Kapitel 18 - Amanda

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„Guten Tag Mister O'Neill." Aus Vorsicht war ich wieder zu seinen Nachnamen gewechselt. „Hier ist Amand Davies. Es tut mir leid, dass ich gestern nicht den Termin absagen musste und erst heute Zeit finde." Das mir schon bekannte Schweigen setzte ein und für einen Bruchteil einer Sekunde war ich versucht ihm einfach zu sagen, dass er sich sein Interview sonst wo hinstecken konnte. Dennoch zögerte ich. Vielleicht würde es dieses Mal besser laufen. Ich sollte nicht alles nur schwarz und weiß sehen.

„Passt es Ihnen gerade?", fragte ich daher. Bestimmt sieben Sekunden sagte er weiterhin gar nichts und sieben Sekunden konnten wirklich lang sein, wenn man dabei vergaß zu atmen. „Bringen wir es hinter uns", sagte er dann schließlich und klang resigniert und irgendwie erschöpft.

„Sind Sie sich sicher?", hakte ich nach. „Sie haben mir vorgestern das Interview vorgeschlagen, aber wenn es jetzt ungünstig ist, will ich Sie natürlich nicht stören." Das war sogar die Wahrheit. Zumindest ein Teil, denn immer noch war da die Stimme, die mich mahnte aufzupassen, um nicht zu seinem Punchingball zu werden.

„Nein. Es ist für die Stiftung. Stellen Sie Ihre Fragen." Die nüchterne Art verwirrte mich. Ich hatte Caiden O'Neill unfreundlich, unhöflich und gereizt erlebt. Aber auch freundlich und zum Scherz aufgelegt. Die Nüchternheit schien eine weitere Facette zu sein.

„Bevor wir mit den Interview-Fragen beginnen, würde ich Ihnen gern erst einmal eine andere Frage stellen." Im Hintergrund raschelte etwas. Ich konnte aber nicht sagen was es war. Da Caiden O'Neill aber nichts sagte, fragte ich: „Was wollen Sie mit dem Interview erreichen?"

„Aufmerksamkeit", kam prompt die Antwort.

„Ja. Aber es gibt verschiedene Arten, wie man Aufmerksamkeit erreichen kann. Ein Interview sollte nicht dafür gedacht sein, einfach nur zu schreien ‚Hier bin ich'. Viel mehr sollten Sie etwas vermitteln wollen. Etwas der Welt mitteilen wollen."

O'Neill schwieg. Ich wusste nicht, ob er darüber nachdachte, aber ich wartete einfach nur ab. Ich wollte nicht die ganze Arbeit allein machen. Oliver wusste nichts von diesem Interview hier. Also würde ich auch keinen Kopf kürzer gemacht werden, wenn dieses wie das erste ausfallen würde.

„Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass taube und stumme Menschen auch nur ganz normale Menschen sind. Sie unterscheiden sich zwar durch ihre Hör- oder Sprachbehinderung, aber sie haben ein Herz wie alle anderen auch." Wie konnte ein Mann, der sich so um andere sorgte, manchmal so gemein sein?

„Dann wollen Sie keine Spenden durch dieses Interview erhalten?", fragte ich nach, um sicherzustellen, dass ich ihn richtig verstanden hatte.

„Geht das damit nicht einher?", fragte er verwirrt aber noch immer distanziert. Ich wusste nicht, ob er bemerkt hatte, dass er sich mir gerade ein wenig geöffnet hatte, aber das war im Moment auch gar nicht wichtig.

„Nein. Spenden und Verständnis sind zwei verschiedene Dinge. Wenn Sie viele Spenden erreichen wollen, müssen Sie die Notwendigkeit und Benachteiligung tauber und stummer Menschen gezielt herausstellen. So werden mögliche Spender dazu angereizt, darüber nachzudenken, dass sie das Glück haben weder taub noch stumm zu sein. Das, was sie eben gesagt haben, ist Verständnis. Verständnis für die Menschen, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht haben. Und aus diesem Verständnis wollen Sie Akzeptanz schaffen. Akzeptanz könnte aber auch dazu führen, dass die Menschen denken, dass es taube und stumme Menschen vielleicht doch nicht so schwer haben. Warum also sollten sie spenden?"

Wieder schwieg mein Interview-Partner eine Weile. Dieses Mal war ich mir aber vollkommen sicher, dass er über das nachdachte, was ich ihm gerade gesagt habe. Ich war gespannt, für welche Option er sich entscheiden würde. Der Geschäftsmann würde die Spenden wollen. Der mitfühlende Mensch eher das Verständnis.

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