Oliver hatte mich nicht gefeuert, aber er war fast vor einem Wutausbruch gewesen, als ich ihm von dem geheimen Interview mit Caiden O'Neill erzählte hatte. Einzig allein mein erster Entwurf des Artikels hatte ihn besänftigen können. Denn trotz dessen, dass wir kein Bild von O'Neill hatten, waren seine Aussagen so ehrlich gewesen, dass ich eine Art Steckbrief zur Stiftung entwickeln konnte. Das hatte Oliver zwar wieder beruhigt, als ich ihm jedoch gesagt habe, dass Caiden O'Neill den Artikel vor der Veröffentlichung lesen wollte, hatte Oliver ein Knurren von sich gegeben. Das war das erste Mal gewesen, dass er so ein Geräusch gemacht hatte. Da wir keine offizielle Deadline für den TiWo-Artikel hatten, musste ich den Beitrag auch nicht in einer Nacht schreiben, weshalb ich mir mehr Zeit und Mühe geben konnte. Oliver war zwar wie zu erwarten nicht begeistert von der Freigabe durch O'Neill, aber er akzeptierte es, da durch meinen Einsatz die Daily Mail nun ein Exklusivinterview mit dem neuen Vorsitzenden hatte. Er hatte auch eingesehen, dass wir kein Bild brauchten, um den Artikel populär zu machen.
Bevor Oliver mich aus seinem Büro warf, eröffnete er mir außerdem, dass ich nicht mehr auf Cadiz angesetzt war, was unglaublich tolle Nachrichten waren. Es kam mir fast wie eine Belohnung für das Interview mit O'Neill vor. Ich hatte mich zudem schon mehrere Tage nicht mehr mit dem Fall rund um den Senator auseinandergesetzt, aber ich war ja auch nur die Vertretung der Vertretung gewesen. Im Grunde waren also alle glücklich darüber, dass künftig nicht mehr mein Name unter den News zu dem Senator stehen würde. Beflügelt hatte ich gestern daraufhin Olivers Büro verlassen und mich den ganzen Tag lang um viele kleine und nervende Aufgaben gekümmert, die in der Woche liegengeblieben waren. Nachdem ich meine Minusstunden wieder ausgeglichen hatte und ich abgesehen von Oliver die letzte im Büro gewesen war, hatte er mir zu meinem Feierabend kurz zugelächelt und mir ein angenehmes Wochenende gewünscht. Erleichtert darüber, dass Oliver mir meinen Alleingang scheinbar verziehen hatte, hatte ich mich auf den Weg ins Krankenhaus zu Grandpa gemacht. Nachdem ich noch eine Weile bei ihm geblieben war, hatte ich ihm versprochen bei seiner Entlassung dabei zu sein.
Nun stand ich an dem Tresen bei den Krankenschwestern und wartete, dass der Arzt Grandpa die Papiere gab, damit er das Krankenhaus wieder verlassen konnte. Ich wusste nicht genau, wie lange sowas dauerte, aber ich wollte die Krankenschwestern auch nicht nerven, weshalb ich einfach versuchte, geduldig zu sein.
Zu meinem Glück musste ich nicht lange allein warten, da mein Bruder plötzlich neben mir auftauchte.
„Noah!" Erfreut sah ich auf und umarmte ihn. „Hallo Amy. Alles gut bei dir?", fragte er mich. Ich nickte und löste mich aus der Umarmung. „Ja, alles bestens. Was machst du hier?"
„Ich wollte dich und Grandpa begleiten. Du wolltest doch kein Taxi rufen, oder?", fragte er und sah mich grinsend mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich biss mir ertappt auf die Unterlippe. Noah lachte leise. „Du hättest ruhig fragen können, weißt du Amy?" Ich nickte, weil wir beide wussten, dass er recht hatte. Nach unserem letzten Gespräch in dem Pub, bei dem ich in Tränen ausgebrochen war, fühlte ich mich etwas seltsam in Noahs Nähe. Er schien das zu spüren. Noah spürte immer, wenn zu viele Dinge in meinem Kopf herumspukten, denn er nahm mich erneut wortlos in den Arm und legte sein Kinn auf meinen Scheitel. Ich entspannte mich sofort und schalt mich selbst für meine Feigheit. Wann hatte ich angefangen, mich von meinem großen Bruder zu entfremden? Er war wie immer, aber ich hatte das Gefühl, eine andere zu sein. Und das gefiel mir nicht.
„Wie ich sagte", murmelte Noah leise. „Dass, was zwischen Dad und Mum ist, hat nichts mit uns beiden zu tun." Das hatte Noah am Mittwoch auch gesagt, als wir im Pub über unsere Familiensituation gesprochen hatten. Und kurz danach hatte ich geweint wie eine Fünfjährige, weil ich mich so schuldig gefühlt hatte, nicht nur meine Eltern, sondern auch Noah von mir weggestoßen zu haben.
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Color of your Voice
RomanceFreundlichkeit ist eine Sprache, die taube Menschen hören und stumme Menschen sprechen können. „Timbre of the World" - eine Stiftung, die taube und stumme Menschen unterstützt, hat einen neuen Vorsitzenden: Caiden O'Neill. Für einen Artikel nimmt Am...