Immer sie! - Teil 11

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Schnell flüchtete ich in die Menge und versuchte zwischen all den anderen Menschen zu verschwinden. Ich begrüßte Miriam und wir plauderten über die Aussicht. Im Augenwinkel verfolgte ich aber das Geschehen im Raum und hielt vorsichtshalber Ausschau nach Dominik und seinen zwei Bluthunden. Am Eingang entdeckte ich Dr. Schneller neben Johann, die sich brüderlich begrüßten. Kannte sich die beiden etwa besser? Was sollte mein Uniprofessor sonst hier machen? Oder hatte Dominik ihn eingeladen? Ich gehe mal davon aus, dass auch er denselben Studiengang belegte wie ich. Oder hatte Johann seinen Sohn einfach ohne Ausbildung zu seinem Nachfolger gemacht? Eigentlich konnte es mir auch egal sein.
Ich hatte ein Talent dafür in der Menge zu verschwinden. Dr. Schneller hat mich in den Vorlesungen nie wahrgenommen und die Prüfungen waren alle schriftlich. Zumindest die offiziellen Prüfungen. Die „mündlichen" Prüfungen hatte er alle in seinem Büro abgenommen. Es war ein offenes Geheimnis, dass man sich seine Noten bei ihm auch durch horizontale Arbeit verdienen konnte.

„Wo starrst du denn die ganze Zeit hin?", fragte mich Miriam schmunzelnd, während sie mich mit ihrem Ellenbogen anstupste. In ihrer Hand hatte sie ein großes Glas mit Beerenbowle, die ungefähr die gleiche Farbe hatte, wie ihr Kleid.

Sofort war meine Aufmerksamkeit bei Miriam und der anderen Frau, deren Namen ich mir nicht gemerkt hatte. Aber wir beschlossen den Abend heute gemeinsam auf einem Tisch zu verbringen und uns es einmal so richtig gut gehen zu lassen, natürlich auf Kosten der Firma. Mit der Zeit trudelten immer mehr Gäste ein und wir wurden gebeten Platz zu nehmen. In der Mitte des Saales saß natürlich die Führungsetage der Firma. Alle Plätze waren besetzt, nur drei waren noch leer. Selbst Ella war schon da und sah heute ausnahmsweise einmal altersentsprechend aus. Ihr sonst so stumpfbraunes Haar war heute zu glänzenden Locken gedreht und ihre Wangen schimmerten in einem zurückhaltenden Rosa. Sie saß bereits am Tisch, deshalb sah ich nur wenig von ihrem Kleid, aber es war ein rosafarbenes Lamékleid, dass sich an ihre Figur schmiegte. Aber wo waren denn unsere drei Nachwuchschefs? Arbeiteten sie noch oder hatten sie den Termin etwa vergessen? Auch Johann näherte sich bereits seinem Platz und blickte immer wieder verwirrt zu den drei leeren Sesseln. Er warf verwirrte Blicke durch den Raum und kramte im selben Moment in seinem Säckel nach seinem Handy. Dr. Schneller kam von hinten auf ihm zu und sie tuschelten einen kurzen Augenblick miteinander. Sekunden später nickten sie sich zu und Dr. Schneller verschwand.

„Was starrst du denn schon wieder so?", fragte Miriam amüsiert und nahm einen Schluck aus ihrem mittlerweile dritten Glas.

„Dr. Schneller und Johann sind befreundet", klärte mich Anja, Miriams Freundin, auf.

„Wie können die beiden denn befreundet sein?", fragte ich in die Runde. „Die beiden sind doch wie Tag und Nacht."

„Ich weiß es nicht", seufzte Anja, „ich weiß nur, dass Dr. Schneller immer wieder seine besten Studenten an Johann weitervermittelt und sie direkt einen Platz in der Führungsetage bekommen. Es waren bis jetzt immer nur Männer, außer ein einziges Mal. Da hat er sein Lieblingsbetthäschen weiter vermittelt und sie hat sich unsere drei Vorgesetzten des Jahres sofort gekrallt."

„Du kannst froh sein, dass sie uns nicht hören können", erinnerte uns Miriam vorsichtig daran, wo wir uns eigentlich befanden.

„Ist das die, die sich umgebracht hat?", fragte ich nun neugierig. Die Gerüchteküche brodelte noch immer, wenn es um sie ging. Niemand wusste so wirklich, was damals passiert war.

„Ich dachte, dass wäre eine Hure gewesen, die sich die drei extra eingestellt hatten", merkte Miriam nun an. „Ich habe gehört, dass sie nie freiwillig hier war und dass das ihre einzige Möglichkeit zur Flucht war."

„Glaubst du diesen Unsinn wirklich?", fragte ich Miriam erstaunt. Ich hatte bis jetzt nie viel auf dem Firmentratsch gegeben, aber das erschien mir doch ein wenig unwahrscheinlich. Dass sie eine Affäre mit Dr. Schneller hatte und deswegen an die Firma weitervermittelt wurde, kann ich mir allerdings schon vorstellen. Vielleicht hatte sie ja wirklich etwas mit unseren drei Lieblingen, aber mehr kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

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