Gefängnis der Ewigkeit

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Diese Schwärze umgibt mich nun schon seit Jahrzehnten. Ich habe schon vor sehr langer Zeit vergessen, wie es sich anfühlt, die Sonne auf meinem Gesicht zu spüren, oder wie es ist, dem Wind zu lauschen, wenn er die Blätter zum Rascheln bringt und Gerüche und Geräusche aus fernen Gegenden mit sich trägt. Alles, was ich noch höre, ist das Stöhnen und Kratzen der anderen Gefangenen und der Geruch von nassem Stein und Erde. Meine Zelle, die man nicht wirklich als solche bezeichnen konnte, bestand aus einem in den Fels gehauenen Vorsprung, welcher mir als „Bett" diente. Und das war auch schon. Da ich, seit ich hier eingesperrt worden bin, in absoluter Dunkelheit gehüllt war, habe ich die Höhle mit meinen Händen abgetastet und herausgefunden, dass sie über eine winzige Luft zufuhr verfügte, damit ich nicht ersticke. Durch diese paar Löcher kam gerade nur soviel Licht herein, um nicht an dem Lichtmangel zu sterben, und es war auch nicht genug, um meine Magie daran zu stärken, denn das Licht konnte sich nur dann einen Weg in meine Zelle bahnen, wenn die Sonne untergeht. Und dann auch nur kurz.
Ich gehörte einer sehr alten Fae-Art an, den Samatarian, die auch als Lichtwesen bezeichnet werden. Wir beziehen unsere Magie und Stärke aus der Sonne und dem Mond und waren an jedem Hof vertreten. Da ich wahrscheinlich das einzige Wesen in diesem Gefängnis war, welches Nahrung brauchte, bekam ich einmal am Tag eine Ration Essen. In den ersten Jahren habe ich mich daran orientiert, wie auch an dem Licht, wie viele Tage vergehen, und habe mit einem Stein jeweils eine Kerbe in den Felsgeritzt. Irgendwann habe ich es aufgegeben. Denn manchmal blieben die Mahlzeiten aus, oder wurden zu unregelmäßigkreiten, auf die ich mich nicht mehr verlassen konnte.
Es war schon lange her, seit ich meinen letzten funken Magie verbraucht hatte. Ich hatte versucht, eine Nachricht, einen Gedanken oder auch nur ein Lebenszeichen von mir an Rhysand zu senden, doch die Schutzzauber, mit denen das Gefängnis umgeben war, waren viel zu mächtig. Ich hatte mich damit abfinden müssen, meine Magie nur noch als Wärme-und Lichtquelle nutzen zu können. Doch damit wurde sie immer schwächer, bis sie schließlich endgültig versiegte. Und mich in der Kälte und Dunkelheit zurückließ. Das war vor einigen Jahrzehnten.
Dann habe ich damit begonnen, mir immer wieder vorgestellt, wie es wäre, wenn Rhysand, Cassian, Azriel oder Mor mich endlich finden würden und mich aus diesem Höllenloch herausholen. Das war die einzige erbärmliche Möglichkeit, wie ich nicht in den Wahnsinn entgleite. Doch egal, wie oft ich mir dieses Szenario vorstellte: Ich wusste, dass diese Hoffnung nur eine Lüge war, welche mich am Leben hielt, auch wenn ich die Wahrheit schon längst erkannt hatte. Ich würde hier nie herauskommen, ich werde Rhysand nie die Wahrheit erzählen können, ich werde nie wieder Cassians Neckerei hören, die Wärme von Mor's Umarmungen spüren können oder mit Azriel im die Wette Fliegen. Ich spürte, wie mein Herz wieder schwer wurde. Meine Hände fingen an zu zittern und ich rang nach Luft. Meine Brust zog sich schmerzvoll zusammen. Ich stützte mich mit einer Hand an der Wand ab, die andere legte ich auf meine Brust, während sich meine Panikattacke immer weiter hinaufsteigerte. Keuchend ließ ich mich zu Boden gleiten und biss mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte, und versuchte meine Zuckungen soweit zu kontrollieren, um mir nicht schon wieder fast die Zunge abzubeißen. Mein ganzer Körper schmerzte, die Angst und die Einsamkeit übermannten mich. Ich merkte erst, dass ich ohnmächtig geworden war, als ich schweiß bedeckt aufschreckte.

Ein Beben ließ den Berg erzittern. Sofort wusste ich, dass die Tore zu dem Gefängnis geöffnet worden waren. Denn das kam nicht häiftig vor. Eigentlich nie. Ich sprang von meinem Vorsprung auf und stellte mich an die Wand, an der ich immer das Essen bekam und lauschte. Dann hörte ich Schritte und Stimmen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und mir schossen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich sie nicht alle zu fassen bekam. Doch einer davon, der immer wieder auftauchte, war: „Vielleicht werde ich gerettet."
Die Stimmen werden lauter, und als ich eine davon erkannte, setzte mein Herz einen Schlag aus. Cassian... Das war Cassians Stimme. Ich konnte es kaum glauben. Das war nach all der Zeit nicht möglich. Es musste ein Traum sein. Mein Verstand spielte mir wieder einen Streich.
Doch die Stimmen schienen jetzt beinahe direkt vor meiner Zelle zu sein. Dann schrie ich Cassians Namen. Ich schrie so laut, dass meine Stimme brach. Meine Hoffnung, hier herauszukommen, war zum Greifen nah. Mein Herz donnerte in meiner Brust, plötzlich wieder mit Hoffnung gefüllt.
Mit aller Kraft hämmerte und schlug ich gegen die Wand und hörte auch nicht auf, als der Schmerz meine Fäuste zu betäuben schien, und ich spürte, wie mein Blut zu Boden tropfte. Ich schrie und flehte. Tränen liefen mir heiß über die Wangen. Doch nichts passierte. Cassians Stimme entfernte sich, bis sie schließlich endgültig verschluckt wurde.
Eine vertraute Taubheit breitete sich wieder in mir aus.
Nein, das konnte nicht sein. Er konnte nicht so nah sein und doch so fern.
Intensiv starrte ich die Wand an, in dem Glauben, sie nur mit meiner Verzweiflung bewegen zu können. Als das Beben, das Schließen der Tore, verkündete, rang ich nach Luft, schluchzte auf und kauerte mich in einer Ecke zusammen. Mein trockener Hals schmerzte und meine aufgeschlagenen Hände pochten.
Ich hieß die Leere wieder willkommen.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt