XL Die Pflicht Ihrer Majestät

85 6 11
                                    

Lilith

Stumm lehnte ich neben Amaiyah an der Wand, während sie sich verzweifelt damit abmühte, auf den Beinen zu bleiben und sich den Schaden anzusehen, welchen das Feuer auf ihrem Körper hinterlassen hatte.

Seit ihrem erstmaligen Erwachen waren ungefähr drei Tage vergangen; laut der Stundenanzahl waren es jedenfalls so viele. Eine Zeitrechnung mit so wenig Sonnenlicht war kompliziert. Bis jetzt hatte keiner ein Wort über die Ereignisse in Gralea verloren, obwohl es allen schwer im Magen lag.

Benommen wie von einem kräftigen Schlag ins Gesicht liefen wir alle umher und gingen hektisch den Aufgaben nach, die die Situation uns stellte. Zwar befanden wir uns physisch in Lestallum, doch unsere Seelen schienen noch in dieser grauenhaften Festung eingesperrt zu sein.

Noctis blieb nach wie vor verschwunden. Keiner wusste, was mit ihm genau geschehen war. Amaiyah könnte eine Ahnung haben, allerdings wollte keiner sie bezüglich dessen bedrängen, da sie erst wieder zumindest halbwegs genesen musste. Dass sie stehen konnte, war ein sehr guter Anfang.

In nichts anderes gekleidet als eine schlichte Unterhose und mit einem bitteren Ausdruck in dem nun vernarbten Gesicht starrte sie ihr Spiegelbild an und ermittelte die Ausmaße der Verletzungen. Es war eine sehr lange Zeit her, seit ich sie das letzte Mal ohne Kleidung gesehen hatte. Lediglich in meinen Kindesjahren hatte sie sich dieser entledigt, jedoch auch nur, um mit mir baden zu gehen. Nachdem ich mich auch allein anfing zurechtzufinden, hatte sie das nie wieder getan. Wahrscheinlich wollte sie unangenehme Fragen bezüglich der großen Narbe an ihrer Flanke vermeiden.

Es löste in mir ein Gefühl der Besorgnis und des Unwohlseins aus, Amaiyahs Körper auf solch eine Weise gezeichnet zu sehen. Die Wunden waren so gut wie überall. Besonders ihre linke Körperhälfte war betroffen. Die besagte Narbe, aus welcher die Dunkelheit sich in ihr Blut ergossen hatte, war nun in ein tiefes Purpurrot getaucht. Von dieser erstreckten sich Bahnen derselben Farbe wie Spinnenbeine bis zu ihrer Schulter, dem Bauchnabel, der Wirbelsäule und ungefähr der Mitte ihres Oberschenkels.

Die Verletzungen bedeckten zudem noch ihren Hals, ihren kompletten linken Arm, den Rücken und das Bein derselben Seite, während sie auch auf die rechte Körperhälfte übersprangen wie zum Beispiel auf die Innenseite ihres Beins oder die Schulter. So dünn wie die Fäden einer Marionette zogen sie sich sogar bis über ihre linke Wange, das Auge und die Augenbraue.

„Wahrlich ein scheußlicher Anblick...", keuchte Amaiyah. Vor Schmerz und Anstrengung rann ihr Schweiß über die Haut.

„Denkst du, das wird wieder heilen?", fragte ich besorgt.

„Nein... Es kehren keine Münzen zurück, welche man...ausgab, und so ist es auch bei jenem Preis, welchen ich...bezahlen musste.", zischte sie ernst. „Für das Leben gab ich...meinen Namen."

Fragend legte ich meinen Kopf schief.

„Da meine Herkunft die des...elfischen Adels ist, trage ich...den seinen Titel und den Familiennamen.", erklärte sie. „Meine Familie zeichnete sich...durch ihre erstklassigen...Führungsqualitäten aus, zu welchen auch Anmut und...Eleganz zählten. Daher nannte man sie „Suavitas" - die Familie...der Anmut; diejenigen, die die elfische Tugend...der Eleganz verkörperten...Nun, dies ist bei mir nicht länger...der Fall..."

Ich schwieg, unwissend darüber, was ich dazu sagen sollte.

Amaiyah verzog gebrochen das Gesicht zu einem Ausdruck des Kummers. Scheinbar fertig mit ihrer Selbsteinschätzung taumelte sie zurück zum Bett, ließ sich darauf nieder und zog sich sogleich ein einfaches, weißes T-Shirt über.

Ihr nun wieder zartroter Blick war in unbekannte Weiten und Tiefen gerichtet. Es kam mir so vor, als schaue sie auf eine solch schiere Menge an Zeit zurück, dass ich sie mir nicht einmal vorstellen könnte. Vor mir saß eine gänzlich gebrochene Frau, die sich weigerte, anzuerkennen, dass sie gebrochen war.

Final Fantasy XV: Über Könige und Königinnen |✓|Where stories live. Discover now