Waldläufer

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„Mir ist so langweilig!", quengelte ich, als ich auf die Uhr sah und sich seit meinem letzten Blick nicht viel verändert hatte. Genau genommen war der Minutenzeiger mickrige zwei Striche nach vorne gerückt.

„Jetzt hab dich nicht so. Es ist doch nur noch eine halbe Stunde. Und danach zwei Stunden Politik und dann hast du's schon geschafft", flüsterte mir mein bester Freund zu. Seine Worte sorgten nicht unbedingt dafür, dass ich mich besser fühlte und im Gegensatz zu mir tat Felix wenigstens so, als würde er sich auf die Lehrerin konzentrieren.

„Im ernst, wenn jetzt nicht bald etwas Spannendes passiert, dann schlafe ich hier ein vor Langeweile."

Konnte man Unwohlsein heraufbeschwören? Mir ging es jedenfalls gerade so, obwohl ‚Unwohlsein' vielleicht ein wenig übertrieben war. Meine Nackenhaare stellten sich auf, mein Herz begann schneller zu schlagen. Mein Körper reagierte tatsächlich so, als hätte er vor irgendetwas Angst, ohne sich dabei aber wirklich zu fürchten. Was war nur mit mir los?

„Entschuldige mich kurz", nuschelte ich Felix zu, obwohl es eigentlich die Lehrerin war, die mich entschuldigen müsste. Dann kämpfte ich mich von meinem Sitzplatz und verließ fluchtartig den Raum.

Zielpunkt war die Jungentoilette. Ich stützte mich auf einem Waschbecken ab und starrte meinem Spiegelbild entgegen. Es wirkte harmlos, fast sogar schon beruhigend. Grinste ich mir da gerade etwa selbst entgegen?

Die Symptome, die ich eben im Klassenraum noch empfunden hatte, waren verschwunden. Stattdessen war mir nur noch warm! Eine innere Hitze, die ich mir nicht erklären konnte. Irgendetwas war doch gerade ganz und gar nicht in Ordnung mit mir, oder? Wurde ich vielleicht wieder krank?

Die Tür zog meine Aufmerksamkeit auf sich, genauer gesagt die Person, die durch sie hindurch kam. Braune Locken. Schelmisches Grinsen.

„Miles, ist alles okay mit dir?", fragte Felix und musterte mich. Er schien nichts Besorgniserregendes festzustellen, denn sein Grinsen blieb bestehen, als sei es im Gesicht festgefroren.

„Ja, ja, mir geht es gut", antwortete ich. Dann sah ich wieder zu meinem Spiegelbild und entschied mich um.

„Wobei, eigentlich nicht. Irgendwie fühle ich mich nicht so gut. Würdest du mich in Politik entschuldigen?"

Felix stellte keine unnötigen Fragen. Das mochte ich so sehr an ihm. Er nickte und musterte mich noch einmal von oben bis unten, diesmal kritischer. „Geh nach Hause und ruh dich aus. Ich schicke dir die Unterlagen dann. Und wenn was ist, sagst du Bescheid, okay?"

„Du bist mein Held."

Es war ein schönes Gefühl, im Bett liegen zu können und Serien zu schauen, während die Mitschüler in der Schule schuften mussten.

Gut war dieses Gefühl jedoch nur so lange, bis Felix mir einen Stapel Aufgaben schickte. So viel konnten die doch niemals in den zwei Stunden durchgenommen haben?!

Felix angehängte Textnachricht erklärte die Fülle der Aufgaben: >Die Gernah sagt du sollst dich für die nächste stunde auf eine präsentation vorbereiten, weil du so wenig sterne hast. Ich glaub die kann dich echt nicht leiden. Hat mir ein haufen unterlagen für dich mitgegeben die du dafür benutzen kannst/sollst frag mich nicht, kein plan<

Meine Laune war im Eimer. Ein Vortrag in Politik war das Letzte, was ich jetzt noch wollte. Es hatte schon seinen Grund, warum ich kaum Sterne in diesem Fach hatte. Alles, was auch nur ansatzweise mit Politik zu tun hatte, wollte einfach nicht in meinen verdammten Schädel. In den vergangenen Schuljahren hatte ich immer gerade so viele Sterne gesammelt wie nötig waren, um das Jahr zu bestehen.

Plötzlich WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt