𝒘𝒊𝒏𝒕𝒆𝒓 |»Autos, Freiheit und der ultimative Crash«

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K A P I T E L || 37

{Emma Clark}

Gelangweilt klicke ich mich durch alte Dokumente, die sich ungeordnet über meinen Laptop verteilen. Irgendwann bleibe ich schließlich an ein paar meiner Gedichte hängen. Da es ja nicht reicht, dass ich, wie eine Bekloppte, Briefe an Seriencharaktere schreibe, muss ich mich ab und zu als Lyrikerin versuchen. Nicht, dass wirklich etwas Gutes dabei heraus kommen würde.

Es sind lediglich ein paar Verse über skurrile Alltagssituationen, die mir aufgefallen sind. Sachen, wie Kunden, an denen ich mich räche, indem ich Spüli in ihre Blumentöpfe kippe.

Als es klingelt stehe ich auf und gehe zur Tür. Entweder ist es Shawn oder mein Essen. In beiden Fällen würde ich mich freuen.

»Shawn!«, quietsche ich und öffne die Tür. Er kommt mir entegen. Eine Umarmung folgt und ich merke, wie ich ihn vermisst habe, obwohl wir uns erst letztens gesehen haben.

»Habe ich irgendetwas tolles gemacht und es wieder vergessen?«, fragt er grinsend und krazt sich etwas verwirrt am Hinterkopf.

»Deine bloße Präsenz stimmt mich glücklich«, erkläre ich. Der Braunhaarige nickt lachend.
»Natürlich. Ich bin ja auch toll

Ich boxe ihn in den Arm und mache mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Doch in diesem Augenblick klingelt es erneut.

»Essen!«, grinse ich, mindestens genauso erfreut, wie zuvor bei Shawn.

»Du siehst nicht aus, wie chinesisches Essen«, brumme ich, als ich in die selbsgefällige Fratze von Michael blicke.

»Nein, aber ich könnte der Nachtisch sein.«

Schlagfertig ist er ja. Trotzdem verziehe ich angewidert mein Gesicht, da ich spüre, wie mir tatsächlich Essen hoch kommt, von diesem billigen Spruch.

»Es ist schon ein wenig eingebildet, dass du es wagst hierher zu kommen, nachdem ich dir nicht geantwortet habe. Nach allem, was zwischen uns war, beziehungsweise nicht war, traust du dich so etwas zu bringen? Mal abgesehen davon, dass ich mit Shawn zusammen bin.«

Michael verdreht die Augen: »Ach komm schon...«

»Nichts von wegen »ach komm schon«. Das mit uns wird nie etwas werden.«

»Dein Freund muss es doch gar nicht erfahren«, grinst Michael und streicht sich durch seine blonden Locken. Ich verziehe mein Gesicht noch mehr.

»Ich sage es ja nur ungern, weil das nicht meine Art ist; aber: Verpiss dich!«

Während ich das sage, klinge ich erstaunlicher Weise ruhig. Alles, was ich mir jemals gewünscht habe, ist eingetreten. Nur, dass ich jetzt erkenne, dass es nicht das ist, was ich mir wirklich wünsche. Michael ist ein Arschloch. Das erste Mal sage ich es und meine es auch zu hundert Prozent. Er ist ekelhaft und mein Magen dreht sich um, wenn er redet.

»Boar scheiße man! Jetzt habe ich die Wette verloren. Miststück

Mein Herz setzt aus. Als er diese Worte sagt, denke ich für einen kurzen Moment, dass jemand ein Messer in meine Gedärme sticht. Doch dann sammele ich mich. Ich bin froh, dass ich auf seine scheiße nicht eingegangen bin.

Michael wendet sich ab und macht sich auf den Weg nach unten. Immer noch fluchend.

»Michael?«

Er dreht sich um und bleibt kurz stehen. Unerwarteter Weise machen meine Beine einen Satz vorwärts, meine Hand macht sich praktisch selbstständig und fliegt nach Vorne. Direkt auf sein Kinn zu. Es schmerzt ein wenig, doch ihm vermutlich mehr. Kinnhaken kann ich. Anscheinend neige ich in letzter Zeit zu Gewaltausbrüchen. Aber nur, wenn man mich provoziert.

Shawn schlingt seine Arme von hinten um mich und markiert sein nur offiziell existierendes Revier. Michaels Blick ist unbezahlbar. Diesen Blick hätte ich nie bekommen, wenn alles so gelaufen wäre, wie ich es mir immer erträumt hatte. Oh nein. Das erste Mal wirkt er klein. Er erscheint mir schon fast winzig. Losgelöst von seinem riesen Ego bleibt nur eine Luftnummer. Ich knalle die Tür zu.

»Du weißt, dass man sowas auch mit Worten lösen kann?«

Ich boxe Shawn leicht in die Schulter, nachdem ich mich aus seiner Umarmung befreit habe.

Shawn streckt seine Hände in die Höhe und schreit:»Jetzt fängst du auch noch bei mir an! Hilfe! Meine Freundin ist eine Schlägerin!«

»Na dann Klappe, sonst gibt's was auf die Fresse«, spaße ich. Shawn und ich lachen.

»Shawn?«, frage ich plötzlich, als wir es uns mit dem Essen, das endlich gekommen ist, auf der Couch gemütlich machen.

»Was denn?«

Ohne, dass mein Mund Kontrolle darüber hat, was ihn verlässt, frage ich: »Kommt dir unsere Beziehung auch manchmal echt vor? Ich meine, wenn wir so tun, als ob, fühlt es sich manchmal wirklich echt an. Sorry- Das ist total blöd. Ich hätte das nicht fragen sollen. Tut mir leid

Den letzten Teil stammele ich nur noch, da Shawn aufgehört hat, zu essen und sogar seine Stäbchen weglegt. Unbewusst friemele ich die ganze Zeit an meinen Pulli herum, was ich erst merke, als er seine Hand auf meine legt und mich davon abhält.

»Sag nicht, dass es blöd ist, sonst bin ich nämlich ein Idiot, wenn ich dir sage, dass ich sogar manchmal vergesse, dass es nicht echt ist. Dass wir nur Freunde sind...Nur Freude sein sollten...«, murmelt er, ohne seine Hand auch nur einen Millimeter zu bewegen.

»Freunde sein sollten?«

Er sagt es so, als sei es ein Zwang, ein Muss. So, als wären wir es aber nicht. Als wären wir viel mehr als nur Freunde. Mein Herz macht einen Satz. Doch das sollte es nicht. Wir sind Freunde.

So, wie er es gesagt hat, meint er es nicht. Ich interpretiere da nur etwas rein. Außerdem, was ist mit meinen Regeln? Regeln sind wichtig. Wenn wir uns nicht an Regeln halten, wo kommen wir denn dann hin? Genauso raube ich nicht eine Bank aus, nur weil mir gerade so danach ist.

»Emma?«

»Sind wir mehr? Ich will nämlich keine Bank ausrauben, das verstößt gegen das Gesetz. Gesetze sind wichtig. Wenn niemand sie beachtet, bricht komplettes Chaos aus. Verstehst du das? Chaos! Ist es nicht so, dass man die Freiheit einschränken muss, um die Sicherheit zu gewähren..., also ich meine, so wie beim Autofahren...-«

Ich rede, wie eine Irre, von Banken und Autos, dabei kommt mir nicht über die Lippen, was ich eigentlich sagen will.

»Emma, wovon redest du?«

»Also theoretisch hat man die Freiheit zu tun, was man will. Aber dann gibt es ja noch das Recht auf Sicherheit. Theoretisch können wir alle so schnell fahren, wie wir wollen, aber dann ist unsere Sicherheit gefährdet, also muss unsere Freiheit eingeschränkt werden! Verstehst du? Manchmal muss man die Freiheit begrenzen, damit man sicher ist...«

»Sicher vor einem Autounfall oder sicher vor einem gebrochenen Herzen?«

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12 rules [s.m.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt