Kapitel 35 - Amanda

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„Miss Davies. Hier ist Samantha Murphy. Wir haben erst gestern das letzte Mal miteinander geschrieben." Stolpernd landete ich in der U-Bahn. „Miss Murphy, was kann ich für Sie tun?", fragte ich und setze mich auf einen freien Platz.

„Ich sagte Ihnen bereits, ich habe einen Verdacht, den ich gerne mit Ihnen besprechen möchte. Sie haben einen sehr guten Artikel über TiWo geschrieben und ich bin mir sicher, dass Sie auch nur das beste für die Stiftung wollen. Daher möchte ich mich wirklich dringend mit Ihnen treffen. Außerdem haben Sie auch viel über Senator Cadiz berichtet, weshalb ich sehe, wie wichtig Ihnen die Wahrheit ist." Bei dem Namen des Senators überkam mich ein unangenehmer Schauer. Ich konnte nur hoffen, diesen Teil meiner Arbeit in naher Zukunft wieder loszuwerden.

„Worum geht es denn genau? Sie hatten gestern schon angedeutet, dass Sie eine Vermutung haben, aber ich kann leider nicht einmal ansatzweise sagen, worum es gehen soll."

„Ich würde das ungern am Telefon besprechen, aber es ist wirklich dingend. Ich selbst kann nicht ermitteln und nachforschen, da man es sofort merken würde. Für eine Journalistin hingegen ist es normal, in den Angelegenheiten anderer herumzuschnüffeln."

Ich kniff die Augen zusammen, was die Frau, die gegenüber von mir saß, schnell zu Seite sehen ließ. Rasch senkte ich den Blick, damit nicht noch jemand dachte, dass mein Gesichtsausdruck ihm oder ihr galt. „Ich schnüffle nicht in den Angelegenheiten anderer herum. Meine Artikel basieren in der Regel auf Interviews mit Menschen, die sich freiwillig mit mir unterhalten. Die Geschichte mit dem Senator war eine Ausnahme." Die ich noch immer sehr bereute.

„Geben Sie mir eine Chance. Ansonsten muss ich mich an einen anderen Journalisten wenden." Wieder kniff ich die Augen zusammen. Wenn Samantha Murphy dachte, dass sie mich ködern könnte, weil ich Angst hatte, jemand würde mir eine Story klauen, lag sie falsch. Aber ein anderer Gedanke nahm Gestalt in meinem Kopf an. Wenn ich Miss Murphy anhören würde, könnte ich verhindern, dass jemand anderes TiWo durch den Dreck ziehen konnte. Wenn ich mich der Sache annahm, hatte ich die Fäden in der Hand. Ganz egal, was sie schreiben würde, ich könnte die Richtung der Berichterstattung festlegen.

Geschlagen seufzte ich. Das hörte auch Miss Murphy, da sie sofort sagte: „Ich treffe Sie in einer Dreiviertelstunde hier im Audiologie-Forschungszentrum von TiWo. Sagen Sie am Empfang, dass ich Sie erwarte. Die Adresse finden Sie im Internet. Ich freue mich auf unser Gespräch." Ohne mir die Gelegenheit zu geben, zu antworten, legte sie auf. Was wenn ich länger als 45 Minuten brauchte, um durch London zu fahren? Was, wenn ich kein Internetzugang hatte? Diese Frau schien es gewohnt zu sein, das zu bekommen, was sie haben wollte. Und was meinte sie damit, sie freute sich auf unser Gespräch? Der Anlass erschien mir nicht sehr rosig. Plötzlich ermüdet, suchte ich die Adresse und den Fahrplan zum Forschungszentrum heraus und stieg an der nächsten Station aus, da ich vollkommen in die Flasche Richtung fuhr.

Ich fühlte mich leicht verschwitzt und ein wenig außer Atem, als ich schließlich vor dem modernen Audiologie-Forschungsinstitut ankam. Die 45 Minuten, die Samantha Murphy mir gegeben hatte, waren alles andere als ausreichend gewesen. Und obwohl ich die meiste Zeit in einer U-Bahn gesessen habe, war meine innere Aufregung immer weiter gestiegen. Das lag aber nicht nur daran, dass ich zu spät kam und das so gar nicht leiden konnte. Wichtiger war: Was wollte mir Muss Murphy mitteilen, dass es nicht noch ein paar Tage hätte warten können? Es klang fast so, als müsste ich noch heute etwas tun, wenn sie mir eröffnete, weshalb sie mich zu sich zitiert hatte. Und genau das war es gewesen. Sie hatte mich nicht um ein Treffen gebeten, oder mich dazu überredet. Eher hatte sie mir die Pistole auf die Brust gesetzt.

Allein deswegen hätte ich die Unruhe in mir erklären können. Aber es war mehr. Was konnte Miss Murphy so aufregen? Und wieso war Caiden gestern früh die Ruhe in Person gewesen? Wusste Roger Murphys Tochter etwas, dass dem Vorsitzenden der Stiftung nicht bekannt war? Und wenn ja, wieso war das so? Aus einem inneren Impuls heraus wollte ich schon jetzt für Caiden Partei ergreifen. Wäre ich nicht von Beruf Journalistin und würde ich meine Quellen nicht um jeden Preis decken, wäre ich fast gewillt ihn anzurufen. Wieso ich dieses Pflichtgefühl diesem Mann gegenüber empfand, wollte mir nicht in den Kopf. Caiden war zweimal nett zu mir gewesen. Den Rest der Zeit hatte er mich verletzt oder zur Weißglut getrieben. Daher war mein Beschützerinstinkt alles andere als nachvollziehbar. Frustriert über all die Gedanken, die während der Fahrt zu Miss Murphy in meinem Kopf herumspukten, schüttelte ich den Kopf. Das Beste wäre es, dieses unangenehme Gespräch hinter mich zu bringen. Ich musste das Pflaster mit einem Ruck abreißen. Was ich danach tun würde, konnte ich später entscheiden. Wahrscheinlich musste ich aber erst einmal die Informationen und ihren Wahrheitsgehalt prüfen.

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