Cassy

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„Ahrend ist wieder hier?". Vivi schaut Matteo ungläubig an, während ich nur fragend eine Augenbraue hochziehe. „Wer ist Ahrend?", frage ich und schaffe es, für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit der Beiden auf mich zu ziehen.

„Dr. Niklas Ahrend. Er war früher mein Ausbilder am JTK", erklärt Vivi mir und Matteo verschränkt die Arme vor der Brust. „Vor ein paar Jahren ist er als Chefarzt der Gynäkologie nach San Francisco gegangen und momentan wieder hier".

Vivi fährt sich durch ihre Strubbelhaare. „Hat er erzählt, wieso?". Matteo lehnt am Türrahmen zum Wohnzimmer und zuckt mit den Schultern. „Wir waren mit einem Unfallopfer beschäftigt, so genau habe ich nicht nachgehakt. Glaube er meinte zu Julia was von wegen, seine Schwester besuchen oder so".

„Oh". Vivi presst die Lippen zusammen, ihre Mundwinkel zucken aber, als ob sie gleich grinsen müsste. „Was ist?", frage ich lachend und sie kichert.
„Naja ... Julia und Dr. Ahrend waren ein Paar, bevor er nach San Francisco gegangen ist ... und sie wäre sogar fast mitgegangen, hat sich am Flughafen noch um entschieden".

Das sind mal Neuigkeiten, auf die ich gewartet habe! Ich ziehe meine Knie an den Körper und schaue von einem zum anderen.
„Und? Macht ihr eine große Willkommensparty?", frage ich und Matteo schaut mich entgeistert an, leicht geöffneter Mund mit gerunzelter Stirn.

„Wieso sollten wir das?". Ich zucke mit den Schultern. „Na, er war ein Kollege von dir. Und wenn er wieder hier ist, und wenn auch nur zu Besuch, kann man doch sowas mal machen".

Matteo holt schon Luft um zu antworten, da kommt Vivi ihm zuvor. „Ich finde, das ist eine schöne Idee, ich schlage es den anderen Mal vor. Bestimmt dürfen wir die Feier auch im JTK machen".
Sie nimmt ihr Handy vom Couchtisch und verschwindet aus dem Wohnzimmer, die Treppe hinauf und direkt in das Gästezimmer.

Matteo kommt seufzend auf mich zu und lässt sich ebenfalls auf das Sofa nieder. „Du weißt, dass dir diese Feier dann nicht erspart bleibt?".
Ich nicke, nehme seine Hand und drücke sie. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Vivi diese Feier ohne mich plant? Sie holt wahrscheinlich jetzt schon ihren Partyplaner hervor".

Entnervt stöhnt er auf und legt den Kopf in den Nacken. „Den habe ich völlig vergessen. Das Ding hatte sie schon als kleines Mädchen, wo sie ihre Teepartys mit den Kuscheltieren geplant hat. Kannst du dir mich vorstellen, auf einem kleinen Stuhl sitzend mit einer Spielzeugtasse in der Hand?".

Eigentlich nicht, aber die Vorstellung bringt mich zum Lächeln. Ein jüngerer Matteo mit wildem Afro, der auf einem Kindergartenstuhl sitzt, Knie bis an das Kinn herangezogen und eine süße kleine Tasse in der Hand. Neben ihm ein Elefant, daneben ein Nilpferd und am besten noch eine kleine Krone auf dem Kopf.

„Stellst du dich mir gerade vor?". Ich nicke verträumt und höre ihn stöhnen. „Weiber", brummt er, dann legt er seinen Kopf auf meinen Schoß und schaut gedankenverloren zur Decke.
Wir hören, wie Vivi wieder aus ihrem Zimmer kommt.

„Cassy", ruft sie, bereits im Flur und ihre Schuhe anziehend.
„Julia braucht uns, Krise!". Ich drücke Matteo einen Kuss auf die Stirn, dann winde ich mich unter ihm hervor und rapple mich auf. „Musst du wirklich gehend?", mault er und ich nicke. „Julia braucht mich. Bin aber nicht allzu spät wieder da".

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Schniefend sitzt Julia auf ihrem Bett und zerdrückt das gefühlt hundertste Taschentuch in ihrer Hand. „I-ich meine, d-da taucht der Kerl einfach nach so v-vielen Jahren wieder auf u-u-und ...". Wieder heult sie los und beruhigend streicht Vivi ihr über den Rücken. „...denkt es s-sei alles wieder normal, s-so wie v-vorher auch".

Erst jetzt fällt mir auf, dass Julia stotternd klingt, wenn sie weint, aber das ist eher nebensächlich. Ich sitze ihr gegenüber und reiche ihr im Wechsel die Tüte für die verbrauchten Taschentücher und die Packung mit neuen.
„Ich d-dachte, mein Leben k-kann nicht noch k-komplizierter und v-verrückter werden ... tada, d-da ist Niklas".

Wie ein Elefant trötet sie jetzt richtig in das Taschentuch. Vivi sieht mich mit einer Mischung aus Verzweiflung und Ahnungslosigkeit an und ich rücke auf Julias andere Seite.
„Sei ehrlich zu dir selbst. Empfindest du noch etwas für ihn?". Julia schweigt, doch ich merke wie es in ihrem Kopf rattern muss.

„Nicht mit dem Kopf denken. Was sagt dir dein Herz?". „Gott, kannst du kitschig sein", schnaubt Julia, lacht aber dann. Ich grinse und stupse sie freundschaftlich in die Seite.
„Ich habe die beste Lehrerin gehabt". Es dauert, bis Julia antwortet. Aber wie sie es sagt, zerbricht mir beinahe das Herz.
„Ja, ich liebe ihn noch immer. Seit dem Tag, als ich ihn am Flughafen verlassen habe", flüstert sie.

In aller Freundschaft: die jungen Ärzte - LifelinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt