𝒔𝒑𝒓𝒊𝒏𝒈 | »Erwachsen«

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K A P I T E L || 64

{Emma Clark}

Man müsste meinen, dass meine Aufgaben als Abteilungsleiterin wenigstens ein bisschen spannender sind, als die einer normalen Angestellten. Aber irgendwie gibt es da keinen goßen Unterschied, wie ich feststelle, während ich mich meinen Aufgaben widme.

»Hast du schon den Neuen gesehen?«, ist das Erste, was aus Estelles Mund kommt, als sie in meine Abteilung gerauscht kommt. Ihr Kopf ist leicht rot angelaufen und sie wirkt ein wenig abgehetzt. Ein Zustand, den man bei ihr nicht allzu oft sieht. Mittlerweile habe ich dieses Mädchen, das teilweise echt nervig sein kann, sogar in mein Herz geschlossen, aber Anstrengung ist ein Zustand, den man bei ihr nicht allzu oft beobachtet.

»Geht es dir gut?«, entgegne ich und werfe einen Stapel an Papierkram in eine Ablage, um die ich mich später kümmern werde. Gut, vielleicht gibt es doch ein paar Aufgaben mehr.

Estelle rückt sich ihre Frisur zurrecht, ehe sie meckert: »Natürlich nicht. Der Kerl ist ein totales Arschloch. Der kennt überhaupt keine Umgangsformen und ...«

»Und?«, frage ich und ziehe meine Augenbraue in die Höhe. Mein Blick fährt zu dem Gesicht der Braunhaarigen, ehe ich meine Augen wieder zu den Farbmustern, die ich in der Hand halte, sinken lasse. Aprupt stehe ich auf und mache mich auf den Weg zu den Farbtöpfen. Dabei öffne ich die Tür meines Büros und halte sie für Estelle offen.

»Er ist mein Ex!«, platzt das zierliche Mädchen heraus, als sie mich überholt und mir einen entsetzten Blick zuwirft.

»Schön, dass das auch mal jemand anderem, als mir, passiert«, entgegne ich und hänge die Farbmuster an einen Nagel, der sich neben den Regalen, in denen wir die Farbe aufbewahren, befindet.

Estelle zieht ihre kleine, runde Stupsnase kraus und blickt mich entsetzt an. »Wie bitte? Wie kannst du sowas sagen! Das ist überhaupt nicht witzig! Habe ich mich etwa über dich lustig gemacht, als deine zahlreichen Ex-Lover hier aufgekreuzt sind und du den Untergang der Welt simuliert hast?«

Ich räuspere mich.

»Stimmt, entschuldige«, sage ich schließlich und sehe sie an, bevor ich meinen Weg fortsetze. Die Sachen, die in den Regalen stehen, sind alle ein wenig unsortiert, also schiebe ich alles, so gut es eben geht, zurrecht.

»Und jetzt? Was soll ich machen?«, fragt sie verzweifelt.

»Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es nicht schaden kann, einfach zivilisisert und wie ein erwachsener Mensch mit diesen Sachen umzugehen. Vielleicht solltet ihr euch aussprechen und klären, dass ihr beide professionel genug seid, um über dieser Sache zu stehen!«, rate ich ihr.

Mit einer schwungvollen Drehung mache ich vor dem nächsten Regal halt und schnappe mir eine Packung Nägel, die irgendwer einfachso dahin gelegt hat. Wie ich es hasse, wenn Kunden ihr Zeug einfach woanders liegen lassen, nur weil sie zu faul sind das Produkt ein paar Meter weiter dort abzulegen, wo sie es her haben.

»Du hast mir schon letzte Woche Angst gemacht, als du mir von Jack erzählt hast, jetzt bist du mir aber wirklich unheimlich!«, murmelt sie und tritt ein paar Schritte zurück, um mich zu mustern.

»Zja«, ist alles, was ich darauf entgegne. Dabei zucke ich mit einen Schultern und wende mich endlich voll und ganz ihr zu.

»Obwohl ich das nur ungern sage, ist es wahr: Jack tut dir gut.«

»Danke, das finde ich auch. Er ist einfach total reif und geht mit allem erwachsen um«, schwärme ich. In diesem Moment fällt mir auf, wie sehr ich ihn jetzt schon vermisse. Das gestern am Telefon war definitiv nicht gelogen.

Estelle verkreuzt ihre Arme und lehnt sich etwas zurück, bevor sie mit einer Hand schnippt. Ihr Kopf schnellt nach vorne, bevor sie zischt: »Schätzchen, das sollte normal sein. Immerhin sind wir alle erwachsen. Ich weiß nicht, ob ich es traurig fnden soll, dass unsere einzigen Ansprüche an Männer sind, dass sie sich nicht wie hormongesteuerte Teenager verhalten oder ob ich glücklich sein sollte, dass es wenigstens ein Schäfchen geschafft hat. Du hast ihn gefunden!«

»Erstaunlicher Weise hast du recht. Es sollte normal sein, dass die Typen sich so verhalten, wie Jack es tut. Leider ist es das nicht. Shawn ist auch anders. Er wirkt zwar in Interviews total reif, aber in echt ist er, wie ein kleiner Junge. Wobei das bei ihm nicht unbedingt eine schlechte Sache ist.«

»Das mit Shawn habe ich jetzt einfach Mal überhört. Was meinst du mit erstaunlicher Weise? Ich habe immer Recht!«, erwidert sie noch und zieht von dannen. Ich atme aus und wende mich wieder meiner Arbeit zu. Meine Gedanken schweben zum Unibeginn, der schon sehr bald ist. Irgendwie kann ich es kaum erwarten. Dann bin ich eine coole Studentin, die einen tollen Freund hat und nicht ein Mädchen, das in einem ranzigen Baumarkt arbeitet. Gut, ich werde den Job behalten, aber eben nicht Vollzeit. Wer träumt schon davon, sein Leben lang hier zu versauern? Ich jedenfalls nicht.

Meine Schicht zieht sich heute gefühlt ins Endlose. Vielleicht, weil ich weiß, dass ich nacher mit Jack telefonieren werde und ich es kaum noch erwarten kann, seine Stimme zu hören oder weil sich die Schichten einfach immer endlos in die Länge ziehen. Vermutlich ist es einfach eine Kombination aus beidem. Außerdem muss ich nach der Arbeit noch kurz an einem Nähwarenladen vorbei, um neuen Stoff zu kaufen. Als Shawn da war, habe ich mich ein paar Mal verschnitten, weil er mich so sehr mit irgendwelchen Grimassen oder dummen Sprüchen abgelenkt hat.

Nach nicht enden wollenden weitern Stunden bin ich fertig für heute. Genervt und müde mache ich mich auf den Weg in mein Büro, wo ich die hässliche Uniform ausziehe und mir meine normalen Klamotten überstreife.

»Gehst du auch gleich?«, höre ich Estelle fragen, als sie ihren Kopf zur Tür reinsteckt. Ich nicke und schnappe mir meine Tasche.

»Du auch?«

»Ja, lass uns zusammen gehen«, schlägt sie vor und hält mir die Tür auf, damit ich an ihr vorbei gehen kann. Ich bedanke mich und wir laufen gemeinsam zum Eingang. In Gedanken überlege ich, wie viel Stoff ich jetzt noch kaufen muss, damit ich nacher weiter an dem Kleid arbeiten kann.

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12 rules [s.m.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt