𝒘𝒊𝒏𝒕𝒆𝒓 | »Regel Drei«

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K A P I T E L || 29

{Emma Clark}

3. Revidiere den zweiten Teil der zweiten Regel. Am besten gar keine männlichen Wesen.

Während ich so auf mein Handy starre, beobachte ich, wie Jack Gilinsky höchstpersönlich meine Beiträge liked. Vor zwei Minuten ist er mir auf Instagram gefolgt. Er hat nicht nur den letzten Beitrag mit einem Herz versehen, sondern alle.

Es ist lächerlich, sich etwas darauf einzubilden, immerhin denkt er ja, dass ich mit Shawn zusammen bin. Ist ja nicht so, als wäre er ein heißer Sänger, der mir beim letzten Mal, als wir uns gesehen haben, angeboten hat, mit ihm von der Party zu flüchten.

Ich lege mein Handy weg.

Ungeduldig tippe ich auf dem Tisch herum, bevor ich Netflix einschalte und von einem Klingeln an der Tür unterbrochen werde. Gequält stehe ich auf und mache mich auf den Weg zu ihr. Vielleicht ist es ja Shawn.

Doch als ich die Tür öffne, habe ich das Gefühl, dass mir schlecht wird. Es gibt vermutlich immer einen Punkt, an dem einen die Vergangenheit einholt, doch ich hätte nicht gedacht, dass es so bald sein würde. Allein die Tatsache, dass ich das ganze Drama verdrängt und schon fast vergessen habe, dass ich Mal einen besten Freund namens Milan hatte, zeigt, wie gut ich drüber hinweg war. Doch kaum, dass ich den braunhaarigen, großen Jungen sehe, fängt mein Gehirn an, mich mit all den Sachen zu konfrontieren, die wir uns an den Kopf geworfen haben.

Ich glaube, ich erleide in diesem Moment eine Art Synapsenfehlzündung, wodurch mein Körper mit tausend verschiedenen Reizen gleichzeitig überflutet wird.

Vor mir steht Milan. Der Junge, der vor einem Jahr mit Joanna durchgebrannt ist. Was macht er hier? Warum jetzt? Mir ist schwindelig. Wenn mich nun jemand auch nur anstupsen würde, ich glaube ich würde umkippen, wie ein gefällter Baum. Einfach nach hinten weg.

Meine Augen schweifen nach rechts. Joanna. Die Braunhaarige sieht mich mit einem selbstgefälligen Lächeln an.

»Hallo Emma. Wie geht es eigentlich Michael

Ein Reiz siegt letztendlich doch. Er lässt mich die Tür zuschlagen. Zwölfte Klasse Biologie. Das Reiz-Reaktions-Schema. Es ist also doch etwas in meinem Kopf hängen geblieben.

Was zur Hölle bildet er sich eigentlich ein? Schnell gehe ich zu der antiken Kommode, in der ich das Kästchen mit den Briefen an Julio aufbewahre.

Lieber Julio,

ich hätte nicht gedacht, dass ich dir so bald wieder schreibe. Immerhin lief bis gerade eben alles blendend. Abgesehen von der Tatsache, dass ich immer noch keine Bewerbung geschrieben habe und meine Schwester denkt, dass Shawn etwas von mir will. Was- und daran halte ich fest- egal, was sie sagt, lächerlich ist.

Doch das alles ist nicht der Grund, warum ich dir schreibe.

Milan ist der Grund. Du hast richtig gelesen. Mein verräterischer bester Freund. Verzeihung, Ex-Bester Freund.
Er stand heute einfach vor meiner Tür. Mir nichts, dir nichts, taucht er hier auf und glaubt, er könnte wieder von vorne anfangen. Eigentlich keine Ahnung, was er glaubt. Es ist absolut daneben. Wie oft habe ich Abends wach gelegen, weil ich überlegt habe, wie es dazu kommen konnte?

Nichts ist so schlimm, wie seinen besten Freund zu verlieren, weil er sich gegen dich entscheidet. Du denkst ein Leben lang, dass diese eine Person für immer bei dir bleiben wird. Egal, was passiert. Es ist nicht dasselbe, wie mit seinem Freund Schluss zu machen, es ist schlimmer. Denn beste Freunde sollten alles überdauern.

Wegen ihm hatte ich den schlimmsten Herzschmerz, den ich je hatte. Jetzt taucht er einfach so hier auf....und einfach alles ist wieder da.

Aus dem Grund werde ich alles vernichten, was mich an ihn erinnert. Auch diese Tradition. Ich werde keine Briefe mehr schreiben, weil ich jetzt einen neuen besten Freund habe.

Adiós Julio,
Besos, Emma

Ich lege meinen Stift nieder und starre auf das Blatt Papier. Denken konnte ich schon immer am Besten, wenn ich schreibe. Bis gerade eben war mir nicht bewusst, dass Briefe schreiben das Letzte ist, das mich mit Milan verbindet und damit an ihn kettet.

Ich will die Briefe wegschmeißen. Doch irgendwie schaffe ich es nicht. Stattdessen lege ich sie in das Kästchen zurück. Klar ist jedoch, dass ich keine mehr schreiben werde.

Nachdem ich diesen Beschluss gefasst habe, mache ich mich auf den Weg zu dem Süßigkeitenladen. Kaum, dass ich das warme Geschäft betrete, kommt mir der Duft von allen möglichen süßen Sachen entgegen.

»Hallo, kann ich etwas für dich tun?«, begrüßt mich eine ältere Dame, die ich hier schon lange nicht mehr gesehen habe. Sie heißt Margarete, wie ich damals herausgefunden habe. Der etwas übergewichtige Typ, der normalerweise hinter dem Tresen sitzt, ist wohl ihr Sohn.

Ich lächele sie an.

»Ich hätte gerne zehn saure Melonen, acht von den Kirschen und vier Snickers.«

Sie nickt lächelnd und packt mir alles in eine der niedlichen Plastiktüten, die mit einer pinken Schleife versehen sind. Ehe ich bezahle, versuche ich mich zu erinnern, welche Adresse Shawn bei der Zalando Bestellung gestern eingegeben hat. Ich hatte ihn genötigt, sich ein neues Paar Schuhe mit Grip zu holen. Hoffentlich fällt er jetzt nicht mehr so oft hin.

Ich konnte mir die Straße kaum merken, also wühle ich weiter in meinem Kopf herum, bis ich schließlich eine Antwort finde.

Auf dem Weg zu ihm fühle ich mich wie Sherlock Holmes, der einen Fall gelöst hat, da ich noch nie bei ihm war und dennoch herausgefunden habe, wo er wohnt. Gut, er hat es gestern in mein Laptop eingetippt und wenn dann grenzt es eher an Stalking, aber das lassen wir jetzt einfach Mal außer acht.

»Ich habe saure Melonen!«, begrüße ich Shawn und halte die Plastiktüte hoch. Seine Augen weiten sich etwas, doch dann grinst er und macht mir Platz zum eintreten.

»Woher wusstest du, wo ich wohne?«, fragt er schließlich.

Ich zucke mit meinen Schultern. Shawn lehnt sich an seine Kücheninsel und verschränkt seine Arme. Er greift sich eine der sauren Melonen und lässt sie in seinem Mund zerplatzen.

»Milan stand heute vor meiner Tür.«

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12 rules [s.m.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt