39. Toms Geheimnis

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„Champions! Champions!"
Dumbledores Stimme riss Sierra und Tom aus ihrem stillen Trott, den sie angeschlagen hatten, nachdem sie wieder ihre Orientierung gefunden hatten und nun seit einer Weile schon hielten. „Aufmerksamkeit, ich bitte um eure Aufmerksamkeit. Die beiden Durmstrang Champions sind aus dem Rennen", hallte die Stimme auf den Gängen wieder.
Sierra fragte sich ob es etwas mit den Schreien zu tun hatte, die sie und Tom gehört hatten.
Hoffentlich nicht, dachte sie.
„Außerdem sind schon zwei Stunden vergangen, Wiederholung, zwei Stunden sind vergangen", verkündete Dumbledore.
Sie warf Tom einen Blick zu, nur um zu bemerken, dass seiner schon auf ihr lag. Die beiden wurden langsamer, bis sie stehen blieben und auf weitere Worte lauschten.
„Lassen wir das Turnier fortfahren, möget ihr den Ausgang finden", ertönte die gedämpfte Stimme wieder, von den Wänden wiedergeworfen, bis sie schließlich hinter ein paar Gängen verschwand. Sierra bildete sich ein, sehr, sehr leises Klatschen zu vernehmen, aber vielleicht bildete sie sich das auch ein.
Sie ging weiter, ihre Hände in ihren Manteltaschen vergraben und noch froh, für das spärliche Licht, dass der Irrgarten gefangen genommen hatte und nun weiter und weiter spiegelte.
Sie bogen um eine weitere Ecke, eine von viel zu vielen, da sagte jemand etwas. Sie erkannte die Stimme, drehte sich zu Tom um und hob die Augenbraue.
Aber er sagte nichts.
Sein Mund war geschlossen und doch hörte sie ihn sagen
„Du bist also wirklich in Frankreich aufgewachsen?".
Der Satz lag in einem Windhauch und verschwand sofort, dafür hörte sie nun eine andere Stimme, eine, die ihr noch bekannter war.
Ihre eigene.
„Ja, beziehungsweise habe ich mal ein paar Monate bei den Malfoys gewohnt".
Sie schnappte nach Luft.
Was sie da hörten waren ihre eigenen Gespräche, widergespiegelt von dem Irrgarten und wer weiß wie weit durch die Gänge gewandert.
Sofort durchblitzte der Gedanke sie, wer das alles schon gehört hatte. Ihr Magen drehte sich um.
Sie hatten über ihren Vater geredet.
Tom neben ihr begriff ebenso, er trat an sie heran, doch Sierras Kopf spielte alle möglichen Szenarien ab.
Hatten die Orlowzwillinge es gehört?
Oder waren sie da schon raus geflogen?
Sie wollte sich am liebsten übergeben.
Und was war mit Cicco und Prances?
Sierra wusste, die beiden konnte sie nicht anlügen. Weitere Sätze wisperten, weitere Stücke eines Gesprächs, das niemand hätte erfahren sollen.
Du wurdest privat unterrichtet?"
Sie hörte Toms Stimme wieder und dieses Mal gab es nichts, das ihr mehr Angst machte.
Würde sie wirklich heute noch auffliegen?
Der schwarzhaarige griff sie an ihren Schultern und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
Seine Stimme klang in ihrem Ohr, doch sie hörte wieder nur das gespiegelt Wispern.
„Untergebene deines Vaters?"
Zwei kalte Finger schoben ihr Kinn höher und sie blickte in die dunklen, so gut bekannten Augen.
„Die Gespräche sind an uns geheftet, es sind unsere, Sierra. Niemand anders wird das gehört haben", versprach er ihr.
Sie blinzelte, tastete nach den Satzfetzen, die der Wind trug.
Ja, sie waren an sie geheftet, so wie man Drachen an Schnüre bindet und sie dann in den Himmel steigen ließ, nur dass diese hier ihnen auf der selben Ebene folgten.
Also nickte sie und seine Hände rutschten von ihren Schultern hinab und damit verschwand auch das warme Gefühl in ihrem Magen.
„Lass uns weiter gehen", forderte er sie auf und sie liefen weiter.
Noch ein paar Gänge mehr, noch ein paar Ecken mehr.
Noch ein bisschen mehr, bis ihre Beine versagen oder die Nacht einbrach.

⚜️⚜️⚜️

Die Gänge wurden breiter, vergleichbar mit denen am Anfang. Je weiter man nach innen, zum Herz des Garten gekommen war, desto schmaler waren die Korridore gewesen.
Also wagten die beiden zu glauben, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden.
Sie hatten auch nicht mehr gesprochen, zwischen ihnen herrschte Stille. Sierra hatte zu viel Angst, ihr Gespräch noch einmal hören zu müssen. Möglicherweise konnte ja doch jemand es vernehmen.
Und Tom war in seinen Gedanken versunken, seine Miene verschlossen und nur das Funkeln in seinen Augen verriet, dass er sich immer noch in Habachtstellung befand.
Gerade schlugen sie einen Weg ein, dessen Gang hinter einer Ecke so breit war, die gesamte Slytherintruppe hätte nebeneinander durchlaufen können.
Sierras Spiegelbilder wurden auch normaler, keine von ihnen schnitt Grimassen oder machte sich über sie lustig. Nur ab und zu konnte man die Verachtung in ihren Gesichtern ahnen, was dermaßen grotesk war, dass Sierra jedesmal lachen musste.
Sich selbst die Nase rümpfen zu sehen, ohne es zu tun, war ein reichlich seltsames Ereignis.
Sie schüttelte die Gedanken ab, folgte dem Gang, welcher sich eindrehte und bevor sie sich versahen, standen sie schon wieder in einer Sackgasse.
Sierra seufzte.
„Und es geht zurück", murmelte sie, drehte sich um und Tom folgte ihr. Als sie die in sich selbst verdrehte Sackgasse abliefen und beinahe aus dem Gewirr entkommen waren, sahen sie eine Gestalt und hörten Schritte.
Schwarze lange Haare, ein maßgeschneiderter Mantel und gepflegte Lackschuhe.
Die Gestalt wandte sich um und Sierra blickte in Ciccos Gesicht.
„Sierra!", rief die Hexe und ging ein zwei Schritte zu ihnen. Ein zwei zu viel, denn sobald die Beauxbatonsschülerin in die Sackgasse eingetreten war, schoben sich die Wände hinter ihr zusammen und versperrten somit den Ausgang.
Tom ließ einen abwertenden Kommentar über Cicco ab, etwas wie „wunderbare Leistung" , aber er sagte es leise genug, dass nur Sierra ihn hörte.
Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, dann schritt sie auf ihre Freundin zu.
„Cicco! Wo ist Prances?"
Doch als sie ungefähr die Hälfte der Entfernung hinter sich gebracht hatte, hörte sie ein Knacksen hinter sich.
Dann eines neben ihr, auf beiden Seiten.
Langsam, das schlimmste befürchtend, drehte sie ihren Kopf zu den Spiegeln und sah Risse ihre eigene Gestalt durchziehend.
Es waren dünne, riesig lange Linien, die die Gläser durchrannen. Sie öffnete ihren Mund, doch dann zerbarst das Glas und ein schriller Schrei zerbrach die Stille des Schreckens.
Sierras Silhouette zerbrach in tausend Teile, sie hörte Glassplittern von allen Seiten und Toms Schritte.
Alles lief zu langsam ab, ihre Sinne liefen auf Hochtouren und die Angst schärfte ihren Verstand. Glas regnete hinab und dann klickte etwas in ihr um. „Protego Maxima!"
Ein weißer, schneidender Fluch brach aus ihr heraus, schloss sich über die drei wie ein riesiges transparentes Zelt und zerstörte die fallenden Scherben, bis sie als Glasstaub zu Boden fielen. Weitere kleine Stücke des Spiegels hingen in der Luft, aufgehalten in ihrem Fall.
Sierra sammelte ihren Atem, dann murmelte sie: „Perdo omnia."
Damit schleuderte sie die Scherben von sich, durch die zerbrochene Wände und riss damit einige nieder. Aber als sie aufsah, lag nur noch weißer Staub um sie herum und auf ihnen.
Neben ihnen ragten Gestelle in die Luft, die Spiegel getragen hatten, doch jetzt mehr an Skelette und Ruinen erinnerten. Mindestens drei Reihen Wand hatte sie so vernichtet.
Sierra wurde schwarz vor Augen, silberne Blitze jagten sich in ihrem Sehfeld und für ein paar Sekunden baute die Schwerkraft sich zu vermeintlicher doppelter Stärke auf.
Dann ging der Schwächeanfall vorbei und sie fühlte sich lediglich noch ausgelaugt und müde. Ihr Blick fiel auf Cicco, die Schwarzhaarige rappelte sich gerade auf und klopfte den Staub von ihrer Uniform. „Danke Si", murmelte sie, ein kleines Lächeln auf ihren Lippen.
„Ich hab Prances kurz nach Dumbledores Ansage verloren, seitdem irre ich hier herum."
Sie lachte, doch Sierra konnte das Zähneknirschen sehen und antwortete sogleich: „Immerhin waren wir jetzt laut genug, vielleicht findet sie ja dich."
„Hoffentlich", gab das Mädchen zurück und Schritte erklangen in Sierras Rücken. Sie wusste, dass es Toms waren.
„Hey", Ciccos Blick hatte sich auf etwas anderem festgebannt, etwas, das weit hinter den beiden Slytherins lag.
„Kuckt mal."
Sierra und Tom drehten sich um.
Ungefähr dreißig Meter entfernt stand der Pokal auf einem weißen, marmornen Sockel, um ihn herum, das Chaos, welches Sierra erschaffen hatte.
„Ulala", murmelte Sierra.
Ihr nächster Gedanke rutschte zu Cicco. Sie hatte ihn zuerst gesehen.
Aber- Cicco räusperte sich und beide Köpfe schnappten zu ihr um.
Ein breites Grinsen lag auf ihrem Gesicht. „Holt ihn euch", befahl sie, „los jetzt!"
Sierra zögerte, aber dann nickte sie und lief auf den Pokal zu, Tom neben ihr. Unglauben in ihrem Körper prickelnd.
  Sobald sie drei der Ruinen passiert waren und den urpsrünglichen Weg zum Pokal nahmen, vernahm Sierra wieder ein Knirschen. Ein bekanntes Geräusch.
Sie warf einen Blick über ihre Schulter und beobachtete, wie Spiegel aus dem Boden empor schossen und sie damit von der Welt abschnitten. Jetzt bildeten die Wände einen geschlossenen Kreis um Sierra, Tom und den Pokal.
Im Augenwinkel sah sie, wie Tom nach seinem Zauberstab griff.
Warum? Doch dann sah sie es auch.
Ihr Spiegelbild klopfte wieder von innen an der Scheibe. Dann streckte sie die Hand aus, durch das Glas hindurch.
Ein Grinsen schmückte Sierras Gesicht, zumindest das, ihres Spiegelbilds. Sie selbst wand sich um, stellte mit Entsetzen fest, dass mehr und mehr Doppelgänger aus ihren spiegelnen Käfigen stiegen. Hinter ihr ertönte ein scharfes, klickendes Geräusch. Dann ein Knirschen.
Sierra wirbelte herum, gerade noch rechtzeitig um mit anzusehen, wie sich Spiegelwände zwischen ihnen und dem Pokal aufbauten.
Eine Gestalt, mit demselben Gesicht wie dem ihren, zog eine Fratze und durchbrach dann die Spiegelwand.

Todesspiele mit einer TodesfeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt