25. Die Spindel

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⚜️⚜️⚜️

Sierra und Tom standen nebeneinander in einem gelben Zelt und warteten darauf, dass jemand hereinkam. Cicco und Prances hatten sich in die andere Ecke gestellt und die Orlowzwillinge schritten auf und ab, währenddessen sie Worte in einer fremden Sprache austauschten, die nur die beiden verstanden.
   Sierras Herz hämmerte, sie überlegte, ob sie Tom erzählen sollte, was sie gestern belauscht hatte. Aber die Information überwacht zu werden war nicht neu. Also hielt sie den Mund und dachte darüber nach, ob der Slytherin an ihrer Seite mit Schlangen reden konnte. Ausschließen konnte man es nicht.
Drei Gestalten traten durch die Tür aus flatterndem Stoff. Dippet, die Schulleiterin von Beauxbaton und Dimitrov.
Sierra erwartete noch eine vierte, Dumbledore, aber er kam nicht.
„Und seid ihr schon aufgeregt?", fragte Dippet in seiner naiven Gutmütigkeit.
Keiner der Champions antwortete und Sierra lächelte ihn nur an. Sie waren keine kleinen Kinder, die einem großen Ausflug bevorstanden. Sie waren sechzehn oder älter und standen einem möglicherweise tödlichem Turnier entgegen. Niemand interessierte sich für Smalltalk.
„Nun gut", Dimitrov räusperte sich und die Stimme einer Raucherlunge erfüllte das Zelt, „jeder von euch hat das Gedicht gelesen. Jedes Team von euch bekommt einen anderen Startpunkt. Dabei gibt es natürlich keinen besseren und keinen schlechteren. Gleich werden eure Schulleiter zu eurem jeweiligen Startpunkt begleiten."
Sierras Blick wanderte zu Dippet.
„Wenn ihr das Horn hört, dürft ihr losgehen. Wie ihr wisst, habt ihr eine Stunde Zeit. Die Zuschauer sehen, wie ihr beginnt und wie ihr endet", er hielt inne, wollte wohl nicht sagen, dass die Auroren die Mitte sahen, „Eine erfolgreiche erste Runde euch allen."
Dann griff er nach den Orlow Zwillingen und verschwand aus dem Zelt. Die junge Hexe, Beauxbatons Schulleiterin mit den kinnkurzen Haaren schritt auf Cicco und Prances zu.
    Tom, Sierra und Dippet traten als letzte aus dem Zelt. Für eine Sekunde blendete die Sonne Sierra, aber dann sah sie die Zuschauertribüne.
Hunderte Schüler und Schülerinnen wechselten Plätze, rutschten durch die Reihen, suchten Freunde, riefen durcheinander, aßen, schlossen Wetten ab.
Sie alle aber bestaunten das einstige Quidditschfeld hinter Sierra. Sie blickte sich um.
Ihr Herz stoppte Blut durch ihre Adern zu pressen. Sie hielten sich eindeutig an das Märchen.
   Ein riesiges verwinkeltes Schloss ragte auf dem einstigen Feld in die Höhe, Türme streckten sich zu den Wolken, Fahnen flatterten im Wind. Einige Mauersegler glitt durch die Luft und sie bildete sich ein, das Bellen eines Hundes zu hören. Das Schloss strahlte eine Schönheit aus, die Sierra ganz in ihren Bann zog.
Und gleichzeitig sah dieses gewaltige Schloss unglaublich fragil aus.
Als ob jede Sekunde etwas die Dächer von den Mauern heben konnte, durch die Fenster brechen und nur noch Ruinen zurücklassen. Dann fiel ihr Blick zu den Ranken, dem waldgrünen Geflecht, das im Schatten der Burg wucherte.
Spitze Dornen blitzten auf.
„Ganz schön beeindruckend, nicht wahr?", fragte der Schulleiter. Die Falten um seine Augen und auf seinen Wangen wirkten, als wären es tiefe Furchen in seinem Gesicht.
„Sehr, Professor. Sollen wir eigentlich sobald wir die Aufgabe beendet haben zu unserem Startpunkt zurückkehren?", sprang Tom sofort ein und führte das Gespräch mit Dippet.
Sierra band sich nicht ein, hörte nur wie Dippet bejahte und gleich weiter redete. Sie musterte die Tribüne zu ihrer Seite und suchte nach bekannten Gesichtern.
Sie glaubte Eliot erkannt zu haben.
Aber nein, es war nur eine Schülerin mit Pagenschnitt aus Beauxbatons.
   Sierra atmete aus und sah wieder nach vorne. Jetzt begriff sie, warum die Burg so tief lag. Das Quidditschfeld befand sich nicht auf derselben Ebene wie die Tribüne. In Wahrheit lag es viel tiefer, wie in einer Kuhle oder Grube. Sierra vermutete, dass man so die hochfliegenden Spieler besser im Blick hatte, aber sicher war sie sich nicht.
Es sah fast so aus, als hätte jemand Durmstrang in einem Tal erbaut, es aber dann doch noch höher haben wollte und dann ein riesiges Stück Boden entfernt hatte. Zurückgeblieben war also nur ein plötzlicher Höhenunterschied und schartiger Stein, ähnlich den von Klippen und der so steil war wie eine Wand aus Felsen.
Ob Quidditschspieler schon dagegen geflogen waren?
Sierras Aufmerksamkeit wandte sich abruptartig dem Weg zu, auf dem sie ging. Dippet führte sie auf einen schottrigen Weg, der unter etlichen Baumkronen lag und sich zwischen Bäumen und Baumrümpfen nach unten bahnte.
Immer tiefer und tiefer.
  Der Wald verschluckte den Lärm der Leute und Sierras Atem hieb sich scharf von der Stille ab. Tom gesellte sich wieder neben sie. Sein Blick glitt über sie, dann auf das Schloss, zu dessem Grund sie immer näher kamen, dann zu den weit entfernten Tribünen. Niemand sprach und Sierras Herz führte sich wie ein Vogel auf, der in einen Käfig gesteckt wurde.
Jeder Schritt auf den bemoosten Kleinsteinen machte ihr klar, dass sie sich wirklich gerade aufmachte in die erste Aufgabe eines Turnieres, das sie eigentlich hasste.
Sie musste ihren Verstand verloren haben. Vielleicht irgendwann, als die Auroren sie vor den Zaubergamot gestellt hatten. Oder vielleicht als Half-face sie zu dem Zug begleitet hatte.
  Ja, Sierra war sich sicher, dass sie nicht mehr alle Sinne beisammen hatte. Schulleiter und beide Schüler traten unter den Häupter des Waldes hervor auf Kopfsteinpflaster, in dessen Rissen Gras spross und das noch älter aussah als das Schloss selbst. Wirkte.
Es wirkte älter.
Nichts davon war echt, erinnerte sich Sierra selbst. Nur Magie, keine Gemäuer von vor Jahrhunderten. Bloß Gebäude um Zauberer und Hexen zu unterhalten, um ihnen Wunderschönes vorzuhalten und dann zu sagen: „Alles falsch! Nichts echt! Golden glänzendes Metall!"
  Sie schüttelte den Kopf, ihre Gedanken sollten sich um andere Dinge drehen. Dann sah sie den Bogen aus verwittertem Stein, der wie vom Himmel fallen gelassen auf dem Hof stand.
Sie entzifferte die Buchstaben auf dem bröckelnden Stein, unter dem wuchernden Geflecht und den Flecken, die die Zeit auf den Bogen gebannt hätte, doch in Wahrheit von Zaubererhand gefälscht war. „Hogwarts", stand dort.
Sierra umgriff ihren Zauberstab.
„Von hier aus werdet ihr starten. Ich wünsche euch viel Glück, bringt Hogwarts Ehre und euch Ruhm. Holt was ihr holen sollt, lauft erst wenn das Horn erklingt und geht, bevor die Stunde um ist. Jeder Raum in diesem Schloss wird euch sagen können, wie viel Zeit ihr noch habt", Dippet lächelte.
„Das Wichtigste ist nicht eure Nerven zu verlieren, dann schafft ihr alles."
  Damit und einem Nicken ging er.
Schlurfende Schritte, die sich nun auf den Weg nach oben machten.
Fast konnte Sierra Dippets rasselnde Atemzüge hören. 

Todesspiele mit einer TodesfeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt