Immer sie! - Teil 1

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Bitte lass sie schnell weitergehen. Bitte lass die Wetterhexe mich nicht sehen. Ihre viel zu hohen Absätze klackerten über den glänzenden Boden. Sobald sie einen Raum betrat, spürte man den eiskalten Schauer, der jedem über den Rücken lief. Ohne aufzusehen, bemerkte ich wie ihr herzloser, gnadenloser Blick über alle Anwesenden im Raum glitt, bis sie zufrieden nickend ihren Weg zum Büro fortsetzte. Sie genoss es so richtig heute die Macht für sich zu haben.

„Sie glaubt auch, sie kann sich alles erlauben, nur weil Daniel heute nicht da ist", flüsterte eine gehässige Stimme leise in mein linkes Ohr. Wobei diese Nachricht nicht für mich bestimmt war, sondern für meine rechte Nachbarin. Ich war froh diesen Job erhalten zu haben, auch wenn ich genau so einem Umfeld eigentlich entfliehen wollte. Aber zumindest konnte ich nach der Arbeit in meine Wohnung flüchten und dort das Leben leben, auf welches ich schon so lange gewartet habe. Die Antwort meiner rechten Sitznachbarin ließ nicht lange auf sich warten: „Wenn sie weiter so übertrieben stolz durch das Büro stöckelt, bricht sie sich hoffentlich beide Beine und wir haben zumindest vor unserer Wetterhexe Ruhe."

In das Gekicher beiderseits von mir konnte ich nur einstimmen. Ich hatte einmal gehört, dass sie nur ein paar Jahre älter sei als ich, aber sie sah bereits aus wie 40. Bereits heute früh kam sie mir entgegen. Sie trug eine beige Schluppenbluse, bis zum Hals geschlossen. Dazu einen braunen Lederrock, der ein wenig zu eng saß und so konnte man die Abdrücke ihres Stringtangas sehen. Ihre Nase zierte eine schwarze Hornbrille, die ihren gnadenlosen Blick allerdings nichts entgegensetzen konnte. Die braunen langen Haare waren zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Sie wirkte wie eine Lehrerin aus einer anderen Zeit. Sie war nicht hässlich, aber irgendwie wirkte sie müde und irgendwie ein wenig zerstört.

„Wer war das?", zischte es mit einer messerscharfen Stimme hinter mir und ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen wer sich hinter mir gerade wichtig machte. Spürte sie eigentlich unsere Abneigung ihr gegenüber?

Ich drehte mich nicht um, da erstens wusste, dass es nicht erwünscht war und zweitens hatte ich nichts damit zu tun. Daher arbeitete ich einfach weiter.

„Ihr denkt wohl, ihr könnt euch heute alles erlauben, nur weil Daniel nicht hier ist. So nicht und nicht mit mir", ging das Gezeter hinter uns weiter. „Ich möchte jetzt wissen, wer das war."

Sie klang wirklich wie eine Lehrerin und ehrlich gesagt kam ich mir in diesem Moment auch vor wie ein kleines Volksschulmädchen. Na gut, nachdem ich mich jetzt angesprochen fühlte, drehte ich mich um und blickte unserer Wetterhexe ins fahle Gesicht. Gerade als ich ansetzen wollte, um etwas zu sagen fiel mir meine linke Sitznachbarin ins Wort.

„Also ich war es nicht", stellte sie mit engelsgleicher Stimme fest. „Aber dein Rock gefällt mir sehr gut. Wo hast du den gekauft?"

„Stimmt, der ist mir heute auch schon aufgefallen", stimmte Viktoria rechts von mir gleich die Schleimerei mit ein.

„Danke für eure Komplimente, aber ich möchte JETZT wissen, wer das war?", schrie unsre allseits beliebte Möchtegernchefin.

„Ich war es auch nicht", merkte Viktoria nun weiter an.

Die Wetterhexe nickte verständnisvoll und fixierte mich mit ihrem Blick.

„Elina, was ist mit dir?", fragte sie mich sofort vorwurfsvoll.

Noch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, fiel mir Lana, links von mir, in den Rücken.

„Ich wollte sie ja nicht verraten, aber Elina war es", beichtete Lana ganz Schuld bewusst.

„Aber...", wollte ich gerade ansetzen, da fiel mir meine Ersatzvorgesetze schon ins Wort.

„Spar dir dein aber. Wenn du es nötig hast so über mich zu sprechen, dann wirst du die Konsequenzen dafür tragen müssen. Daniel ist heute nicht da, somit habe ich das Kommando." Wobei sie das „ich" ganz besonders betonte. Diese Frau war so machtgeil.

„Du kennst die Regeln. Ich erwarte jetzt eine Entschuldigung von dir und anschließend darfst du dich bei Markus im Büro melden."

„Ich war das aber nicht", traute ich mich nun endlich sagen, auch wenn es wahrscheinlich nichts mehr nützen würde. Um bei dieser Hexe gut anzukommen, müsste ich mich wahrscheinlich genauso einschleimen, wie meine beiden ach so netten Sitznachbarinnen.

„Ich habe keine Zeit für deine Lügen. Melde dich bei Markus im Büro und zwar jetzt", zischte diese Schlange, machte auf dem Absatz kehrt, marschierte in ihr Büro und knallte die Tür hinter sich zu.

„Na aber vielen Dank auch", sagte ich zu meinen beiden Kolleginnen und verdrehte gleichzeitig die Augen.

„Selbst Schuld, wenn du so gehässig bist", erwiderte Viktoria mit einem Grinsen im Gesicht.

„Wenn ich gehässig bin, was seid ihr dann mit euren scheinheiligen Komplimenten?", fragte ich die beiden.

„Auf jeden Fall nicht in Schwierigkeiten, so wie du jetzt", melde sich Lana nun.

Da es sowieso sinnlos mit den beiden zu diskutieren, stand ich auf und machte mich auf den Weg zu Markus Büro.

Hinter mir hörte ich die zwei Ziegen noch weiter lästern. „Ihr Rock ist mir zwar aufgefallen, aber sicher nicht positiv", lästerte Viktoria nun weiter über unsere Wetterhexe.

Bis jetzt hatte ich nur Gerüchte davon gehört, was passiert, wenn man in Markus Büro geschickt wurde. Vor ein paar Jahren hatte die Agentur noch ein eigenes Gebäude. Dieses wurde allerdings verkauft und nun war die Agentur in Büros im DC-Tower eingemietet. Der Ausblick war jeden Tag aufs Neue ein absoluter Traum. Das Riesenrad in Wien konnte man auch vom alten Gebäude aus sehen, hatte man mir gesagt, aber nun hatte man den Überblick über den ganzen Prater, sowie halb Wien. Angeblich wechselte die Firma den Standort, weil irgendetwas mit einem Mädchen, dass in Markus Büro war, passiert ist. Ich kannte den Firmentratsch. Mache sagen, sie war seine Freundin. Andere sagen, sie war eine Prostituierte, die sich Dominik, Markus und Daniel nur angestellt hatten, damit sie zwischendurch ihren Spaß haben konnten, ohne dafür verklagt werden zu können. Ich weiß nicht, was davon stimmt, aber irgendetwas wird schon dran sein.

Mit einem komischen Gefühl im Magen ging ich zum Lift. Markus Büro befand sich ein Stockwerk oberhalb meines Arbeitsplatzes. Der Lift war wie immer blitzeblank geputzt und ich konnte die Umrisse meines verschwommenen Spiegelbildes darin sehen. Meine blonden Haare waren zu einem Zopf gebunden und kein Haar hatte sich darauf gelöst. Etwas unsicher betrachtete ich mich selbst, wobei mir etwas einfiel, dass mein Vater immer zu mir gesagt hat: „Schau dich nicht zu lange im Spiegel an. Selbstsüchtige Menschen mag niemand. Leiste lieber etwas. Schönheit kann man sich auch kaufen."

Leistung stand für meinen Vater im Vordergrund. Wer nichts leistete, war nichts wert.

Als sich die Türen öffneten, versuchte ich selbstsicher zu Markus Büro zu gehen. Mein Gesicht spiegelte sich aber in einer der Scheiben wider. Von selbstsicher kann hier nicht die Rede sein. Eher von einem kleinen verängstigten Mädchen.

Vor der Bürotür nahm ich noch einmal einen tiefen Atemzug und klopfte leise und zögerlich an die gläserne Tür. Nach einer kurzen Pause ertönt von drinnen ein herrisches Herein. Langsam drückte ich die Türklinke nach unten und betrat unsicher den großen Raum. Er war ein wenig futuristisch eingerichtet, mit vielen schwarzen Akzenten. Markus saß an seinem Computer hinter seinem Schreibtisch. Er war so wie jeden Tag in schwarz gekleidet mit dunklen Augenringen in seinem Gesicht. Im hinteren Teil des Büros befand sich ein kleiner Besprechungstisch, ebenfalls in schwarz. Ich war bereits in Markus Büro gewesen, um ihm etwas zu bringen, daher war die Einrichtung keine Überraschung für mich. Eine Überraschung war aber, dass Markus nicht alleine im Raum war. Ein Sessel vom Besprechungstisch fehlte, dieser war umgedreht und vor Markus Schreibtisch gestellt worden. Ganz lässig und ohne Sakko saß Dominik darauf und war anscheinend gerade in eine Unterhaltung mit Markus vertieft. Das Hemd von Dominik sah irgendwie komisch aus. Es war zwar weiß, aber mit komischen dunklen Mustern darauf oder darunter. Ich konnte es nicht sagen.

„Was willst du?", lenkte eine tiefe Stimme meine Aufmerksamkeit auf sich, während ich immer noch über Dominiks Hemd nachdachte. Ich brauchte ein paar Sekunden, damit ich wieder wusste, warum ich gekommen war. Ich versuchte nicht einmal eine selbstsichere Stimme zu verwenden, da es sowieso nicht funktionieren würde.

„Ella schickt mich", stammelte ich leise vor mich hin. 

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