𝒔𝒑𝒓𝒊𝒏𝒈 | »Schnarch«

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K A P I T E L || 68

{Emma Clark}

»Wow. Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt«, gibt Lucy von sich, als wir die Vorlesung verlassen und spricht mir damit direkt aus der Seele. Entweder bin ich doch nicht so gebildet und interessiert, wie ich dachte oder diese Vorlesung war wirklich zum Einschlafen.

»Das war unglaublich...«, fange ich den Satz an, den Lucy noch bevor ich ihn vervollständigen kann, beendet: »Langweilig.«

Ich nicke und lache. Das kann doch nicht sein. Die ganze Zeit freue ich mich auf die Uni und dann bekomme ich Professor Schlafmütze.

»Wenigstens kann es jetzt nur aufwärts gehen!«, versuche ich die positive Seite an dem Ganzen zu sehen. Lucy nickt.

»Außerdem bin ich schon froh, dass ich das nicht alleine durchstehen musste.«

Grinsend stimme ich ihr zu. Die ganze Zeit hatte ich schiss niemanden zu finden, mit dem ich mich anfreunden könnte. Es wäre vielleicht ein wenig überstürzt, Lucy und mich schon als dicke Freundinnen zu sehen, die sich gegenseitig die Haare flechten, aber ich stehe wenigstens nicht alleine da. Nach der ganzen Shawn und Milan Sache habe ich nämlich eins gelernt: Man sollte niemals seine ganze Welt um eine Person herum aufbauen.

Mit Shawn bin ich zwar wieder befreundet, aber man weiß ja nie.

»Morgen habe ich eine Vorlesung bei Professor Joiner. Ich habe mir auf YouTube ein paar Videos von ihm angeschaut, die waren eigentlich echt interessant. Insofern wird es bei mir also wirklich besser«, erzähle ich.

Lucy setzt ihre schwarze Sonnenbrille auf, als die Lichtstrahlen beginnen unangenehm zu werden.
Dann murmelt sie: »Das klingt gut. Ich habe einen Professor, den ich nicht kenne.«

»Wird schon gut werden. Gehst du auf die Ersties Party morgen?«, frage ich und stecke meine Hände in die Taschen meines Mantels.

»Ich denke schon und du?«

Ich nicke und bleibe kurz vor der U-Bahn Station stehen.

»Also ich muss jetzt hier runter. Ich hoffe wir sehen uns morgen. Es kann nie schaden einen Vorlesungsbuddy zu haben!«, sage ich und lächele. Lucy nickt.

Damit verabschieden wir uns. Die dreckige Luft kommt mir noch fast im selben Moment, als ich mich umdrehe, entgegen. Das Betreten von den Stationen ist mit der schlimmste Teil. Bis auf den, wo es manchmal nach Pisse stinkt.

Während ich die Treppe nach unten gehe, denke ich darüber nach, ob ich Shawn fragen sollte, ob wir heute Abend etwas machen wollen. Bis auf das Telefonat mit Jack habe ich nämlich nichts vor. Kaum, dass ich darüber nachgedacht habe, ziehe ich auch schon mein Handy hervor und rufe ihn an. Nach nur einem Tuten hebt der Sänger ab.

»Hallo«, begrüßt mich seine Stimme. Dabei zieht er das o so energetisch in die Länge, dass ich mir gut vorstellen könnte, dass er jetzt auf einem Drehstuhl sitzt und sich um die eigene Achse dreht.

»Hey«, lache ich und füge noch hinzu: »Hast du Lust heute Abend was zu machen? Ich könnte so gegen sieben.«

»Klar. Wie wäre es mit Spazieren und anschließend etwas Essen gehen? Wir könnten wieder auf irgendwelche Typen lauern, die gerade Football spielen«, schlägt er vor und spielt damit eindeutig auf letztes Jahr an.

»Das könnten wir natürlich machen. Ich könnte aber auch einfach einen Ball mitnehmen und wir spielen eine Runde Football?«, erwidere ich.

»Das ist eine gute Idee. Dann sind wir nicht so abhängig davon, ob irgendwelche komischen Typen im Park rumlungern.«

»Besser wär's«, sage ich und steige in die U-Bahn, die kurz zuvor eingefahren ist.

»Dann bis nacher. Ich komme dich abholen.«

Nach dem Telefonat bin ich wieder ein bisschen wacher, als nach der Vorlesung, bei der ich das Gefühl hatte, eine Verschiebung in Zeit und Raum hautnah mitzuerleben. Auf keine positive Art und Weise. Eher so, als würden grüne Männchen ihren Finger aus Spaß auf die Erde legen und sie anhalten, damit auch ja keiner das Gefühl hat, die Sekunden würden vergehen.

Ich schaue von meinem Handy auf und stecke es in meine Tasche. Irgendwie macht es mir manchmal Spaß, die Menschen in der U-Bahn zu beobachten. Nicht auf eine gruselige Weise. Es kommt mir immer so vor, als würde jeder in seiner eigenen Welt leben, mit einem eigenen Soundtrack.

Vermutlich ist es sogar irgendwie so. Nach ein paar Stationen steige ich wieder aus und laufe einen anderen Weg, als sonst. Dieser Weg führt nämlich an dem Süßigkeitenladen vorbei, in dem Shawn und ich uns zum zweiten Mal getroffen haben. Wenn heute schon ein Tag der Erinnerungen ist, dann richtig.

Dort angekommen steigt mir ein außergewöhnoich süßer Duft in die Nase, der den U-Bahn Geruch um Längen schlägt.

Wie ich festelle, arbeitet der etwas dickere Typ immer noch hier.

»Zehn Stück saure Melonen, bitte«, bestelle ich und sehe ihm anschließend dabei zu, wie er sie mit der kleinen Zange aus dem durchsichtigen Behälter fischt und in eine Papiertüte fallen lässt.

»Darf es sonst noch etwas sein?«, fragt er desinteressiert und sieht mich an. Wow. Das Arbeiten hier scheint einen ja ganz schön abzustumpfem. Ich hoffe ja, dass ich im Baumarkt nicht so leblos auf meine Kunden wirke. Obwohl die Schichten wirklich immer sterbenslangeeilig sind.

Eine Sekunde denke ich nach und bestelle dann noch ein paar andere Sachen, bevor ich mit ihm nach vorne zur Kasse gehe, um zu bezahlen.

»Einen schönen Tag noch«, murmelt er in einer schläfrigen Stimme und greift zu dem Magazin, das neben ihm liegt.

»Ihnen auch!«, entgegne ich und verlasse den Laden. Dann beeile ich mich etwas nach Hause, sodass ich mich noch umziehen kann. Irgendwie habe ich das Bedürfnis meine Jeans gegen eine gemütliche Jogginghose zu tauschen. Ich bin eindeutig keiner dieser Menschen, die auch zu Hause in Jeans herumlaufen. Das ist mir viel zu unbequem. Gut, unbequem vielleicht mit baggy Jeans nicht, aber trotzdem.

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12 rules [s.m.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt