Kapitel 6 - Amanda

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„Also Daniel", sagte ich, nachdem ich meine Hand zurückgezogen hatte. „Was verschlägt sie zu dieser Feierlichkeit?"

„Oh, ich will heute einem Freund zur Seite stehen. Er ist nicht so der Typ für Menschenmassen, wissen Sie." Ich nickte verstehend, auch wenn ich das genaue Gegenteil war. In der Menge unterzugehen, sich von ihr und ihren Gefühlen treiben zu lassen, war wundervoll. Am meisten liebte ich es, bei Shows, Konzerten oder Ähnlichem dabei zu sein. Wenn alle vollkommen in dem aufgingen, was sie sahen und hörten. Aber ich wusste von Victoria, dass es für einen Menschen auch sehr unangenehm sein konnte, sich zwischen unzähligen Menschen zu befinden.

„Menschenansammlungen sind nicht jedermanns Sache."

„Ist es denn ihre?"

Ich legte den Kopf leicht schräg und sah Daniel an. Er war um einiges größer als ich, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste. „Was bezwecken Sie mit dieser Art von Frage herauszufinden?", fragte ich lächelnd, da ich sonst missverstanden werden konnte und nicht misstrauisch rüberkommen wollte.

Daniel blinzelte verwirrt, gleich danach fing er an zu grinsen. „Nun ja, ich dachte, dass Sie als Frau dann ausholen und mir sagen, warum Sie heute hier sind." Ich verbiss mir ein Grinsen.

„Ein bisschen klischeehaft, oder? Sie hätten mich doch genau das fragen können."

Daniel antwortete darauf nicht und ich war versucht ihn in die Kategorie „Es gibt Menschen, die muss man nicht verstehen" zu stecken, doch ich wollte auch nicht vorschnell Schlüsse ziehen. Vielleicht war er einfach nur nervös, weil er selbst nicht gern unter so vielen Menschen war.

Ich ließ das Thema auf sich beruhen und fragte stattdessen: „Begleiten Sie mich rein, oder warten Sie noch auf ihren Freund?"

„Oh er ist schon drin. Kommen Sie."

Daniel ging an mir vorbei und öffnete die Rechte der beiden Türen für mich. Dann hielt er mir die linke Hand hin, die ich ergriff und mit einer fließenden Bewegung zog er mich neben sich und hakte mich bei sich unter, noch bevor sich die Tür hinter uns wieder schloss.

„Sie scheinen das nicht zum ersten Mal zu machen", stellte ich amüsiert fest. Daniel erwiderte mein Lächeln bestätigend und fügte hinzu: „In der Tat, mein Vater gibt hin und wieder ähnlich große Feste, da will man nach ein paar Jahren geübt sein."

„Wollen Sie mir sagen, wie viele Frauen diese Kunst schon erleben durften?"

Daniel lachte. „Drei. Mit ihnen."

Ich stockte beim Gehen, was Daniel geschickt überging. „Das sind erstaunlich wenig Frauen."

„Ich habe leider nur eine Mum und eine Schwester. Andererseits... die beiden sind mehr als genug." Daniel lachte, wahrscheinlich, weil er sich an die beiden erinnerte.

Das überraschte mich nun doch. War er doch kein Player, sondern einfach nur höflich und hatte etwas von der alten Schule gelernt? Dabei war ich mir ziemlich sicher gewesen, dass Daniel mich nicht nur aus Freundlichkeit angesprochen hatte. „Ich fühle mich geehrt."

Daniel lachte. „Sollten Sie auch." Er zwinkerte mir kurz zu, ehe er seinen Blick wieder nach vorne richtete. Ich tat es ihm nun gleich und machte im nächsten Augenblick große Augen.

Der Saal, in dem wir uns befanden, war erstaunlich groß, wurde von mehreren Kronleuchtern erhellt und hatte auf der rechten Seite große Fenster, die von schweren ockerfarbenen Vorhängen mit Kordeln am unteren Ende umrahmt wurden. Mehrere große, runde Tische, die von edlen weißen Tischdecken bedeckt waren, standen in der Mitte und grenzten so den Eingangsbereich von der Bühne ab, hinter der ein großes Plakat mit dem Logo der Stiftung hing. Davor stand ein einfaches Pult, das ebenfalls gebrandet war.

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