20. Der Feuerkelch

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Die Slytherins schritten in die Mitte der Halle,
der Gesang des Mädchens malte kalte Bilder in die Luft und Raunen ging in den Zuschauertribünen um.
Sierra wusste nicht wo wer lief, alles was sie hatte, war der warme Körper Toms neben ihr und seine Stimme.
„Und", Toms Stimme war eine kalte Schneide in der Dunkelheit, sie umgriff ihren Zauberstab, „Jetzt." Das war das Stichwort, sie riss ihr Hand nach oben. Tom tat es ihr gleich.
Weiße Lichtblitze zerrissen die Luft, kämpften sich in die Höhe. Sierra hatte ihren Kopf in den Nacken gelegt, konzentrierte sich auf die weißen Konturen. Ließ sie tanzen, sich drehen, verbiegen, fallen, sterben und schickte neue hoch.
Weißes Feuer in der Finsternis.
Es bedurfte keines Wortes, Sierra führte ihre Magie zu der Toms. Der Gesang des Mädchens endete und eine einzige helle hohe Note hallte wider.
Die zittrigen Arme aus grellem Licht umschlossen sich, banden sich und eine Gestalt ragte über der Gruppe empor. 
Sierra rückte näher an Tom heran, ihr Blick nach oben gerichtet. Die Zuschauer murmelten, doch sie hörte nichts. Die Welt war nur noch die Atemzüge des Slytherins, ihr Zauberstab und die Schlange, die sich aus den Feuerlinien bildete.
Alles war eins, ihre Augen brannten und sie ließen die Schlange ihr Maul öffnen. Sierra fühlte sich wie ein Marionettenführer, auch wenn das Wesen, dass die beiden steuerten siebenmal so groß war.
Die Schlange zischte und Sierra erschrak selbst. Sie warf einen hastigen Blick zu Tom, doch er sah nur zu dem Wesen aus hellem Licht und Finsternis. Dann murmelte er: „Fallen lassen."
Sie riss ihren Kopf wieder hoch, ihr Herz machte einen Sprung und sie lenkte die Illusion tiefer.
Ließ sie fallen.
Die Menge schrie.
Der Körper des Tieres kam nicht auf dem Boden auf, er verwelkte noch in dem Fall zu Rauch und Nebel. Einer der Siebtklässler jagte einen Lichtblitz in die Höhe und bannte damit die Dunkelheit aus der Halle.
Nur die Gruppe Slytherins verbarg sich hinter der schwarzen Wolke, die auf den Boden gesunken war und sie wie ein Nest umgab. Sierra wusste, wie es weitergehen würde, also machte sie einen Schritt nach hinten, gab Tom den Platz den er brauchte.
Sie stellte sich neben Abraxas.
Ihr Blick auf den Schwarzhaarigen in der Mitte gerichtet, welcher seine Hände hob.
Sie hielt die Luft an.
Tom drehte seine Hände, die Handflächen zur Kuppel zeigend und entzündete den Rauch.
Weißes Feuer fraß sich durch den nebligen Ring, verbrannte ihn, bis nur noch Asche zu Boden fiel. Dadurch offenbarten sie sich den Blicken der Halle, doch bevor die Zuschauer agierten, griffen die Slytherins nach ihren Zauberstäben.
Sie scheuchten nun schwarze Lichtblitze über den Boden, ließen sie knistern und zucken auf dem Boden.
Sierra bewegte zwei Finger und fügte die Magie über den Köpfen des grün silbernen Hauses zu ihrem Wappen zusammen.
Die Schüler und Schülerinnen standen auf, klatschten, jubelten und sogar ein paar Hufflepuffs und Ravenclaws machten mit. Das Wappen schimmerte hoch in der Luft, Lächeln lag auf den meisten Mündern und Sierra fühlte sich eine Sekunde lang großartig.

⚜️⚜️⚜️

Durmstrang war eine seltsame Schule.
In Hogwarts hatte Leben in jeder Wand gesteckt, in Durmstrang huschte man über die Gänge so schnell man konnte.
Niemand der Freunde hatte, lief alleine.
Niemand lief nachts herum.
Vielleicht mochte das Gemäuer sie nicht und das war der Grund, warum die Gemälde ihnen die Rücken zukehrten, wann immer sie einen Schüler von Hogwarts sahen, warum der Wind ihnen Mütze und Schal von den Köpfen und Schultern riss, oder warum Sierra sich einbildete Seufzer zu hören, wenn sie die Treppen hinaufstieg.
Die ganze Burg schien gegen sie zu sein, ein Mädchen aus Hufflepuff hatte sich vor wenigen Tagen in einem dunklen Korridor verirrt und erst ihre Schreie hatten ihre Hauskameraden zu ihr geführt. Seitdem war es unausgesprochenes Gesetz nicht alleine herumzustreunen und die allzu dunklen Ecken zu meiden.
Selbst die Schüler aus Durmstrang bedachten die Neulinge mit misstrauischen Blicken, tuschelten hinter vorgehaltener Hand und blieben unter sich. Die Schülerinnen aus Beauxbatons waren dahingegen eine erfreulichere Gesellschaft.
    Sierra machte sich schnell mit einigen von ihnen bekannt, „befreunden" konnte man es nicht nennen, aber sie hatte jemanden in den Kursen, bei denen sie sonst alleine wäre.
Bald schon nahm sie Ciccone mit zu den Gesprächsrunden mit Walburga, Elizabeth, Lorya und Helen.
Diese waren anfangs abgeneigt, aber als die zweite Woche im Durmstrang Institut anbrach, fanden sich die Slytherins mit ihrer Anwesenheit ab und bannten jede Bösartigkeit aus ihren Stimmen.
    Jetzt neigte sich die zweite Woche zu einem Ende und Sierra klappte das Buch zu, sie konnte sich nicht auf die Wörter konzentrieren, jeder Satz rutschte von den Seiten und zurück blieb der Gedanke an das Turnier. Seit ihrer Ankunft war es Gesprächsthema Nummer eins.
Der Feuerkelch stand in der Mitte der Essenshalle und morgens, mittags und abends blieb Sierras Blick an ihm hängen.
  Sie legte das Buch auf den Beistelltisch neben dem Sessel, auf dem sie saß und drehte sich so, dass sie an die Wand blicken konnte. Es hatten unzählbar viele schon ihren Zettel hineingeworfen, sogar Frederick und Eliot hatten sich dem Wahnsinn angeschlossen. Morgen stand die Auslosung bevor und dann würden die Champions ihre Reise in den Tod antreten.
„Das Turnier?", erriet Cicco ihre Gedanken.
Sie war ein Legilimens und Sierra hatte sofort Mauern um ihren Verstand gezogen, als sie das erfahren hatte. Aber sie beschränkte sich darauf, nur die Gedanken über ihren Vater, den Zirkel, ihre Mutter und ihre zweite Natur vor ihrer neugewonnenen Freundin zu verbergen.
„Ja. Es erscheint doch etwas hirnrissig", antwortete sie, ihr Blick noch immer auf die Decke der Bibliothek gerichtet. Die Bibliothek Durmstrangs war nur von der Hogwarts zu unterscheiden, wenn man aus den Fenstern sah oder auf den Boden blickte.
Draußen säumten riesige Tannen die Berghänge und der Boden war ungeschliffenes Holzpakett. Keine Teppiche lagen auf ihm, dafür hatten die Lehrer in der gesamten Burg Wärmezauber gesprochen und die Bibliothek war wie eine Umarmung von Wärme. Zwar war die Luft staubtrocken, da jede Feuchtigkeit die Bücher wie verhungernde Tiere anfallen würde, aber die Kälte war so aus den Räumen gescheucht.    
     „Nicht wirklich", Cicco sprach sanft, so wie sie es immer tat.
Ihr ganzes Wesen war so zart, viel zu zart für die Barschheit in der Welt.
So könnte man denken, bis zu der Sekunde, in der sie sich über jemanden lustig machte.
Cicco wäre eindeutig eine Slytherin, würde sie Hogwarts besuchen.
Sie hatte einen Gryffindor mit der samtensten Stimmlage so lange getriezt, bis er sich verzogen hatte und nie wieder einen Blick zu ihrer Gruppe warf.
Wärme konnte gefälscht werden und gespielte Herzlichkeit eine mit Dornen gespickte Schlinge sein.
Die schwarzhaarige Franzosin hatte diese Schlinge mit einem Lächeln auf den Lippen über Longbottoms Kopf geworfen und mit funkelnden Augen zugezogen.
Dieser Moment hatte Walburga auch Ciccos Freundin werden lassen und Sierra daran erinnert, dass sie die Leute besser beobachten sollte, nicht einfach nur blind hinter herlaufen.
„Drei Ministerien bewachen das Turnier. Es kann eigentlich nicht viel schief gehen", fuhr Cicco fort. „Ich werde mich auch anmelden."
Sierra richtete sich auf.
„Was?"
„Ich werde mich auch anmelden", wiederholte das Mädchen auf dem anderen Sessel. Gerade wollte Sierra den Mund öffnen, ihr davon abraten, sie bitten es nicht zu tun, aber Cicco wirkte entschlossen, nicht im geringsten beeinflussbar und daher fragte Sierra nur: „Bist du dir sicher?"
Die Frage würde nichts verändern und Sierra fand sich schon damit ab.
Doch bevor Cicco „Ja" sagen konnte, hörten sie wie jemand eine Tür aufwarf und dann mit raschen Schritten zu ihnen kam.
Beide drehten sie sich um und sahen Walburga mit Elizabeth auf sie zukommen.
„Ihr werdet es mir nicht glauben", eröffnete Walburga laut genug, dass Schüler oder die Bibliothekarin sich hätten beschweren könnten. Sie setzten sich nicht, sondern blieben vor ihnen stehen.      
      „Finnigan hat seinen Zettel reingeworfen", verkündigte Elizabeth und verschränkte ihre Arme. Cicco warf Sierra einen Blick zu und sie dachte an das Gesicht des Gryffindors.
Die Hexe nickte, da Sierras Gedanken ihr als Erklärung genügten, dann fragte sie: „Und jetzt?" Walburga kräuselte ihre Lippen und Sierra beschlich eine Ahnung.
„Da wir die Löwen ganz sicher nicht Hogwarts Ruf ruinieren lassen", begann Walburga und sie grinste Sierra an, „werden wir zwei Leute finden, bei denen man sicher sein kann, dass sie ausgewählt werden."
Es war klar, wen die Braunhaarige meinte. „Schätzchen, ich bin mir sicher, dass du in diesem Jahr was erleben willst", bezirzte Walburga sie, bevor sie nach ihrem Ellenbogen griff und meinte, „Also hopp, hopp, wir müssen Tom jetzt überreden mitzumachen."
    Damit schleppte die Slytherin Sierra aus der Bibliothek und in Richtung eines der leeren Klassenzimmer, in denen sich der Rest ihres Hauses aufhielt.
Cicco und Elizabeth folgten ihnen, während Sierra sich seltsamerweise fragte, ob sie Walburga den Gefallen nicht tun wollte.
Cicco hatte Recht, drei Ministerien überwachten das Turnier, Dumbledore war anwesend und Sierra hatte immer den Ausweg einfach ihre zweite Seele zu verwenden. Sie erschrak über ihre eigenen Gedanken, aber gleichzeitig begann sie alle Vor und Nachteile des Turniers ab zu wiegen.
Es stand Gleichstand.
Ob das Ministerium wohl gern eine Todesfee im Turnier sah?
Ein Vorteil mehr, Sierra hatte Walburgas Wunsch nachgegeben. 

⚜️

Bevor sie um eine weitere Ecke bogen, fragte Sierra: „Warum meldest du dich eigentlich nicht selbst an Walburga?"
Möglicherweise war es ein unterbewusster letzter Versuch nicht im Turnier mitzumachen, aber sie blickte zu der Braunhaarigen und interessierte sich für die Antwort.
„Erstens einmal möchte ich gar nicht", antwortete sie, sah aber immer noch geradeaus, „außerdem würde ich behaupten, dass du eindeutig ein wenig talentierter bist, in Sachen Magie. Nun ja. Nicht talentierter als alle."
Sie blieben vor einer Tür stehen, Sierra betrachtete die in glänzendes Eisen geschlagene Scharniere und die Klinke mit dem verzwirbelten Muster.
Walburga stieß die Tür auf und schob Sierra in den Raum, den die Slytheringruppe seit einigen Tagen als Rückzugsort verwendete.
In Durmstrang war der Schulalltag nervenaufreibender und die gesamte Anspannung legte sich auf jedermanns Gemüt. Daher verbrachte die Gruppe die Freizeit zusammen und bewegte sich von einem Ort zum anderen wenn möglich nur geschlossen. Cicco und Elizabeth traten hinter ihnen über die Schwelle und schlossen die hölzerne Tür. Sierras Blick suchte den Raum ab, bis sie Tom fand, der sich einen Stuhl am Fenster genommen hatte und Abraxas, der ihm gegenüber mit einer Zeitung auf dem Schoss saß.
   Walburga steuerte die beiden an, ignorierte Frederick und Edward, welche Unsinn auf die Tafeln schmierten und Eliot, der ausgestreckt auf einem der Tische lag und kleine Vögel über seinen Kopf schweben lies. Als Sierra zu Tom trat, sah sie, dass er gar nicht las, sondern seinen Blick dem Wald gewidmet hatte.
„Ich habe eine Bitte", Walburga öffnete ihre Hand und eine Stuhllehne hing in der nächsten Sekunde darin. Die anderen drei tagten es ihr gleich und Sierra ließ sich neben Abraxas nieder.
„Die lautet?"
Der Blondschopf sah nicht ansatzweise so neugierig aus, wie er sich gab. Walburga fuhr trotzdem fort: „An Tom."
Damit wandte dieser sich von dem Fenster ab, an dessen Scheibe sein warmer Atem hängen blieb und er gebat ihr mit einer Handgeste, weiterzureden.
„Du willst dich doch sicher für das Turnier anmelden?", fragte sie ungeniert und Sierra hielt den Atem an.
Was würde er jetzt tun?
Was sagen?
Tom blieb gelassen, er betrachtete Walburga eine Weile, dann überschlug er seine Beine und meinte: „Hat Finnigan also seinen Zettel eingeworfen?"
Er lächelte sie an und ohne in irgendeiner Weise überrascht zu sein, erwiderte Walburga: „Exakt. Und wir können nicht einfach die Idioten aus Gryffindor antreten lassen."
Sierra warf einen Blick zu Cicco, sie saß neben ihr und musterte den Schwarzhaarigen. Die beiden mochten sich nicht wirklich, Tom verschloss wohl seine Gedanken und pflegte ihr gegenüber Misstrauen. Cicco drehte ihren Kopf, zuckte mit dem Mundwinkel in Richtung Sierra und sah wieder zu dem Slytherin.
Bleiche Lichtrahlen fielen auf den Teppich und langten nach den Tischbeinen, streckten sich über Toms Gesicht und spiegelten sich an den silbernen Bilderrahmen an der Wand.
Sierra atmete aus und blickte auf den Wald. Ein Rabe stob auf und der schwarze Fleck hob sich für eine Sekunde wunderbar von dem stählern weißem Himmel ab. Dann verschluckten ihn wieder die mit Schnee bedeckten Kronen.
„Und mit wem willst du, dass ich mich anmelde, Walburga?", spottete Tom, seine Miene unergründlich, aber seine Augen funkelten. Die Braunhaarige richtete sich auf ihrem Stuhl auf, räusperte sich und antwortete: „Mit Sierra."
Toms Blick fiel auf sie, Abraxas neben ihr sah von der Zeitung zu ihr und Sierras Herz schlug ein wenig schneller. Sie sah in des Slytherins Gesicht kein Gefühl, keine Emotion, er musterte sie und dann seufzte er.
„Na gut. Wir wollen ja schließlich nicht, dass Gryffindor unsere Schule blamiert."
Und damit schien die Sache beschlossen.

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Sierra und Tom standen nach dem Abendessen von ihrem Tisch auf, gingen zu dem Feuerkelch und warfen ihre Zettel hinein.
Die Flammen gierten nach mehr, färbten sich blau und die Hitze klebte an Sierras Wangen. Doch alles was sie spürte, waren die Blicke in ihrem Rücken. Als sie sich umdrehte, sah sie auch den von Dumbledore.
Sorgen zerfurchten sein Gesicht und stiegen nun auch in ihr auf. Aber Toms Hand lag auf ihrem Unterarm und er steuerte sie zurück zu den anderen, weg von dem silbern blitzenden Augen und den feindseligen Gesichtern der Gryffindors.
    Sie setzte sich wieder, doch ihre Gedanken wanderten und die Gespräche wurden wabernde Fetzen in weiter Ferne, ohne jede Bedeutung und Sinn.
Es war nur ein Turnier.
Sie würde das überleben.
Oder?

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Einige Stunden später, als der Mond einer Sichel gleich am Himmel hing und silbernes Licht den Boden flutete, lag Sierra in ihrem Bett und lauschte den Atemzügen ihrer Freundinnen. Der Schlaf wollte sie nicht besuchen und sie stand auf.
Die Bodendielen waren eiskalt, doch es kümmerte sie nicht. Sie ging zu dem Tisch in ihrem magisch erweitertem Abteil und schrieb an ihren Vater. Sie tat es, weil sie sich elend fühlte. Weil sie Hilfe brauchte.

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Todesspiele mit einer TodesfeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt