Kampfarena

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„Guten Morgen ihr zwei", grüßte Anna, als wir das Wohnzimmer betraten. Sie und Tyson saßen noch am Frühstückstisch, ein weiterer benutzter Teller stand auf einem dritten Platz.
„Wo ist denn Lia hin?", fragte Aaron auch sofort. Vermutlich war er ihr heute Morgen schon begegnet.

„Sie hat gesagt, dass sie sich mit einer Freundin trifft. Wer weiß, was die Mädchen schon wieder vorhaben, du kennst sie ja." Tyson wirkte erheitert. Munter und gut gelaunt. Er saß gemütlich auf dem Stuhl zurück gelehnt und löffelte ein Frühstücksei und trotzdem hatte er auf mich diese autoritäre Ausstrahlung. Ich würde es jedenfalls nicht wagen, ihm zu widersprechen.

„Wir wollen auch gleich los", erklärte Aaron. „Miles sagt, er will endlich eigene Sachen zum Anziehen haben. Mal schauen, was Pams für uns hat." Anna lächelte und musterte mich.
„Ich fühle mich in eigener Kleidung auch immer am wohlsten. Aaron, mein Portmonee liegt noch in der Eingangshalle." Ich schluckte. Bisher hatte ich angenommen, ich würde meine Sachen selbst bezahlen, immerhin hatte ich mir extra mein Erspartes mitgenommen. Ich hatte doch nicht damit gerechnet, dass die Eltern meines neuen Freundes mich gleich neu einkleiden würden!

Ich wollte sofort widersprechen, doch Aaron beugte sich schon über den Tisch, um ein paar Weintrauben aus der Obstschale zu pflücken. Dabei gab er seiner Mum einen Kuss auf die Wange und flüsterte gerade so für mich hörbar ein: „Danke Mama."

Als er zu mir kam, reichte er mir ein paar der ergatterten Weintrauben und schob sich selbst eine zwischen die Zähne.
„Komm", nuschelte er, packte mich bei der Hand und wollte mich schon aus dem Raum ziehen, da rief Tyson ihn noch einmal zurück.

„Ach ja, Aaron! Bevor ihr zu Pamela geht", er hielt kurz inne und wartete, bis er die volle Aufmerksamkeit seines Sohnes hatte. „Tristan ist heute Nacht mit seinen Jungs von der Mission zurückgekehrt. Sie sollten dem Alpha Bericht erstatten." Aaron neigte den Kopf. „In Ordnung." Er warf seinen Eltern einen kurzen Abschiedsgruß zu, ließ mir kaum Zeit, dasselbe zu tun, da zog er mich schon aus dem Raum. Er hatte es wohl eilig.


„Wer ist Tristan?", fragte ich, als wir das Haus verließen und den kurzen Waldweg in Richtung Dorf einschlugen.
„Er ist unser fähigster Krieger. Der stärkste. Am Abend meiner Zeremonie brach er mit einigen Kriegern auf eine Mission auf und jetzt sind sie zurück. Da ich nun der Alpha bin, muss ich das noch klären, bevor wir zu Pams gehen." Aaron wirkte so, als würde er sein Leben lang schon nichts anderes tun. Es war keine Aufgabe, die ihm aufgezwungen wurde, sondern etwas, wobei er sich wohl fühlte. Als sei er dazu gemacht  und aus irgendeinem Grund gefiel mir das.

„Was war das für eine Mission?", fragte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wissen durfte, aber als Mate des Alphas würde ich doch ohnehin früher oder später alles erfahren, oder nicht? Und sollte ich es wirklich nicht erfahren dürfen, dann könnte Aaron immer noch schweigen ... tat er aber nicht.

„Es gibt ein paar Unruhen im Osten und langsam dehnt sich das auf den Süden aus. Die Krieger sollten nachsehen, was dort los ist und ob Gefahr für uns besteht."
„Okay." Mehr brachte ich nicht hervor und selbst dieses eine Wort kam mir schwer über die Lippen. Aaron bemerkte meinen Stimmungswechsel.
„Du brauchst dir keine Sorgen machen. Es wird schon nichts sein und selbst wenn doch, dann haben wir das früh genug erfahren und können Maßnahmen ergreifen. Es ist nicht so, dass im Osten schon Krieg herrscht, wie gesagt, es sind nur Unruhen. Tristan wird uns berichten, was genau los ist."

„Das ist nicht das Problem", gestand ich. Ich wusste, dass diese Unruhen nichts mit mir zu tun hatten, aber ... „Wenn es sowieso schon unruhig ist, was wird dann passieren, wenn die anderen Rudel von mir erfahren?" Davon, dass ich kein richtiger Wolf war und Aaron so lange auch nicht der richtige Alpha. Was dann?

Aaron blieb stehen und nahm meine Hand in seine. Er verschränkte unsere Finger.
„Miles, mach dir darum keine Gedanken. Es werden so wenige Leute wie möglich davon erfahren."
„Was soll ich sagen, wenn mich einer nach meinem bisherigen Leben fragt?" Diese Frage hatte ich mir nun schon häufiger gestellt und ich wusste, irgendwann würde genau das passieren. Irgendwann würde mich jemand ausfragen, der nicht die ganze Wahrheit wissen durfte. Was sollte ich demjenigen dann erzählen?

„Sag, dass du Einzelläufer bist. Du kannst dich an dein Rudel nicht mehr erinnern, weil du noch jung warst und wurdest dann von Menschen großgezogen, die jedoch nichts von deinem Wolf wissen", erklärte Aaron. Es war zwar nicht die komplette Wahrheit, aber dennoch keine Lüge. Eigentlich hätte ich selbst darauf kommen können, doch in meinem Kopf existierten bisher nur die Sorgen.

„Und jetzt komm. Wir sollten uns beeilen." Aaron ließ meine Hand nicht los, während er mich durch das Dorf führte. Mittlerweile ängstigten mich die fremden Blicke nicht mehr ganz so sehr, obwohl es trotzdem noch ein ungewohntes Gefühl war. Jeder schien zu wissen, wer ich war – der Mate ihres Alphas.


Aaron führte mich zu einem Gebäude, das mich von außen stark an eine Lagerhalle erinnerte und von innen ... auch. Es war tatsächlich irgendeine Art Halle, umfunktioniert zu einer Kampfarena.
Das erste, was wir beim Betreten des Gebäudes hörten, waren Kampfgeräusche, doch Aaron war ruhig, also blieb ich es auch.

Und dann erkannte ich, woher die Geräusche kamen. In einer der Ecken, eingezäunt wie in einem Boxring, gingen zwei Wölfe aufeinander los. Wie gebannt starrte ich auf die beiden Kreaturen. Ich wusste sofort, dass keine Gefahr von ihnen ausging, weder für mich, noch für die umstehenden Menschen, und auch nicht füreinander. Vor allem wusste ich es, weil Aaron lächelte und sich dem Ring näherte. Ich folgte.

Ich wusste nicht, ob das hier wirklich ein Wettkampf war, aber es war offensichtlich, welcher der beiden Wölfe gewinnen würde. Das erkannte sogar ich als Unerfahrener.
Einer der beiden – weißes Fell und riesengroß – thronte über dem kleineren Wolf, der sich auf dem Boden zusammenkauerte. Graues Fell und eisblaue Augen. Ich kannte ihn!

Der Weiße fletschte die Zähne, knurrte wütend und schnappte nach seinem Gegner. Der wich zurück, was den Weißen nur noch wütender werden ließ. Auch Aaron neben mir presste die Zähne aufeinander.
„Verdammt Henry, nun wehr dich!", knurrte er. Er sprach nicht laut, aber der Wolf schien es dennoch zu hören. Verwirrt blickte er in unsere Richtung und rappelte sich sofort vom Boden auf.

Als ersten Impuls schien er erneut zurückweichen zu wollen, doch Aaron starrte ihn finster an und Henry drehte sich wieder zu dem weißen Riesen. Er fühlte sich sichtlich unwohl, ich konnte es ihm nachempfinden. Tauschen wollte ich mit ihm nicht.

Henry sammelte sich, preschte dann aber vor und versuchte den Weißen zu erwischen – irgendwo. Ohne Erfolg. Stattdessen wurde er selbst mit einem einzigen Stoß zu Boden geworfen. Er jaulte auf und ich zuckte zusammen.

Bevor ich auch nur daran denken konnte, etwas zu sagen, erklärte Aaron mir: „Tristan ist Henrys Ausbilder. Sie trainieren. Mach dir keinen Kopf, es ist alles gut. Tristan würde ihn niemals ernsthaft verletzen." Ich glaubte Aaron und doch zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn der kleine, graue Wolf einstecken musste. Er hatte doch sowieso keine Chance.


Der Kampf dauerte noch einige Minuten, dann erklang ein hoher Pfeifton durch die gesamte Halle. Sofort wich der weiße Wolf zurück, obwohl er gerade seine Tatze zu einem Schlag erhoben hatte. Ich seufzte vor Erleichterung auf. Das hätte ich wirklich nicht mehr mit ansehen wollen. Aaron lächelte mich wissend an.
„Alles okay?", fragte er leise und ich nickt knapp. Ja, gerade noch so.

Die Wölfe aus dem Ring kamen auf uns zu. Noch während des Weges verwandelte der weiße Wolf sich zurück in einen Menschen – und zwar in was für einen! Mindestens zwei Meter groß, haufenweise Muskeln und sicherlich kein Gramm Fett am Körper. Oh Gott, mit dem würde ich mich in keiner Form anlegen wollen.

Ihm wurde eine Art Tuch gereicht, dass er sich um die Lenden band, dann verließ er den Ring. Er neigte den Kopf, sowohl vor Aaron als auch vor mir. Den Kopf hielt er gesenkt, was aber auch lediglich an unserem Größenunterschied liegen konnte.
„Miles? Magst du mitkommen, oder hier warten?", fragte Aaron, der in Richtung einiger Türen zeigte. Gerade stiegen zwei Männer in den Ring, die ebenbürtiger aussahen, als der große Tristan und der schmächtige Henry. Vielleicht würde dieser Kampf keine bloße Erniedrigung werden und möglicherweise konnte ich beim Zuschauen sogar etwas lernen.
„Ich bleibe lieber hier", erklärte ich also. Aaron würde mir schon erzählen, wenn Tristan etwas Wichtiges zu sagen hatte.


Aaron und Tristan gingen fort und ich sah ihnen noch einen Moment hinterher. Obwohl Tristan so ein Berg von Mensch war, war klar zu erkennen, wer von den beiden das Sagen hatte. Tristan gab sich ja fast unterwürfig. Obwohl sie sich noch nicht mal unterhielten, war Aaron ganz klar die Autoritätsperson. Warum hatte ich das vorher bei ihm nie wahrgenommen?

Dann fiel mir doch ein Moment ein, in dem er definitiv Autorität ausgestrahlt hatte – nämlich im Beisein von Henry. Und ausgerechnet der zog gerade meine Aufmerksamkeit auf sich.
„Hallo", sagte er schüchtern und trat neben mich. Er trug ebenfalls ein Tuch um die Hüften und hatte ein paar Schrammen auf Gesicht und Oberkörper. Ich verzog das Gesicht. Autsch.

Henry bemerkte den Blick und schüttelte schnell den Kopf. „Oh, mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut. Das ist nicht schlimm", versicherte er sofort. Er lächelte sogar.
„Läuft das bei euch immer so ab?", fragte ich. Die Vorstellung war irgendwie erschreckend, aber ich würde mich wohl leichter mit eben Gesehenem abfinden können, wenn das hier Normalität war.
„Meistens. Also zumindest zwischen mir und Tristan. Er will mich stärker machen, damit ich die Prüfungen schaffen kann." Zum Ende hin wurde er leiser und mir fiel wieder ein, dass er ein Jahr warten musste, bis er wieder zur Prüfung antreten durfte.

„Tut mir leid wegen deiner verhauenen Prüfung", sagte ich. Irgendwie war ich ja auch mit schuldig, denn wenn ich nicht zu diesem Zeitpunkt im Wald aufgetaucht wäre oder wenigstens an der Schlafstelle geblieben wäre, dann hätte Henry vermutlich bestanden. Doch er winkte ab.
„Es muss dir nicht leid tun, es war doch mein Fehler. Ich war einfach noch nicht so weit." Er blickte in die Ferne und schien einen Moment seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, dann schüttelte er den Kopf und sah wieder zu mir.

„Nun ja, jetzt habe ich wenigstens ein Jahr, um zu trainieren. Ich kann nur besser werden, oder?", versuchte er sich an einem Scherz und entlockte mir tatsächlich ein Schmunzeln. „In der Tat."

„Wirst du auch ein Hüter?", fragte er da plötzlich und ich zog verwundert die Augenbraue hoch. „Was?"
„Na hier, ob du auch die Ausbildung beginnst? Seid ihr deswegen hier?" Ich schüttelte langsam den Kopf hin und her. Henry verwirrte mich gerade.
„Tristan ist von seiner Mission zurück und soll Aaron Bericht erstatten", erklärte ich unser Erscheinen. Henry wusste doch von der Mission, oder? Ich plauderte hier doch keine Geheimnisse aus?

Zum Glück wechselte Henry sowieso zurück zum ursprünglichen Thema.
„Nun ja, ich dachte halt, da du auch ein Omega bist, dass du ein Hüter wirst. Die meisten Omegas in diesem Rudel werden Hüter. Betas für gewöhnlich Krieger, weil sie stärker sind. Was hast du denn in deinem Rudel gemacht?" Ich schluckte.
„I-ich war in keinem Rudel. Ich bin bei Menschen aufgewachsen."

Henry bekam große Augen. „Wirklich? Du warst Einzelläufer? Oh man, das tut mir leid für dich. Ähm, En-entschuldigung. Ich, ich wollte nicht ..." Er verhaspelte sich. „Ich wollte nicht taktlos sein. Du hast bestimmt Schlimmes erlebt und ich plappere einfach so drauf los. Tut mir leid." Und ohne noch etwas zu sagen, drehte er sich mit rotem Kopf um und stapfte davon. Okay? Reagierten alle Wölfe so, wenn sie einem Einzelläufer begegneten?

Jetzt erst widmete ich mich den beiden kämpfenden Wölfen vor mir im Ring. Oh ja, das war definitiv mal etwas anderes als das Training von Tristan und Henry. Das hier konnte man schon als echten Kampf bezeichnen. Ich war gleichermaßen fasziniert wie schockiert.


Es dauerte noch zwei Runden, bis Aaron plötzlich neben mir auftauchte. Er sah nicht beunruhigt oder besorgt aus, also schien alles in Ordnung zu sein.
„Es gibt im Südosten ein paar Probleme mit Jägern, aber die Rudel halten zusammen und für uns besteht keine Gefahr. Wir werden lediglich die Wachposten erhöhen, für alle Fälle, und dann sollte das geregelt sein", erklärte er, während wir uns auf den Weg nach draußen machten.
Mich beruhigten die Neuigkeiten, zumindest blieben die Selbstzweifel für den Moment still.

„Das glaub ich jetzt nicht!" Wir hatten gerade die Halle verlassen, als Aaron grinsend zur Seite zeigte. Ein Pärchen stand an der Wand, in wilder Zungenaktion aneinander geklebt. Zuerst wusste ich nicht, was Aaron meinte –als ob küssende Teenager so eine Seltenheit wären- doch dann erkannte ich sie.

„Thalia, Thalia. Was machst du nur, hm?", fragte Aaron in einem leichten Singsang, aber breit grinsend und näherte sich seiner Schwester. Die wich sofort von dem Kerl zurück, den sie eben noch umklammert hatte und starrte Aaron mit geröteten Wangen an. „Mum und Dad sagten, du seist bei einer Freundin?"

Lia verschränkte ihre Finger ineinander und schien nach Worten zu ringen.
„Ja, sie – sie sollen noch nichts von uns wissen." Sie deutete auf sich und den Jungen an ihrer Seite, der ebenso rot anlief wie sie. „Bitte sag ihnen nichts." Ich wusste zwar nicht, warum Lia das geheim halten wollte, Anna und Tyson wirkten auf mich nicht wie die klischeehaften Eltern, die ihrer Tochter jegliche Liebesbeziehung bis zur Volljährigkeit verbieten wollten, aber sie hatte sicherlich ihre Gründe.

Aaron verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bekomme deinen Nachtisch – für einen Monat." Er sagte das mit einer Ernsthaftigkeit, die mir ein kurzes Prusten entlockte. Das waren dann wohl ganz normale Diskussionen unter Geschwistern. Lia fing sofort an zu verhandeln: „Eine Woche!"
„Drei."
„Zwei. Bitte Aaron." Er seufzte.
„Na gut, zwei Wochen und ich sage nichts. Allerdings ..." Aaron sah mich an. „Was bekommt Miles für sein Schweigen?" Lias Blick verfinsterte sich und ich beschloss, sie nicht zur Feindin haben zu wollen.
„Ist schon gut", sagte ich daher. „Ich schweige auch so." Aaron murmelte ein leises „Spielverderber", schien es jedoch nicht ernst zu meinen. Er zwinkerte mir zu.

„Na dann, wir wollten los", sagte er schließlich. „Viel Spaß euch beiden noch." Dann nahm er wieder meine Hand. „Na komm, Pams wartet sicher schon. Ich habe uns bereits angekündigt." Lia, die sich gerade wieder ihrem Freund widmen wollte, hielt inne.
„Ihr geht zu Pamela? Darf ich mitkommen?" Sie schien sich zu freuen wie ein kleines Mädchen, das ein Prinzessinnenschloss besichtigen durfte.

Aaron wollte etwas sagen – seinem Gesicht nach zu urteilen, ablehnen – doch Lia kam ihm zuvor: „Komm schon, großer Bruder. Den Rat einer Frau kann man beim Shoppen immer gebrauchen."
„Nun ja, eher Mädchen, oder?", neckte Aaron und Lia stemmte die Hände in die Hüften.
„Ich bin schon 15!" Aarons Grinsen wurde breiter.
„Sag ich ja."

Lias Arm schnellte vor und zwickte Aaron in die Seite. Er lachte auf und tat dasselbe bei ihr. Wir anderen beiden schienen vergessen, während die Geschwister sich gegenseitig kitzelten und zwickten und neckten. Ich beobachtete das Ganze lediglich mit einem wehmütigen Lächeln. Ich musste an Merle denken. Das hätten glatt sie und ich sein können. Sie fehlte mir.


Letzten Endes hatte wohl Lia gewonnen, denn sie verabschiedete sich mit einem innigen Kuss von ihrem Freund, flüsterte ihm noch etwas ins Ohr und begleitete uns dann in ein kleines Geschäft.

„Da seid ihr ja endlich! Kommt rein, kommt rein", wurden wir von einer Frau begrüßt, die geschäftig durch den Laden wuselte. Ihre angegrauten Haare trug sie zu einem Dutt zusammen gebunden. Sie lächelte uns breit an, ohne jedoch auch nur eine Sekunde in ihrem Tun innezuhalten.
„Wollt ihr etwas Tee? Kaffee? Sekt?" Beim letzten Wort zwinkerte sie uns zu, ließ uns aber gar nicht die Möglichkeit, zu antworten, denn schon verschwand sie in einen anderen Raum.

Überfordert war ich mitten im Laden stehen geblieben, Lia fing bei meinem Anblick zu grinsen an. „Du wirst dich schon noch an sie gewöhnen. Sie ist ein kleines Energiebündel", kicherte sie.
„Pams weiß, was sie tut. Und sie weiß, warum wir hier sind. Ich bin mir sicher, sie hat schon einiges vorbereitet", erklärte Aaron und deutete auf eine Sofaecke, auf der wir uns niederließen, bis der Wirbelwind zurückkehrte – mit Tee und Gebäck.

Nachdem sie alles auf dem kleinen Tisch vor uns abgestellt hatte, kam sie dann endlich dazu, sich selbst vorzustellen. Sie reichte mir die Hand und sagte: „Hallo. Ich bin die Pamela. Du bist Miles? Aaron hat gesagt, du brauchst Kleidung." Sie musterte mich von oben bis unten. „Ah, ja, ich seh' schon. Du bist doch sicher eher der sportliche Typ, oder? Ich schau mal, was ich finden kann." Und dann war sie schon wieder weg.

Ich sah Aaron mit großen Augen an, der aber lachte nur. „Wie Lia schon sagt, du wirst dich an sie gewöhnen."


Wir verbrachten locker zwei Stunden in dem Laden – hatte Aaron nicht gesagt, dass sie hier nur eine kleine Auswahl hätten? Also wir mussten dringend mal unsere Definitionen von ‚klein' abgleichen. Lia hatte gute Ratschläge gegeben, was mir stand und was nicht, von Aaron kamen da eher weniger hilfreiche Kommentare, bis Pamela ihm den Teller mit den Plätzchen weggenommen hatte. Ich hatte bisher gar nicht gewusst, dass Aaron so eine Naschkatze war. Es brachte mich zum Schmunzeln.

Zum Abschied umarmte Pamela uns alle.
„Ich drück dir die Daumen, dass das mit deinem Wolf funktioniert." Der Satz ließ mich innehalten. Woher wusste sie davon? Keiner von uns hatte etwas in die Richtung angedeutet. Aaron kam mir zu Hilfe, als er erklärte: „Tobias ist ihr Mate. Da bekommt sie zwangsweise etwas mit. Sie ist zwar eine Quasselstrippe, aber bei sowas kann man ihr vertrauen. Sie wird aufpassen, dass die Information nicht an falsche Ohren gerät."

So langsam fragte ich mich, wem man in diesem Rudel eigentlich nicht vertrauen konnte. Es schien doch ohnehin fast jeder davon zu wissen, warum also hier ein Geheimnis daraus machen? Das war es doch schon lange nicht mehr.

„Gibt es denn schon Neuigkeiten?", fragte ich hoffnungsvoll an Pamela gerichtet. Ich wollte endlich ein Wolf werden, das würde so viele meiner Sorgen verschwinden lassen. Doch die Frau lachte nur herzlich.
„Liebster, Tobias ist gestern erst aufgebrochen. Es dauert noch ein wenig, bis er mit einer Lösung für dein kleines Problem zurück ist."

Aufgebrochen? Ich hatte nicht gewusst, dass er für Informationen das Lager verlassen musste. Doch Aaron und Lia schien das nicht zu überraschen und so verabschiedeten wir uns noch einmal und verließen dann das Geschäft.


Vollbepackt mit Tüten kamen wir im Glashaus an. Da Aarons Kleiderschrank schon voll war, brachten wir die neuen Klamotten im Gästezimmer unter.
Aaron schrieb eine kurze Notiz im Büro, während ich in der Tür wartete und dann servierte er mir ein bereits zubereitetes Mittagessen im Wohnzimmer. Tyson und Anna waren nirgends zu sehen.

„Uhm, Aaron?", fragte ich, als wir unsere leeren Teller in die Küche räumten. „Also Henry hat da vorhin was gesagt." Etwas, das mich seit dem nicht mehr ganz losließ. Ich musste Aaron danach fragen. „Er hat gefragt, ob ich auch Hüter werde, weil ich ein Omega bin, doch ich ... ich ..." Ich geriet ins Stocken, denn ich wusste selbst nicht, was ich dazu sagen wollte. Ich will das nicht? Oder sogar ich will, kann aber nicht?

Ich hatte bisher nicht darüber nachgedacht, was ich tun würde, sobald ich meinen Wolf erweckt hatte. Gab es irgendwelche Aufgaben, die man als Mate des Alphas erfüllen musste? Hatte ich diesbezüglich irgendwelche Pflichten? Und was lag mir eigentlich. Was konnte und wollte ich?

Aaron seufzte. „Mit der Frage müssen wir uns erst auseinandersetzen, wenn es so weit ist. Das hat keine Eile. Erstmal konzentrieren wir uns auf deinen Wolf und dann schauen wir gemeinsam, was dir liegt und Spaß macht, ja?" Ich nickte zögernd.
„Was macht Anna?" Ich wollte nicht direkt fragen, ob ich in irgendeine bestimmte Richtung gehen müsste, doch vielleicht könnte ich mir durch Annas Berufswahl ein besseres Bild von den Aufgaben machen.

Aaron legte den Kopf schief und musterte mich.
„Versuchst du, herauszufinden, ob du irgendwelche Pflichten hast?" Verdammt, natürlich hatte er mich durchschaut! Ich nickte verlegen. Andererseits: Was war schon dabei? Ich wollte eben wissen, welche Rolle ich hier zu spielen hätte, das war doch nichts Verwerfliches.

„Um deine erste Frage zu beantworten: Meine Mutter ist Lehrerin hier. Sie unterrichtet zusammen mit ein paar Ältesten die Kinder. Zur zweiten Frage: Nein, du hast keine besonderen Pflichten, aber du darfst –wenn wir das beide wollen- den Alpha unterstützen und begleiten, wenn er zum Beispiel das Lager für längere Zeit verlassen muss. Oder du bleibst in der Zeit hier und erhältst an meiner statt das Kommando über das Rudel. Das würden wir dann aber gemeinsam entscheiden und du wärst zu nichts gezwungen", erklärte Aaron und irgendwie beruhigte mich das.

„Du wirst Zeit haben, dir eine Aufgabe auszusuchen, aber ich rate dir, damit zu warten, bis du deinen Wolf kennst. Vielleicht entwickelst du ungeahnte Fähigkeiten – allein aus menschlicher Sicht wird es dir wohl schwer fallen, dich für etwas zu entscheiden, denn dein Wolf wird auch bestimmte Stärken und Schwächen haben, die eine wichtige Rolle bei deiner Wahl spielen könnten." Das verstand ich, es ergab erstaunlich viel Sinn und nahm mir zumindest vorläufig eine Sorge. Aaron sagte, es war okay, ja, er riet mir sogar dazu, also konnte ich alle Gedanken um meine zukünftige Aufgabe noch weiter nach hinten schieben und mich auf aktuelle Probleme konzentrieren.


Mittlerweile waren wir auf dem Flur im Obergeschoss angekommen.
„Und? Kommst du heute Abend gleich in mein Zimmer oder schleichst du dich wieder mitten in der Nacht heimlich zu mir ins Bett?", fragte Aaron mit einem breiten Grinsen. Ich grinste ebenfalls, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand ohne ein Wort im Gästezimmer. Aarons verblüfften Blick spürte ich im Rücken und es entlockte mir ein Kichern.

Ich schnappte mir mein Handy und ein paar meiner Sachen und quartierte mich dann in Aarons Zimmer ein. Er wirkte erleichtert.

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