1. Die Handlanger des Ministeriums

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Der  Kies knirschte unter Sierras Füßen, als sie die letzten Meter des Gartenweges entlang rannte. Ein Lächeln lag schon auf ihren Lippen und ihr Blick war auf die blütenweiß gestrichene Haustür geheftet. Sie lief durch den in der Luft liegenden Schutzwall und sofort schwand das unangenehme Ziehen in ihrem Magen, welches sie jedes mal besuchte wenn sie die sicheren Wände ihres Zuhauses verließ. Aber dieses eine Mal, ließ sie die Gefahr nicht hinter sich, sondern lief ihr geradewegs in die Arme.
Dem jedoch keinen zweiten Gedanken schenkend, hüpfte sie die Stufen hoch. Die zwei Statuen, welche die Hautür flankierten, beäugten sie wie immer mit finsteren Blicken und nur weil sie aus Stein waren fürchtete sich Sierra nicht. Sie trat mit einem breiten Grinsen ein und öffnete ihren Mund, um in den Raum hineinzurufen.
Aber vor ihr lag eine leere Eingangshalle und Stille gähnte ihr entgegen. Ihre Augenbrauen wanderten in die Höhe und ihr Magen verknotete sich. Normalerweise sollten hier Hauselfen und die wenigen menschlichen Bediensteten umher eilen, ganz versunken in ihre Beschäftigung. Vor allem jetzt, wo ihr Vater doch in den nächsten Tagen einen seiner zwielichtigen Empfänge abhalten würde.
Aber nichts. Nur das blanke Holz blitzte ihr entgegen, weiß, wie alles in dem riesigem Anwesen. Sierras schlechtes Gefühl legte sich schwer auf ihre Schultern und hielt mit verrußten Händen ihre Kehle zu. Sie knöpfte den tiefblauen Mantel auf, mit den Blicken immer noch in der leeren Halle herumschweifend, als hätte sie etwas übersehen und die Normalität würde schon herauskommen, wenn sie nur lang genug suchte. Alles in ihr schrie danach sich umzudrehen die Tür zuzuwerfen und die Beine in die Hand zu nehmen.
Für einen Sekundenbruchteil hielt sie das für eine Möglichkeit, aber dort draußen wäre sie nicht weniger sicher.
Das Anwesen war geschützt, durch so viele und komplizierte Flüche, dass Sierra sich beruhigt fühlen sollte. Sie zog ihren Zauberstab hervor, ein mickriger Schutz, dieses Stück Holz, fühlte sie sich doch in eine Katastrophe laufen. Ihre Gedanken lagen still, das blubbernde Gefühl bevorstehender Gefahr drückte auf das Chaos in ihrem Kopf und sie durchtrennte das Foyer mit schnellen Schritten. Diese fielen wie Steine in die Stille. Sie stapfte die Marmorstufen empor, öffnete eine Tür und sah in den Salon.
Er war das reinste Chaos. Jemand hatte die Schubladen der Tische aufgerissen, den Inhalt auf dem Boden verteilt, die Kronleuchter von der Decke geholt und jener lag nun in seinen Einzelteilen auf dem zerschlagenen Glastisch. Diese Menschen hatten auch nicht vor den Kissen Halt gemacht, man hatte sie aufgeschlitzt und die weißen Daunenfedern achtlos auf dem Boden verteilt. Sierra krallte sich am Türrahmen fest.
Jetzt bekam sie definitiv Angst.
Hier war jemand.
Jemand fremdes.
Ihr Kopf quoll über, die Gedanken donnerten an ihr vorbei und sie starrte immer noch auf das Massaker vor ihr.
Was sollte sie jetzt tun?
Sierra hatte nicht einen blassen Schimmer. In ihrem gesamtem Leben hatte sie sich noch nie so eine Frage stellen müssen, denn noch nie war sie so auf sich alleingestellt gewesen. Sie fragte sich, ob sie jetzt doch das Anwesen verlassen sollte, zu dem Hügel zurückrennen, an dem der Portschlüssel sie ausgespuckt hatte und versuchen irgendwie zum Zirkel zurückzukehren. Aber sie wusste jetzt schon, dass das nicht klappen würde.
Sie konnte weder apparieren noch irgendwie anders ihren Aufenthaltsort wechseln. Aber die Personen hinter all dem hier zu suchen und darauf hoffen sie zu besiegen war eine noch dümmere Idee. Da fasste sie die Hoffnung sich zu verstecken, vielleicht konnte sie sich in ihrem Zimmer verschanzen und beten, dass sie ihre Räume übersahen, schließlich lagen sie so weit entfernt vom Foyer und der Eingangshalle wie nur irgend möglich. Und im Fall der Fälle könnte sie in einen der versteckten Räume der Bibliothek ausweichen. 
Das erschien ihr als ein so genialer Einfall, dass sie die Angst in sich für kurze Zeit verschloss und sich nach rechts wandte. Ihre Zimmer lagen im Ostflügel, ein Stockwerk über der Bibliothek.
Sie schritt langsam, darauf bedacht keinen Laut zu machen, der sie verraten würde, wenn sie das nicht schon längst getan hatte. Ihr eingeschlagener Weg würde am Ballsaal vorbeiführen, welcher vermutlich auch der Ort war, an dem die Eingebrochenen sich aufhielten, da er der größte und neben dem Arbeitszimmer ihres Vaters auch der interessanteste Raum war.
Als ihr das einfiel sog sie scharf die Luft ein, die Angst brach wieder hervor und klammerte sich an ihr fest. Ihr Atem schnellte in die Höhe und sie wollte sich selbst schlagen. Sie forderte ihr Schicksal ja geradezu heraus. Obwohl sie so bedacht und so langsam ging, wie sie konnte, erreichte sie den Ballsaal viel zu schnell für ihren Geschmack.
     Der Saal hatte drei Zugänge, einen vom Foyer aus, das war der elegante und mit rotem Teppich ausgestattete, dann den, den sie benutzte und welcher eigentlich nur von den Dienern verwendet wurde, sowie einen Hintereingang, der in den Garten führte. Sie stand also in einer Seitennische, fernab von dem Licht, welches den Gang erleuchtete und spähte um die Ecke. Leer. Sie stieß die Luft aus und dankte im Geiste Merlin für seine Hilfe.
     Dann schritt sie auf den edlen Korridor und warf einen Blick in den Saal hinein. Er war genauso leer wie alles andere, allerdings hatten die Leute es hier nicht gewagt die langen, roten Samtvorhänge runterzureißen, geschweige denn die Kronleuchter an den Decken. Auch der Parkett war unbeschädigt, ebenso wie die verschnörkelten Schnitzereien in den dunklen Wänden. Seltsamerweise erleichterte der Anblick sie nicht, im Gegenteil, ihr Herz kippte aus seiner Regelmäßigkeit und ihr Magen fühlte sich an, als wäre er mit klebrigem Pech zugegossen. Ihre Liebe für den Saal, mit seinen bis zur Decke ausgedehnten Fenstern, dem Flügel, der jede Melodie in ein Meisterwerk verwandelte und den grandiosen Bemalungen an den Wänden, war verschwunden, zurückblieb das dumpfe Gefühl in eine Falle getappt zu sein. Sie musterte ihn ein zweites und ein drittes Mal, aber sie fand nicht die Ursache für ihr warnendes Gefühl. Nur Kunstwerke blickten ihr entgegen, empört, dass sie sie ohne die Bewunderung besah, die sie sonst immer an den Tag gelegt hatte und sie fühlte sich noch ein bisschen schlechter.
Ihr Vater schätzte die Kunstwerke überhaupt nicht. Septimus Malfoy war der Verantwortliche für den adeligen Anstrich des Landhauses. Ohne ihn, wäre das Anwesen karg und mager geblieben, denn auch die protzigen Details wie in Silber gefasstes Besteck, Statuen und die Marmortreppen, gingen auf seine Kappe. Er hatte freie Hand gehabt und so Sierras Gefängnis in ein herrschaftliches Schlösschen verwandelt. Ein Grund, warum sie ihn mochte.
Nur jetzt jagte das Landhaus ein Grauen in ihre Glieder, das sie nicht verstand. Der Saal starrte sie mit großen leeren Augen an. Er schimmerte hart wie Glas und Sierra traute sich nicht einen Schritt zu gehen. Ihr Unbehagen schoss spiralengleich in die Höhe.
    Gerade wollte sie ihm den Rücken zukehren, in den Ostflügel flüchten und sich endlich in ihren Zimmern verkriechen, da fand sie den Grund für ihre Angst. Hinter ihr stand eine Hexe und richtete ihren Zauberstab auf sie. Sie musste sich im Schatten verborgen haben. Sierras Herz stolperte. Jetzt fügte sich alles zusammen. Machte Sinn.
Sie kannte die Frau.
Eine rötliche Narbe teilte das junge Gesicht in zwei Hälften und ein Schauer rieselte Sierras Wirbelsäule hinunter. Half-face. Die Aurorin, deren Gesicht vor so langer Zeit in einem Kampf, den sie hätte verlieren müssen, gehälftet wurde. Ein Kampf, der sie berühmt gemacht hatte. Das Gesicht dieser Frau schmückte in ganz England Titelseiten und selbst auf die Feuille magique de France hatte sie es geschafft. Die Hexe war eine der besten Aurorinnen des vereinigten Königreiches und somit klärte sich auch wer das Landhaus ihres Vaters gestürmt hatte.        
Die Handlanger des englischen Ministeriums.       
      Sierras Augen hafteten an dem zerspaltetem Gesicht, ihr Verstand arbeitete langsam. Als er sich durch die Wüste an Angst geschliffen hatte, fiel es ihr wie Groschen von den Augen. Die Zeitungen hatten Recht. Es war wie ein Schlag in die Seite, der ihr für zwei Sekunden den Atem nahm und das Blickfeld in schwarze Farbe tunkte. Sie hatten den Standort tatsächlich herausgefunden. Die Überschrift des magischen Blatt Frankreichs stand ihr wieder vor Augen und sie spürte wieder den Schock und den Unglauben, der vor acht Tagen in ihre Knochen gefahren war.

Todesspiele mit einer TodesfeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt