Ohne mich weiter zu beachten, marschierte Dominik mit geschwellter Brust auf Ella zu. Gut zwei Meter entfernt von ihr blieb er stehen und zwang sie allein mit seinem Blick in die Knie. Langsam und so leise wie möglich folgte ich Dominik, immerhin befand sich Ella noch auf meinem Platz. Hatten die drei die ganze Zeit getratscht? Kein Wunder, dass wir nie mit der Arbeit fertig wurden.
Noch bevor ich meinen Platz erreichten konnte, kommandierte Dominik:
„Elina, Ella mitkommen!" Er machte am Absatz kehrt und steuerte auf Daniels Büro zu. Genauso wie Markus Büro, war das von Daniel pechschwarz eingerichtet. Ein riesiger schwerer Schreibtisch dominierte den Raum. Die weißen Wände waren kahl, nur ein einzelnes ziemlich schmuckloses Bild hing an der Wand. Auf dem Bild war ein einsamer, karger Weg durch einen düsteren Wald zu erkennen. Solche Bilder gab es normalerweise in jedem billigen Geschäft. Schon beim letzten Mal hatte mich die Höhe gewundert, auf der es hang. Es war ungefähr auf der Schulterhöhe eines erwachsenen Mannes und wirkte in diesem überdimensionalen Raum völlig fehl am Platz. Ich würde es aber nie wagen, Daniel danach zu fragen oder gar Dominik.
Ich folgte einer ziemlich überrumpelten Ella in Daniels Büro, das bis zum jetzigen Zeitpunkt verlassen gewesen war. Leise schloss ich die Tür hinter mir. Dominik lehnte lässig an Daniels Schreibtisch und herrschte gemeinsam mit ihm über den Raum und uns beide. Da standen wir nun wie zwei Schulmädchen vor dem strengen Direktor.
„Ella, ich möchte wissen, was vorher passiert ist. Überleg dir gut was du sagst", konfrontierte Dominik seine Angestellte und erwartete nichts als die Wahrheit.
Sie zögerte nicht zu antworten: „Elina lästerte über mich, deshalb habe ich sie zu Markus geschickt, weil Daniel nicht da ist."
„Und du denkst, nur weil Daniel nicht da ist, könntest du einfach seinen Platz einnehmen?", fragte Dominik, ohne ihre Antwort irgendwie zu beachten.
„Ich wollte doch gar nicht...", versuchte sich Ella zu erklären, aber Dominik verdrehte nur abschätzig die Augen und brachte sie damit zum Schweigen.
„Hättest du auch nur einen Funken Verstand in deinem hohlen Kopf, dann hättest du bemerkt, dass nicht Elina, sondern ihre beiden gehässigen Sitznachbarinnen dich offenbar nicht ganz grundlos beschimpften. Stattdessen fokussierst du komplimentgeile Furie dich auf falsche Schlangen und bescherst Markus und mir zusätzliche Arbeit. Ich wollte dich von Anfang an nicht in dieser Agentur und will es jetzt noch immer nicht."
Noch nie hatte ich erlebt, dass jemand in so wenigen Sätzen so viele Beleidigungen untergebracht hatte. Mein Chef hielt seinen Vortrag ohne jegliche Emotion und dennoch würde niemand es wagen ihn zu unterbrechen. Ellas Augen glänzten. Sie war den Tränen nahe. Aber wenn Dominik sie nie in der Agentur wollte, warum arbeitet Ella dann hier?
„Dann lass mich einfach gehen", flüsterte Ella nun und kämpfte darum, dass ihre Tränen nicht zu Boden fielen.
Ist Ella also nicht freiwillig hier? Den Knebelvertrag der Firma kannte ich bereits. Ich war selbst darauf reingefallen. Wieso aber zwingt Dominik sie hier zu bleiben, wenn sie doch beide etwas anderes wollen?
„Halt den Mund", befahl Dominik Ella und warf dabei einen Seitenblick auf mich. Ella tat es ihm gleich und ich sah sämtlichen Hass in ihrem Blick. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte ich noch Mitleid mit ihr gehabt.
„Nein, werde ich nicht", schrie Ella plötzlich. „Ich werde nicht länger still sein. Mir reicht es. Ich wollte von Anfang an nicht in diese Agentur. Ich habe BWL studiert und bin jetzt nichts Besseres als eine Sekretärin, deren Hauptbeschäftigung es ist, Kaffee zu kochen. Lass mich verdammt noch einmal gehen. Willst du es wirklich riskieren, dass noch einmal so etwas passiert wie mit ..."
Dominik machte einen riesen Schritt auf Ella zu. Seine Hand schnellte hervor und Ella kassierte eine schallende Ohrfeige, sodass sie augenblicklich zu Boden ging. Völlig von der Situation überfordert starrte ich mit weit aufgerissenen Augen auf eine am Boden weinende Ella hinab, die am ganzen Körper zitterte. Langsam löste ich meinen Blick von diesem Häufchen Elend und sah zuerst Dominiks glänzend graue Schuhspitzen. Mein Blick wanderte über seinen Körper hinauf und blieb bei seinen braunen Augen stehen. Diesen Blick werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Seine Augen waren eiskalt, stechend und voller Wut. Dieser Blick machte sogar dem meines Vaters Konkurrenz. Länger als ein paar Sekunden konnte ich diesem stechenden Blick nicht standhalten. Daher schloss ich meine Augen und ließ den Kopf sinken. Ella lag nach wie vor zu meinen Füßen und zitterte wie Espenlaub.
„Du wurdest noch nie bestraft, oder Elina?", wandte Dominik sich jetzt an mich. Vorsichtig öffnete ich meine Augen wieder und schüttelte langsam den Kopf, den Blick nicht von Ella abwenden könnend.
„Dann gewöhn es dir an mir Antworten auf meine Fragen zu geben, sonst erlebst du bald dein erstes Mal. Verstanden?" Nun hatte Dominik sein nächstes Ventil für seine Wut gefunden. Was meinte Ella eigentlich damit, dass noch einmal so etwas passieren könnte? Hatte es schon mal jemanden gegeben, der nicht gehen durfte? Aber was ist mit dieser Person dann passiert? Hat das mit dem Selbstmord vor ein paar Jahren etwas zu tun? In der Zeitung stand, dass die junge Frau psychische Probleme hatte und mit den Nachwirkungen einer Vergewaltigung nicht zu Recht kam. Die Zeitung nannte als Quelle ihren Abschiedsbrief. Allerdings war ich bei den Informationen aus kleinformatigen Zeitungen immer schon vorsichtig.
„Ob du mich verstanden hast?", schrie mich Dominik plötzlich von der Seite an.
Ein ängstliches Zucken durchfuhr meinen Körper und wie aus der Pistole geschossen, antwortete ich auf Dominiks Frage.
„Verstanden."
„Gut", antwortete Dominik von einer Sekunde auf die nächste völlig entspannt. „Dann geh zurück auf deinen Platz und mach weiter! Ich habe hier noch etwas mit Ella zu klären. Sei bitte so gut und richte deinen Sitznachbarinnen aus, dass sie sich morgen in der Früh bei Markus melden sollen."
Einen letzten Blick auf Ella werfend, nickte ich, öffnete langsam die Tür und blickte in viele erstaunte Augen. So elegant ich in diesen Schuhen und mit schmerzenden Füßen gehen konnte, erreichte ich meinen Platz und ließ mich erleichtert in meinen Sessel fallen. Warum genau sollte ich nun eigentlich bei diesem Gespräch dabei sein? Ich war dort drinnen völlig fehl am Platz. Dieser Mann war mir ein einziges Rätsel.
Ich holte tief Luft und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen überbrachte ich meinen zwei Lieblingskolleginnen die frohe Botschaft. Brüskiert schüttelten sie den Kopf und meinten, es müsse sich um ein Missverständnis handeln. Ich kommentierte es nicht mehr und widmete mich meiner Arbeit.
Ein Blick auf die Uhr meines Computers verriet mir, dass der Arbeitstag fasst überstanden wäre und ein sanftes Lächeln huschte über mein Gesicht. Nachher wollte ich mich noch mit meinem besten Freund treffen. Die Ablenkung würde mir nach so einem Tag sicher gut tun.
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Immer sie!
ChickLitFortsetzung von "Warum ich?" Elina entkam ihrem strengen Vater durch einen neuen Job in der Werbeagentur D&H. Bereits seit ihrem ersten Tag hat sie das Gefühl, der Geist der Vergangenheit spukt durch die ganze Firma. Während sie versucht ihr Leben...