken war und meine Hände in dem kühlen Waldboden vergraben hatte.
„Zu ... viel!", brachte ich mühsam hervor. Das Sprechen strengte mich an. „Was kann ich tun?"


Ich hatte diese Zeremonie schon einige Male bei anderen Wölfen beobachtet – bei männlichen wie weiblichen. Es lief jedes Mal ähnlich ab. Außerdem hatte ich Freunde und Familie, die mir von ihren Zeremonien berichtet hatten und trotzdem war ich nicht auf diese Reizüberflutung vorbereitet.

„Finde ihn!" Ich konnte nicht sagen, wer redete. Normalerweise war es allen Anwesenden verboten, während der Zeremonie zu sprechen. Vielleicht war es auch mein innerer Wolf oder gar ich selbst, der nun aus Verzweiflung schrie.

Ich drückte meine Hände noch fester in den Waldboden, zog ein paar Grasbüschel heraus und sah dann selbst, wie aus meinen Händen schwarze Pfoten wurden. Mein Wolf übernahm die Oberhand. Er hatte Witterung aufgenommen! Ohne lange zu zögern, preschte ich los.

Plötzlich WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt