Matteo

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Das Läuten der Glocken erfüllt den ruhigen, stillen Nachmittag und die Türen der Kapelle öffnen sich. Matteo hält Cassy fest umschlungen, beide gehen schluchzend hinter den Urnenträgern her. Hinter ihnen geht Cassys Tante Mathilde, die extra aus Amerika für die Beerdigung eingeflogen war. Auch ihr Gesicht ist tränennass und ihre Augen sind gerötet. Arbeitskollegen und Freunde von Kiki haben sich hinter Mathilde aufgebaut und folgen.

Matteo wischt sich mit der freien Hand eine Träne beiseite und blinzelt gegen die Sonnenstrahlen an, als sie auf den Friedhof hinaustreten. Vor der Kapelle hat sich eine Schar Leute versammelt, die in der kleinen Kapelle keinen Platz gefunden hatten.

Leyla und Ben, Julia und Elias, Theresa und Herr Berger, sogar Vivi, die extra aus Hamburg angereist ist. Die anderen Kollegen sind momentan im JTK, wären aber mit Sicherheit auch gekommen.

Sie alle reihen sich der kleinen Prozession an, die unterwegs zu Cassys Familiengrab ist. Der Bestatter hat bereits alles vorbereitet und kaum auf die Worte achtend, was der Priester danach noch sagt, hält Matteo seine Verlobte fest im Arm.

Alle die möchten, werfen Erde oder eine Blume auf die Urne und nehmen Cassy in den Arm. Die kleine Trauerfeier löst sich relativ schnell auf, sodass nur noch Matteo und Cassy, sowie ihre Freunde am Grab stehen.
Cassy hat während der ganzen Beerdigung kein einziges Wort gesagt. Ihr Gesicht ist eingefallen und aschfahl, da sie seit Tagen kaum etwas gegessen hat. Matteos Sorge wächst stündlich, doch ihren Schmerz kann er allzu gut verstehen.

Als er in die Richtung guckt, in der Miriams Grab sich befindet, muss er den Kloß im Hals hinunterschlucken.
„Kommt, wir können zu uns", meint Leyla nach einer Weile, Cassy lässt sich widerstandslos mitziehen. In der Hoffnung, dass sie bei Leyla etwas würde essen können.

Doch auch dort sitzt sie mit leerem Blick auf dem Sofa, das Kuchenstück und ihr Glas Wasser nicht einmal angerührt. Elias und Julia versuchen sie so gut es geht abzulenken, während Theresa und Ben mit Raya beschäftigt sind. Leyla und Matteo stehen in der Küche.

„Das geht schon Tage so", murmelt er und Leyla schaut zu Cassy hinüber. „Gib ihr Zeit. Cassy ist eine starke Frau, der Tod ihrer Schwester hat sie einfach aus der Bahn geworfen. Kiki war der letzte Halt aus ihrer Familie gewesen, selbst ihre Tante Mathilde muss sich doch jetzt schon auf dem Weg zum Flughafen befinden, oder?".
Matteo nickt. Leyla legt ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. „Sei einfach für sie da. Dich wird sie jetzt am meisten brauchen".

Auch nach Tagen, Cassy hatte sich unbezahlt beurlauben lassen für eine ungewisse Zeit, sitzt sie meistens in dem kleinen Erker in ihrem Büro zuhause und starrt in den Garten hinaus. Sie rührt immer noch kaum etwas zu Essen an, sodass Matteo mit zunehmender Panik beobachten kann, wie ihre Schulterknochen immer mehr hervortreten.

Matteo muss leider wieder arbeiten. Einen Morgen geht er zu ihr und setzt sich dazu. „Ich muss wieder in die Klinik", sagt er und streichelt ihr über die Wange. Ihr sonst so strahlendes Gesicht ist stumpf und leichenblass.
„Die Kollegen konnten es einrichten, dass ich keine Doppelschicht machen muss. Bin also schneller wieder da, als du gucken kannst".

Er versucht, ihr ein Lächeln zu entlocken. Vergeblich. „Ich liebe dich", flüstert er, steht auf und gibt ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn. Keine Reaktion.

In der Klinik angekommen ist die Stimmung betrübt. Elias kommt ihm am Counter entgegen und zieht erwartungsvoll eine Augenbraue hoch. Doch Matteo schüttelt nur den Kopf.
Cassy ignoriert seit Tagen jegliche Kontaktversuche der anderen. Selbst bei den persönlichen Besuchen zeigt sie kaum eine Reaktion, sitzt einfach nur in ihrem Erker und starrt in den Garten.

„Was können wir tun?". Theresa, die am Computer sitzt, schaut ihn aus großen Augen an. Matteo seufzt und blättert durch eine Patientenakte. „Ich fürchte gar nichts. Außer immer wieder versuchen, sie aus ihrer Trance zu holen. Und vielleicht, wenn einer von euch gleich Feierabend hat, bei ihr vorbeifahren und nachsehen. Der Ersatzschlüssel liegt unter dem Blumentopf auf der Terrasse".

Elias nickt. „Ich fahre gleich mal vorbei". Matteo dankt ihm und geht zu der Patientin, deren Akte er gerade in der Hand hatte.
Die Visite, die er bei seinen Patienten durchführt, geht zügig vonstatten, keiner der jungen Fachärzte nervt ihn und als er nach seinem Handy greift, um es bei Cassy zu probieren, ruft Elias an.

Sein Herz schlägt schneller und mit zitternden Fingern nimmt er das Gespräch an. „Sie ist weg!", hört er Elias sagen, doch mehr auch nicht. Augenblicklich fällt ihm das Handy aus der Hand und eine Panik befällt ihn, die er schon einmal erlebt hat. Und es durfte nicht nochmal geschehen!

In aller Freundschaft: die jungen Ärzte - LifelinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt