Kapitel 26 - Amanda

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Auf dem Weg in Grandpas Zimmer, das auf der dritten Etage lag, holte ich mein Handy hervor. Ich hatte ein paar neue E-Mails, die ich kurz überflog, jedoch waren die meisten nur Newsletter, die ich abonniert hatte. Eine Mail ließ mich kurz innehalten. Ich hätte sie fast in den Spam-Ordner geworden, wenn mir der Name des Absenders nicht irgendwie bekannt vorgekommen wäre. Doch mir wollte auf die Schnelle nicht einfallen, wieso mir der Name S. Murphy etwas sagte. Ich markierte die Mail daher, damit ich sie später wiederfand. Jetzt im Augenblick war Grandpa wichtiger.

Ich wollte das Mail-Programm gerade wieder schließen, als mir eine weitere ungelesene Mail ins Auge sprang.Erwartungsvoll biss ich mir auf die Lippe, als ich darauf wartete, dass die gesamte Nachricht geladen wurde. Dass man im Fahrstuhl aber auch immer so schlechten Empfang haben musste, war zum verrückt werden. Wann hatte man denn besser Zeit, seine Mails schnell zu checken, wenn nicht im Fahrstuhl, wo man im Grunde eh nichts anderes tun konnte, als in den Spiegel oder auf die Etagen-Anzeige zu starren?

Der Fahrstuhl hielt in dem Moment, als ich gerade fertig war, die Mail zu lesen. Grinsend schaute ich auf, als ich austrat. Ich hatte ein Interview mit LAIENCHORE, dem Kurzgeschichten-Autor.

Eine innere Ruhe erfasste mich. Endlich war ich wieder bei meinen Artikeln angekommen. Endlich konnte ich wieder mit den Menschen arbeiten, über die ich schreiben wollte. Die ganze Sache mit Cadiz hatte viel zu viel Dreck aufgewirbelt, sodass ich die letzte Zeit geglaubt habe, nicht wieder zu meinen eigentlichen Artikeln zurückzufinden. Und auch wenn Oliver anderer Meinung war. Ich war fest davon überzeugt, dass nicht jeder Journalist so verbissen ein musste, um Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Wir erfuhren jeden Tag von genug schlechten Nachrichten. Darum war es notwendig, zwischendurch auch ein paar schöne Geschichten zu hören. Oder zumindest Geschichten, die weitergingen und nicht durch Tod und Trauer ihr Ende fanden.

Als ich Grandpas Zimmer betrat, waren die Pfleger schon wieder weg. Grandpa war bereits dabei die Schachfiguren auf dem Spielbrett zu arrangieren. Als er aufblickte und mein Grinsen sah, hob er die weißen Augenbrauen. „Hast du im Lotto gewonnen oder einen Heiratsantrag bekommen?"

„Geld oder Liebe?", fragte ich. „Gibt es denn nichts anderes, über das man sich freuen kann?". Ich setzte mich Grandpa gegenüber an den Spieltisch, ließ ihn aber allein die Figuren aufstellen, da Grandpa das schon immer gern gemacht hatte.

„Das wären zumindest zwei wirklich gute Gründe. Aber erzähl, was ist passiert?"

„Ich bin nur froh, dass ich meine Artikel schreiben und damit Geschichten erzählen kann."

„Und wessen Geschichte erzählst du als nächstes?"

„Erst die von einem Vorsitzenden. Dann die von einem Autor, der Kurzgeschichten in Zeitungen veröffentlicht. Er schreibt unter einem Pseudonym, dass bestimmt eine Art Anagramm ist, wenn mich nicht alles täuscht, da der Name sonst keinen Sinn ergibt."

„Wie spannend! Und weißt du schon, welcher Name sich hinter dem Anagramm verbirgt?" Grandpa sah mich erwartungsvoll an.

„Leider nicht", erwiderte ich kopfschüttelnd. „Ich weiß leider noch nicht einmal, ob der Autor seinen Vor- und Nachnamen in seinem Pseudonym hat. Aber ich will auch nicht veröffentlichen, wer genau sich hinter dem Pseudonym versteckt. Mich interessiert eher, wie er zum Schreiben gekommen ist.

"Stolz nickte Grandpa, während er seine letzten Schachfiguren ordentlich aufreihte. „Das ist mein Mädchen. Die Person wird einen Grund haben, warum er oder sie anonym bleiben will. Und was ich schon ein Name?"

„Eben. Da bin ich ganz deiner Meinung." Ich nickte zur Bestätigung und warf einen Blick auf das Schachbrett, auf dem Grandpa nun alle Spielfiguren arrangiert hatte.

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