Wolfsgerede

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Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann regte sich das Tier. Es stand auf und wandte mir den Rücken zu. Dann verschwand es im Gebüsch.

Was sollte das denn jetzt?

Vielleicht war das eine dumme Idee, doch ich folgte ihm. Ich wollte wissen, wohin er verschwand, warum er verschwand und ich wollte auch mein Herz beruhigen, das danach schrie, nicht verlassen zu werden.

Und irgendwie war es auch mein Herz, das mir den Weg wies. Sonst hätte ich nicht gewusst, wo lang ich gehen sollte, denn kaum hatte ich das Gebüsch auf der anderen Seite verlassen, fehlte von dem Wolf jede Spur.

Ich ließ mich von meinen Gefühlen leiten und kam zu einem großen Baum, dessen Wurzeln stark an den Eingang einer Höhle erinnerten. Es war zwar keine wirklich tiefe Höhle, aber eben doch gut genug, um sich zumindest für einen Moment verstecken zu können.

Ich trat näher und erkannte zwischen den Wurzeln ... kein schwarzes Fell, sondern rote Haare. Keinen Wolf, sondern einen Menschen! Ein Junge, etwa in meinem Alter. Er saß auf dem kühlen Waldboden und trug obendrein kein Fetzen Kleidung am Körper. Meine Gedanken spielten verrückt.

Wer war das? Was tat diese Person hier im Wald? Warum hatte er nichts an? Und das Wichtigste: Wo zur Hölle war mein Wolf?

Der Junge blickte auf, als ein Zweig unter meinen Füßen knackte. Durch braune Augen sah er mich abwartend an. Er wirkte nicht erschrocken, verlegen oder hilfsbedürftig. Viel eher sah er so aus, als hätte er gewusst, dass ich hier sei. Irgendwie erinnerte sein Gesichtsausdruck mich an den des Wolfes, als der aus dem Gebüsch getreten war und sich gesetzt hatte. Er strahlte dieselbe Ruhe aus. Dieselben Empfindungen.

Mein Gehirn funktionierte wie auf Autopilot. Ich streifte mir meine Jacke von den Schultern und reichte sie ihm. Er sollte wenigstens etwas haben, um sich zu bedecken. Zum Reden war ich scheinbar noch nicht imstande.

Der Junge nahm die Jacke entgegen und lächelte dankbar. Irgendwie schaffte er es, das Nötigste zu bedecken, dann stand er auf.

„Entschuldigung", war das Erste, das er zu mir sagte, gefolgt von: „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nicht bedacht, dass du Probleme mit Rudelwölfen haben könntest." Perplex starrte ich ihn an.

„Was?" Wovon redete dieser Kerl da bitte? Doch er gab mir keine Erklärung, sondern grinste bloß und tat es mit einer Handbewegung ab.

„Ich weiß, als Omega bist du von Natur aus zurückhaltend und als Einzelläufer auch noch misstrauisch gegenüber jedem anderen. Vor mir hast du jedoch nichts zu befürchten. Und vor meinem Rudel auch nicht. Versteht sich."

„D-deinem Rudel?" Konnte dieser Typ bitte vernünftig mit mir reden, wie ein normaler Mensch? Der Junge schien meine Verwirrtheit nicht zu bemerken – oder er ignorierte sie einfach.

„Ja, das Lancon-Rudel. Hast du bestimmt schon mal von gehört, je nachdem, wann du Einzelläufer wurdest. Welchem Rudel gehörtest du an?" Wie konnte er so gleichgültig über so verrückte Dinge reden? War er das? Verrückt?

„Ähm, gar keinem?" Sollte ich ihm sagen, wie durchgeknallt all das klang, was da aus seinem Mund kam?

„Sag nicht, du warst ein Clanwolf. Von solchen Verbindungen habe ich noch nie gehört. Das würde aber erklären, warum du vor Schreck umgekippt bist, als du einem Rudeltier gegenüber standest."

„Könntest du bitte aufhören, so ein Zeug zu reden?", entfuhr es mir verärgert. Ich wollte gar nicht laut werden, aber dieser Kerl verwirrte mich. Mit seinen Worten, aber auch mit den Gefühlen, die er in mir auslöste. Zufriedenheit. Geborgenheit. Heimat. Wie war das möglich?

Plötzlich WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt