Wir betraten schließlich das Harrods. Ein Portier warf uns einen kritischen Blick zu. Ich nahm an, weil er uns vorher schon beobachtet hatte. Zwar hatten Amanda und ich am Wegrand gestanden, doch ich war mir sicher, dass wir allein mit dem Kuss die Aufmerksamkeit der anderen auf uns gelenkt hatten. Innerlich verdrehte ich die Augen. Wir befanden uns in Großbritannien und nicht in China, wo das Küssen in der Öffentlichkeit alles andere als gern gesehen war.
Ich sah zu Amanda und schmunzelte, da sich erneut eine leichte Röte über ihre Wangen gelegt hatte. Als spürte sie meinen Blick, sah sie ebenfalls zu mir und biss sich auf die Unterlippe. Ja, sie dachte eindeutig an den Kuss zurück. Ich zwinkerte ihr gutgelaunt zu.
Im Harrods angekommen musste ich erst einmal blinzeln, um mich an die vielen Menschen und Eindrücke zu gewöhnen. Das warme Deckenlicht reflektierte sich in einer Vielzahl von Scheiben, Spiegeln, Schmuck oder paillettenbesetzten Kleidern.
„Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal hier gewesen bin. Muss schon eine ganze Weile her sein, wenn mich das Ganze hier leicht überfordert."
Amanda lachte neben mir auf und legte ihre Hand über meine, die noch immer auf ihrer Hüfte ruhte. „Keine Sorge, ich bin ja bei dir. Außerdem weiß ich, wo wir Isaac ungefähr finden." Ich nickte ihr zu und gemeinsam liefen wir durch die Gänge des Erdgeschosses. Hin und wieder schien ein Verkäufer auf uns zugehen zu wollen, doch wir ignorierten den Versuch oder schüttelten lächelnd den Kopf. Irgendwann steuerte Amanda auf eine Rolltreppe zu. Wir fuhren eine Etage nach unten und damit änderte sich das Ambiente um uns herum vollkommen. Waren die Säulen im Erdgeschoss viereckig und geradlinig, wurde die moderne Eleganz nun durch antik aussehende Lampen, Sandsteinwände und Mustern an den Wänden und Decken ersetzt.
„Willkommen in Ägypten", sagte Amanda neben mir und machte eine ausladende Handbewegung.
„Ist das schon lange so? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich hier schonmal eine Pharaostatue gesehen hätte."
Amanda schüttelte den Kopf. „Das gibt es schon seit den 90ern. William Mitchell, der damals die Räume gestalten sollte, war von Ägypten fasziniert. Darum hat er dem Harrods einen ägyptischen Touch gegeben. Es heißt, wenn man die Rolltreppe rauf und runter fährt, würde man zwischen dem Ober- und Unterlauf des Nils hin und her fahren. Früher gab es hier Fahrstühle, die wurden aber ausgetauscht."
„Wirklich?" Fasziniert sah ich Amanda an, die lächelnd nickte und ebenso begeistert wirkte.
„Ja. Du scheinst noch nie Socken oder Schuhe hier gekauft zu haben. Sonst wärst du schonmal im Untergeschoss gewesen."
„Erwischt. Ich bin leider kein Socken-Fetischist, dass ich dafür eine ungehörige Menge an Geld ausgeben würde. Woher weißt du so viel über die Geschichte des Einkauszentrums? Gibt es hier irgendwo eine Info-Tafel, wo man das nachlesen kann?"
„Nein. Ich habe dir doch erzählt, dass ich Isaac kennengelernt habe, weil ich einen Artikel über das Harrods schreiben sollte. Nun, ich bin dabei auf die Geschichte der Künstler gestoßen. Leider durfte ich sie nicht in den Fokus rücken, aber es hat mich interessiert, wieso es hier mitten in London ein Einkaufszentrum in ägyptischem Stil gibt. Also habe ich recherchiert und ein wenig rumgefragt", erklärte sie. „Natürlich habe ich nach dem Vorfall nur noch durch den Besuchereingang genutzt. Ehrenwort!", fügte sie hastig hinzu, als sie meine hochgezogene Augenbraue bemerkte.
„Das will ich dir mal glauben."
„Hey. Ich sage die Wahrheit. Ich habe sogar offiziell eine Anfrage gestellt, damit wir ein paar Fotos machen konnten. Die Kopien der unterschriebenen Einverständniserklärung des Direktors habe ich sogar noch."
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Color of your Voice
RomanceFreundlichkeit ist eine Sprache, die taube Menschen hören und stumme Menschen sprechen können. „Timbre of the World" - eine Stiftung, die taube und stumme Menschen unterstützt, hat einen neuen Vorsitzenden: Caiden O'Neill. Für einen Artikel nimmt Am...