Heimkehr

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Wir blieben fünf Tage im Summer-Rudel, bis Penelope mich wieder für reisefähig erklärte. Ich hatte Jack in der Zeit besser kennengelernt. Er war freundlich und hilfsbereit, geduldig und aufmerksam und ich mochte ihn nicht. Da war dieses Stechen in meiner Brust, jedes Mal, wenn ich sah, wie unbeschwert Aaron und Jack miteinander umgingen. Waren sie zu zweit, schienen keine Probleme zu existieren.

Und da waren diese Blicke, immer wenn sie glaubten, dass ich nicht hinsah. Darin war keine Verliebtheit zu erkennen und auch keine Begierde, aber es waren Blicke, die verrieten, dass die beiden definitiv eine Vergangenheit zusammen hatten. Eine Vergangenheit, die keinesfalls schlimm geendet hatte und die unter anderen Umständen vielleicht nicht mal Vergangenheit wäre.

Als die Summers uns verabschiedeten, zog Jack Aaron beiseite, um mit ihm unter vier Augen zu reden. Grummelnd wandte ich meinen Blick von ihnen ab und fragte stattdessen Tristan, wie lange wir etwa unterwegs wären. Ich war so abgelenkt von Jack und Aaron, die hinter meinem Rücken wer weiß was  beredeten, dass ich die Antwort gar nicht erst mitbekam.

Tristan war aufmerksamer als ich. Sein Blick glitt kurz hinter mich, dann sah er mich mit einem aufmunternden Lächeln an.
„Mach dir keine Sorgen Miles. Jack war mein Schüler, ich kenne ihn gut. Selbst ohne Mate wäre er absolut ehrenhaft, ebenso wie Aaron. Wenn mal was zwischen denen lief –was ich nicht genau sagen kann- dann war das spätestens an Jacks siebzehnten Geburtstag vorbei." Ich glaubte ihm und doch war die Sache nicht leichter zu ertragen.


Als Aaron sich wieder zu uns gesellte, griff er nach meiner Hand. Ich wehrte mich nicht, erwiderte den Druck aber auch nicht. Gerade war ich absolut nicht in Stimmung für Nähe.
Wir verließen das Lager schweigend, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Wir waren schon ein paar Minuten gelaufen, da hielt Aaron plötzlich an und weil er noch immer meine Hand hielt, blieb auch ich stehen.
Er warf Tristan einen bittenden Blick zu und der schien zu verstehen. Er lief weiter, ließ uns für einen Moment allein. Hier im Summer-Territorium drohte sowieso keine Gefahr.

Aaron zog mich näher zu sich, verschränkte unsere Finger miteinander. „Es tut mir leid, Miles", sagte er ruhig. „Ich wusste nicht, dass dich das so fertig macht."
Ich drehte meinen Kopf zur Seite, wollte ihn gerade nicht ansehen.
„Wir haben das doch schon beredet. Es war nicht deine Schuld, ich werde sowieso oft krank und ..." Doch Aaron unterbrach mich.

„Das meine ich nicht. Ich meine das mit Jack. Er war damals neben Cami mein bester Freund und bei der Freude, ihn wiederzusehen, habe ich gar nicht bedacht, was das in dir auslösen könnte." Seine Stimme war leise, aber flehend. Es tat ihm wirklich leid. „Zwischen mir und Jack ist nichts, gar nichts, wirklich nicht. Er hat Simon und ich habe dich. Für nichts auf der Welt würde ich das aufgeben, ja?" Er hob unsere Hände ein Stück an, sah auf die verschränkten Finger. Ich folgte seinem Blick.

„Ja, ich weiß, unsere Mate-Verbindung ist etwas Besonderes, du würdest sowieso mit niemand anderem glücklich werden, ich hab es verstanden", sagte ich, mein Ton abweisender als ich es beabsichtigt hätte. Doch unsere Mate-Verbindung änderte nichts daran, dass Aaron und Jack freiwillig zueinander gefunden hatten und dass mit Jack so vieles einfacher wäre. Mit ihm gäbe es keine Probleme.

Aaron strich mir über die Wange, brachte mich so dazu, ihn wieder anzusehen. „Es ist nicht nur unsere Verbindung Miles. Ich würde auch so nur bei dir bleiben wollen, weil ... weil ich dich liebe, okay? Es ist nichts, was mir irgendwer oder irgendwas vorgeschrieben hat. Du bist so anders als alles, was ich kenne und das ist gut. Und ich hab dich gern. Sehr, sehr gern", sprach er und ich lächelte sanft. Es tat gut, das zu hören. Mein Herz schlug aufgeregt, meine Stimmung hellte sich auf, in meinem Bauch machte sich ein warmes Kribbeln breit und ohne noch länger darüber nachzudenken, beugte ich mich vor und presste meine Lippen auf seine.

Aaron erwiderte den Kuss sofort, packte mich an der Hüfte und drückte uns so dicht aneinander, dass nichts mehr zwischen uns gepasst hätte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und legte all meine Zuneigung in unseren Kuss hinein.
„Ich liebe dich Miles", hauchte er gegen meine Lippen und ich seufzte wohlig.
„Ich liebe dich auch Aaron." Ich spürte ihn lächeln.



Zwei Tage später kamen wir endlich wieder im Lancon-Lager an. Gott sei Dank ohne weitere Zwischenfälle. Tristan verabschiedete sich schon am Eingang des Lagers von uns und Aaron ließ ihn gehen. Dann zog er mich zu einem Haus, das ich vorher noch nicht betreten hatte, von dem ich aber wusste, dass es sowas wie die Arztpraxis hier war.

Drinnen wurden wir auch gleich von Cami empfangen, die Aaron freudestrahlend um den Hals fiel. Danach umarmte sie auch mich.
„Jungs, bin ich froh euch wiederzusehen." Dann plötzlich stemmte sie die Hände in die Hüften und bedachte Aaron mit einem finsteren Blick. „Wie kannst du es wagen, einfach so auf eine Mission aufzubrechen, ohne mir etwas davon zu erzählen?", fragte sie vorwurfsvoll.

Aaron blieb gelassen, grinste immer noch. „Erstens, weil es eine geheime Mission war und zweites, weil du hättest mitkommen wollen und ich dich nicht hätte aufhalten können." Cami verschenkte beleidigt die Arme vor der Brust.
„Du weißt, dass ich nichts erzählt hätte und du weißt auch, dass ich hiergeblieben wäre, wenn du es mir befohlen hättest." Als Beta war das ihre Pflicht, das wusste ich. Sie musste den Befehlen ihres Alphas gehorchen.

„Cami, ich will dir aber nicht solche Befehle geben. Du bist meine beste Freundin", verteidigte sich Aaron, doch Cami schnaubte nur.
„Eben darum hättest du es mir sagen müssen, anstatt einfach so zu verschwinden!" Entgegen der aufgebrachten Worte grinsten Cami und Aaron. Er zwickte sie noch einmal in die Seite, was sie mit einem schwachen Fausthieb gegen seinen Oberarm quittierte, dann wurden sie wieder ernster.

„Was verschlägt euch in die Praxis? Du wolltest dich doch sicherlich nicht nur bei mir entschuldigen?", fragte Cami mit einem frechen Grinsen. „Ist denn auf eurer Reise alles gut gegangen?" Besorgt musterte sie uns beide von oben bis unten, schien uns auf Verletzungen zu überprüfen. Aaron half ihr auf die Sprünge, als er auf mich deutete.

„Nun ja, die Mission verlief anders als wir erhofft hatten, sagen wir es mal so. Ich erkläre es dir später, könntest du dir jetzt bitte erstmal Miles Fuß ansehen? Er ist im Wald gestürzt und hat sich wohl den Knöchel verstaucht." Cami nickte, fragte mich, ob das okay sei, wenn sie es täte und auch, ob Aaron dabei sein dürfe. Routinefragen, die ich auch schon aus dem Krankenhaus meiner Eltern kannte.

Ich stimmte zu und kurz darauf hatte sie mich auf eine Liege verfrachtet und besah sich meinen Knöchel. „Das sieht gut verheilt aus. Ich bin noch kein Profi, aber ich denke, es sollte keine Probleme mehr damit geben. Tut es denn noch weh?" Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Wenn ich lange Strecken laufe, schmerzt es ein wenig, aber nicht schlimm. Ansonsten merke ich es gar nicht." Cami nickte zufrieden.

„Sehr gut. Wenn du noch eine Salbe brauchst, kann ich dir die geben. Oder du wartest, bis Tobias wiederkommt, der braucht eigentlich nicht lange bei Theresa, dann kann er nochmal drüber schauen."
„Ist schon gut. Wie gesagt, es tut nicht weh und eigentlich habe ich nicht vor, in den nächsten Tagen weit zu laufen." Cami grinste.
„Das will ich auch hoffen."

„Aaron? Miles! Es ist schön, dass ihr zurück seid. Tristan bin ich schon begegnet, was verschlägt euch in die Praxis?" Überrascht schaute ich zur Tür, in der Tobias stand. Er lächelte freundlich, musterte mich. „Ist alles okay?", fragte er besorgt, als er feststellte, dass ich auf der Krankenliege saß.
„Ich habe mir den Knöchel verstaucht, Cami hat es sich gerade nochmal angesehen", erklärte ich, während ich meine Socke wieder anzog.
„Und was sagt Camille?", erkundigte sich Tobias. Sein Blick schwenkte von mir zu seiner Assistentin.
„Alles in Ordnung. Es ist so gut wie ausgeheilt." Cami grinste stolz und Tobias wirkte zufrieden.

Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu uns. „So, Jungs, wie verlief eure Mission? Tristan wollte nichts erzählen", fragte er und klang dabei neugierig wie ein kleines Kind. Cami stieß einen empörten Laut aus und wandte sich mit wütendem Blick an Aaron.
„Wieso weiß eigentlich jeder von eurer Mission, nur ich nicht?", fragte sie eingeschnappt. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, aber das bockige Kleinkind kaufte ich ihr nicht mehr ab.

Mittlerweile hatte ich begriffen, dass sie nicht ernsthaft sauer auf uns war und dass sie eigentlich sehr wohl verstand, warum man ihr nichts erzählt hatte. Weder wir, noch offensichtlich Tobias oder sonst wer. Sie schien die letzten Tage von Geheimnissen umgeben worden sein. Angesichts der Tatsache, dass sie Aarons beste Freundin war und sich bisher auch mir gegenüber sehr herzlich und offen gezeigt hatte, fand ich, sie hatte die Wahrheit jetzt verdient. Ebenso wie Tobias, der vor Neugier zu platzen schien.

Ich erzählte also von der Mission, beginnend bei unserem Aufbruch, die Wanderung durch den Wald, bis hin zu den Besuchen bei den Moor-Rudeln. Aaron unterbrach mich manchmal, um Aussagen zu korrigieren oder zu detaillieren.
„Wir haben Robin getroffen", sagte Aaron, als ich gerade anfing, von den Ken zu reden. Tobias nickte.
„Damit habe ich gerechnet." Fragend schaute ich zwischen den Anwesenden hin und her, bis sich Cami erbarmte und mir den Zusammenhang erklärte.

„Tobias ist Robins Bruder. Die beiden standen sich sehr nah, haben sich aber seit Ewigkeiten nicht gesehen." Ich hätte mir wirklich gegen die Stirn schlagen können. Mittlerweile sollte es mich doch eigentlich nicht mehr überraschen. Ich wusste doch, dass Tobias aus einem anderen Rudel kam und dass auch andere Wölfe das Rudel wechselten. Es sollte mich nicht wundern, dass sich dann jemand kannte oder gar verwandt war.

„Robin hat uns geholfen", sagte ich und schaute Tobias an. Er lächelte sachte.
„Was hat er getan?"
„Er hat unser Leben gerettet." Aaron ließ Cami und Tobias nicht die Zeit, diese Information zu verarbeiten, sondern erzählte einfach die Geschichte weiter, ab dem Moment als wir das Ken-Territorium betraten.

„Ich nehme an, er hat uns deinetwegen gewarnt", endete Aaron schließlich und Tobias schluckte. Es dauerte einen Moment, bis er sich gefasst hatte und nickte.
„Das kann sein. Ich hätte dasselbe für ihn getan." Aaron zeigte keine Regung, obwohl Tobias gerade zugegeben hatte, für seinen Bruder auch seinen Alpha, also Aaron, zu verraten.

„Der viel wichtigere Punkt ...", mischte sich nun Cami wieder in das Gespräch ein. „... ist, dass Aleksander dein leiblicher Vater ist und du deshalb deinen Wolf nicht aktivieren kannst? Habe ich das richtig verstanden?" Ich senkte den Blick und nickte zögerlich.
„Es – es tut mir so leid. Ich weiß, da hängt viel von ab, aber ich kann ..." Aaron unterbrach mich, indem er meinen Namen sagte. Ich schaute zu ihm auf und er strich mir zärtlich über die Wange.

„Das wird schon. Bitte, mach dir keinen Kopf. Wir finden eine Lösung. Lass uns erstmal zuhause ankommen." Wie konnte Aaron nur so ruhig bleiben? Es war doch sein Rudel, das mit den Konsequenzen leben musste. Seine Schwester, die zu einem Leben gezwungen wurde, das sie gar nicht wollte. Sein eigenes Leben, das er nun komplett nach mir richten musste. Für ihn hing alles davon ab, für mich ... nichts. Ich könnte theoretisch in mein altes Leben zurückkehren und so leben wie ich es bisher getan hatte. Für mich hatte all das eigentlich keine Konsequenzen. Es war das Rudel, das litt, weil ich kein Wolf werden konnte. Doch Tobias stimmte Aaron zu.

„Er hat recht", sagte er. „Davon geht die Welt nicht unter. Es wird sich schon ein Weg finden, all das in Ordnung zu bringen. Geht am besten erstmal nach Hause und ruht euch von der Reise aus. Und informiert Tyson über eure Rückkehr, damit der nicht weiterhin alle rumkommandiert." Das Schmunzeln auf seinen Lippen verriet, dass er den letzten Satz keineswegs ernst meinte.


Tyson und Anna reagierten ähnlich wie Tobias. Es sei zwar nicht schön, aber kein Weltuntergang. Wir würden schon eine Lösung finden. Ganz ehrlich, so langsam konnte ich die Worte nicht mehr hören. Ich hatte es so satt, dass alle so verständnisvoll und freundlich waren.

Ja, es gab eine Lösung, aber die führt dazu, dass alle Beteiligten unglücklich wurden. Lia würde gezwungen werden, Alpha zu werden – etwas, gegen das sie sich ihr Leben lang gesträubt hatte. Aaron wäre gezwungen, seinen vorläufigen Alpha-Status aufzugeben – etwas, auf das er sein Leben lang hingearbeitet hatte. Und mir wurde das, was ich mir am sehnlichsten wünschte, in dem Moment aus den Händen gerissen, als ich es fast erreicht hatte.

Lia war die Einzige, die die Reaktion zeigte, die ich erwartet hatte. Die Einzige, die nicht ruhig und gelassen blieb. Zuerst stand sie vom Sofa auf, schaute mich an, als hätte ich ihr komplettes Leben ruiniert –was ich leider tatsächlich getan hatte-, dann stiegen ihr Tränen in die Augen.
„Ich hasse dich! Alles ist deine Schuld!", brüllte sie mir entgegen. Ich zuckte zusammen. Sie stieß noch einen Fluch aus und schließlich drehte sie um und verließ Hals über Kopf das Wohnzimmer.
„Lia!", rief ich und wollte ihr hinterher laufen. Es tat mir so unglaublich leid. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so schuldig gefühlt.

Aaron hielt mich auf, bevor ich ebenfalls den Raum verlassen konnte. An der Glasfassade konnte ich gerade noch einen weißen Wolf vorbeilaufen sehen.
Nun sammelten sich auch bei mir die Tränen und ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper, wandte mich dadurch ein Stück von Aaron ab, der mich dennoch in eine Umarmung zog.

„Es ist nicht deine Schuld. Sie wird sich beruhigen und dann wird alles gut", sagte er eindringlich, während er über meine Seite strich. Dieses Mal ließ ich mich davon jedoch nicht beruhigen.
Ich stieß Aaron weg, ertrug seine Nähe und diese dauerhafte Ruhe gerade nicht.

„Hör auf!", schrie ich. Ich konnte kaum klar denken. Meine Sicht ertrank in Tränen. „Hör auf zu sagen, dass alles gut werden wird. Das wird es nicht, okay? Und deine Schwester hat recht. Es ist meine Schuld. Nur meinetwegen müsst ihr euer Leben komplett umkrempeln. Ich ertrage das gerade nicht, also lass mich in Ruhe!"

Und damit verließ auch ich den Raum, ignorierte Aaron, Tyson und Anna und eilte die Treppe nach oben, um mich im Gästezimmer zu verbarrikadieren. Die Tür konnte man zum Glück von innen abschließen und in ihrem eigenen Haus würden sie sie wohl nicht eintreten, oder?
Ich warf mich auf das Bett, rollte mich zusammen und weinte still vor mich hin. Es war einfach zu viel.

Plötzlich WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt