Kapitel 9 - Amanda

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Lesenacht Teil 3

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Ich könnte ihn an die Wand klatschen. Aus dem Fenster werfen oder in eine Kiste sperren und an den Südpol verschiffen. In mir brodelte es bedrohlich und ich gab mir gerade sehr viel Mühe, nicht einfach zu schreien und meiner Wut Luft zu machen.

Ich biss so fest die Zähne zusammen, dass es schon fast wehtat, während ich auf mein Handy starrte, als wäre es höchst persönlich für Olivers verfluchten Charakter verantwortlich. Wieso ging er aber auch davon aus, dass ich nach dem letzten Artikel, den ich übernommen hatte, weil kein anderer da war, jetzt nochmal etwas Derartiges schreiben würde? Ich sollte die Stiftung in Fetzen reißen? Was stimmte nicht mit ihm? Vor allem, weil er wusste, wie ich mich damit fühle.

Ich legte mein Handy zurück auf den Tisch, um es vor Wut nicht doch noch durch die Gegend zu werfen. Plötzlich schob sich eine Hand in mein Blickfeld. Ich sah auf. Aden hatte sich vorgebeugt und seine Hand flach in die Mitte des Tisches gelegt. Ihn hatte ich fast vergessen. Er sah mich lächelnd und ein wenig aufmunternd an. Was er jetzt wohl von mir denken musste? Unser Gespräch war bis zum Anruf ganz nett verlaufen. Besser als das erste und Aden schien ein echt netter Kerl zu sein. Auch wenn ich mir seinen Sinneswandel nicht ganz erklären konnte. Wahrscheinlich war Aden die Art von Mann, in die sich eine Frau schneller verliebte als ihr lieb war. Das Problem bei mir hingegen war, dass ich mich weder verlieben noch eine Beziehung wollte. Dieses Märchen hatte ich hinter mir gelassen. Auch wenn ich nur recht wenig Erfahrung darin hatte, klang eine Affäre ohne Verpflichtungen gar nicht so schlecht. Wer brauchte schon eine Beziehung, wenn am Ende kam dann trotzdem die Scheidung kam?

Ich erwiderte Adens Lächeln schwach und er drehte seine Handfläche nach oben. Verwirrt sah ich zwischen seinem Gesicht und seiner Hand hin und her. Dann deutete er, ihm meine Hand zu geben. Einen Moment sah ich Aden gespielt argwöhnisch an, bis ich meine Hand schließlich in seine legte.

Triumphierend lächelnd, umschloss er meine vergleichsmäßig kleine Hand mit seinen Fingern. Seine Hand war warm und weich. Er schien keine harte Arbeit zu verrichten. Seine Fingerkuppen waren etwas rau, aber das kam wahrscheinlich davon, dass er viel am Computer saß.

Sachte zog Aden meine Hand näher zu sich, sodass ich mich auf den Tisch stützten musste, während er weiter nach vorne auf die Kante seines Stuhles rutschte. Als er nun die zweite Hand hob, dachte ich, er würde einfach nur meine Hand halten wollen. Tatsächlich aber begann er mit Daumen und Zeigefinger meine Hand zu massieren. Vom Handteller, zum Handballen und auch die weiche Stelle zwischen meinem Daumen und Zeigefinger. Erstaunt, wie schnell ich mich bei der kleinen Massage entspannte, sah ich Aden an, während er konzentriert auf meine Hand blickte. Er schien zu wissen, was er tat. Ich entspannte mich immer mehr, während ich seinen perfekt getrimmten Bart betrachtete, die zwei Strähnen, die ihm ganz leicht in die Stirn fielen, aber zu kurz waren, um zu stören und seine gerade geschnittene Nase. Gern hätte ich auch in seine Augen gesehen, musste mich aber mit der Erinnerung unseres ersten Treffens im Augenblick zufriedengeben. Es war hier zu dunkel, um genau die Augenfarbe bestimmen zu können, doch an das Rehbraun seiner Augen konnte ich mich noch sehr gut erinnern.

Eine Weile konzentrierte sich Aden auf die kleine Massage. Er schien vertieft zu sein und so schwiegen wir die Zeit über einfach nur. Es war nichts zu hören. Kein Mensch, keine Musik oder anderen Geräusche. Viele Menschen können mit echter Stille nicht umgehen. Sie müssen immer das Radio oder den Fernseher im Hintergrund laufen lassen. Ich habe erst durch Victoria gelernt, was echte Stille wirklich bedeutet und habe sie im selben Zuge auch lieben gelernt. So war auch dieser Moment nicht seltsam oder unangenehm. Er war wirklich schön.

Aden sah wieder auf und ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte. Schnell senkte ich den Blick und tat so, als würde ich mich wieder auf unsere Hände konzentrieren. Ich hatte gar nicht über ihn, sondern die Ruhe nachgedacht, trotzdem spürte ich, wie meine Wangen warm worden. Dass mir das überhaupt noch passieren konnte mit 25 Jahren, hatte ich gar nicht gewusst. Gut, ich schleppte jetzt nicht jede Woche oder jeden Monat einen neuen Kerl ab, aber sollte man nach ein paar verschiedenen Partnern nicht wenigstens etwas mehr Selbstvertrauen haben?

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