Epilog

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>>Was ist danach geschehen?<<

Tief atme ich ein und versuche den Kloß in meinem Hals runter zu schlucken. Wie vernarrt starre ich auf meine Hände, die ich ineinander verschränkt halte. >>Danach.. Ich wusste nicht, ob es überhaupt ein Danach geben würde<<, antworte ich leise.

Auch, wenn ich bereits vor einiger Zeit aufgehört habe sie anzusehen, merke ich dennoch den festen und abwartenden Blick auf mir, mit dem mich meine Therapeutin betrachtet.

>>Cristina, ich weiß, dass es nicht einfach ist. Du hast so lange Zeit alles in dir behalten. So viel Schmerz und Trauer in dich hineingefressen. Aber du machst so großartige Fortschritte. Als wir damit angefangen haben, wolltest du mich nicht mal ansehen. Du wärst am liebsten wieder hier rausgerauscht. Und jetzt. Das ist das erste mal, das du über die Geschehnisse sprichst. Und es ist der erste Schritt es endlich überwinden zu können.<<

Ja, da hat sie nicht ganz unrecht. Das erste mal seit über zwei Jahren kann ich endlich über die Sache sprechen. Zwar habe ich schon vor langer Zeit aufgehört zu weinen, doch ich kann noch immer diesen unerträglichen Schmerz spüren.

Bevor ich Mrs Brown aufgesucht habe, habe ich mich in meine persönliche Hölle verkrochen. Habe mir immer wieder die Schuld für all das gegeben, habe beinahe mich selbst aufgegeben.

Doch nachdem ich begonnen habe über meine – nein, über seine Geschichte zu sprechen, habe ich bemerkt, das dieser Schmerz ein wenig leichter wurde.

Mit einem tiefen Atemzug schließe ich kurz die Augen und sammle meine restlichen Kräfte. >>Danach hat es sehr lange gedauert, bis ich überhaupt wieder unter die Leute gehen konnte. Ich habe alles geschmissen. Meinen Job und damit auch meinen gesamten Lebensinhalt. Ich wollte nicht länger als Journalistin arbeiten. Ich meine, was hat mir das gebracht? Ich habe mich einfach von jedem distanziert, der mich überhaupt helfen wollte.<<

>>Auch von Joseph?<<

Ich nicke. Auch, wenn er mir damals helfen wollte, habe ich dennoch jegliche Beziehung zu ihm gekappt. >>Danach habe ich die Stadt verlassen.<<

>>Und bist wieder zu deinen Eltern gezogen.<<

Wieder nicke ich. Ich wollte alles hinter mich lassen. Die Menschen, die Stadt. Nicht von alldem, hat mir je etwas gutes gegeben. Diese Stadt hat mir alles genommen, was mir wichtig gewesen ist. Als bin ich wieder in mein Elternhaus, habe angefangen in ihren Laden zu arbeiten und neu angefangen.

>>Was ist mit all deinen Nachforschungen geworden? Mit den Dateien?<<

>>Alles vernichtet. Bevor ich gegangen bin habe ich Bishop alle Informationen gegeben, die ich je über ihn gesammelt habe. Ich wollte nichts mehr davon behalten. Ich war fertig.<< Ich habe jegliche Beziehungen zu jeden, den ich kannte gekappt. Jo, Addison, Emilio und alle anderen, die ich je kennengelernt habe. Ja sogar Angus habe ich hinter mir gelassen. Seit diesen Tag habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er war untergetaucht. War verschwunden. Dieser Verlust hat uns beide getroffen und wir beide haben unsere eigene Art und Weise, um mit dieser Trauer umgehen zu müssen.

>>Aber du hast nicht alles in der Stadt gelassen, nicht wahr?<<

Kurz beiße ich mir auf die Unterlippe. >>Ich konnte ihn dort nicht lassen. Sie haben ihn getötet. Ich musste ihn da raus bringen. Er sollte seinen Frieden finden.<< Deshalb habe ich seinen Körper mit mir genommen. Und ich habe ihn dort begraben, wo das Leben noch einfacher gewesen ist. In dem kleinen Städtchen in dem wir uns zum ersten mal begegnet sind.

Lange habe ich mir überlegt, wie es mit mir weiter gehen sollte. Wie könnte ich überhaupt weiter machen, wenn er nicht mehr bei mir war? Wie würde mein Leben danach aussehen? Dieser Tag hat mir so vieles genommen. Hat mich vernichtet und mir das Herz aus der Brust gerissen.

Er war der einzige Mann, den ich je geliebt habe. Mit dem ich je eine Zukunft haben wollte. Doch diese wurde uns binnen weniger Augenblicke genommen. Die Zukunft, die ich mir immer ausgemalt habe, gibt es nun nicht länger.

Ganze zwei Jahre ist es bereit her, seit er mir entrissen wurde. Und dennoch kann ich ihn manchmal noch immer in meinen Träumen sehen. Kann seine Stimme hören. Sein Lachen. Den liebevollen Blick, mit dem er mich immer angesehen hat.

Einzig und allein in meinen Träumen kann ich die Zukunft noch haben, die ich je gewollt habe. Doch auch mit der Zeit werden die Träume weniger und ich fürchte mich davor irgendwann seine Stimme nicht mehr hören zu können.

Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem ich ihn nicht länger in meinem Kopf sehen kann. An dem ich aufhöre von ihm zu träumen.

Doch ich weiß, dass ich nie dieses Gefühl vergessen werde, welches er mir geschenkt hat. Das Gefühl von Sicherheit. Von Geborgenheit.

Ich weiß, dass er für immer in meinem Herzen bleiben wird. Als eine geliebte Person. Als der Mann, der mir so vieles geschenkt hat.

Als mein Held.. 

--- Ende ---

Night Walker ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt