Sehnsucht

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In den nächsten Tagen diskutierten mein Kumpel und ich lange darüber, ob wir jemandem Bescheid sagen sollten, aber Felix hatte mich ziemlich erfolgreich von dem Gedanken abbringen können. Wie er das immer wieder schaffte, war mir ein Rätsel.

Ich vertraute ihm und er blieb in dieser Situation wesentlich gelassener als ich. Wahrscheinlich war es wirklich besser, auf ihn zu hören, bevor ich noch irgendetwas tat, was ich später bereute.

Außerdem hielt ich mich an Felix Rat und mied den Wald. Auch wenn mir das sehr schwer fiel, denn irgendetwas zog mich stärker denn je zu diesem Ort. Ich bezweifelte, dass es allein der Wunsch nach Natur war.


Heute war es besonders schlimm. Der Drang, in den Wald zu gehen und einfach nur frei zu sein, war größer denn je. Das lag bestimmt an meinem langen Fernbleiben. Entzug oder sowas.

Ich konnte mich jedenfalls kaum auf meine Präsentation konzentrieren und verstand daher noch weniger als ohnehin schon.

Frustriert schlug ich den Laptop zu und ließ mich nach hinten auf mein Bett fallen. Ich starrte an die Decke. Einfache, weiße Raufasertapete, genauso wie an den Wänden um mich herum. Mit Ausnahme der Wand mir gegenüber. Die wurde komplett von einer Foto-Tapete mit Waldmotiv bedeckt. Selbst in meinem Zimmer spiegelte sich diese Liebe wieder.

Ich hatte diese Tapete immer geliebt. Obwohl sie nichts war im Vergleich zu echten Bäumen, hatte sie auf mich stets eine beruhigende Ausstrahlung. Jetzt allerdings war es, als hätte sich meine große Liebe von mir getrennt und ich betrachtete ein letztes Mal unsere gemeinsamen Fotos.

Es brannte, es zog, es schmerzte tief in meinem Herzen und ich hatte das Gefühl, jeden Moment heulen zu müssen.

Nun hatte ich zwei Möglichkeiten: Schlug ich mir meinen Freu- Ex aus dem Kopf, oder ging ich zu ihm zurück und hoffte auf eine weitere Chance.

Auf die Realität angewandt hieße das: Verbrachte ich weitere Tage voller Sehnsucht und Zerrissenheit, oder tat ich endlich wieder das eine, von dem ich wusste, es würde mir über jeden Schmerz hinweg helfen – laufen gehen, in meinem geliebten Wald.

Ich dachte einmal darüber nach und noch einmal und noch einmal, bis ich meinen Laptop beiseite stellte, mir meine Jacke und Schuhe schnappte und fast fluchtartig das Haus verließ. Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich brauchte den Wald.


Es war schon spät in der Nacht, der Mond schien hoch am Himmel und erleuchtete meinen Weg. Es war Vollmond, ich konnte also genug erkennen.

Schon auf dem Weg begann ich zu joggen – was ich für gewöhnlich immer erst am Wald tat. Es blieb nicht beim angenehmen Laufschritt. Ich wurde immer hastiger, hatte es immer eiliger. Den Wald erreichte ich also in Rekordgeschwindigkeit, dann drosselte ich mein Tempo zwar ein wenig, war aber immer noch schneller unterwegs, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Und endlich, endlich, spürte ich es wieder. Die kühle Luft in meinem Gesicht, der Geruch nach Wald in der Nase, der weiche Boden unter meinen Sohlen. Wie hatte ich nur annehmen können, jemals darauf verzichten zu können?


Ich lief mindestens zwei Stunden, streifte in der Dunkelheit durch den Wald und hielt nur selten an, um Luft zu holen. Zum Glück war ich so ausdauernd, denn genau das brauchte ich momentan.

Den Wolf sah ich in dieser Nacht nicht, was meinen Kopf zwar beruhigte, mein Herz allerdings aufzuwühlen schien. Irgendetwas stimmte mit dem Ding ganz und gar nicht.

Trotzdem spürte ich die ganze Zeit etwas im Nacken – eine angenehme Präsenz und das Gefühl, nicht allein zu sein. Ein Gefühl von Geborgenheit.

Plötzlich WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt