Immer sie! - Teil 22

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Mein Wecker schrillte zu einer absolut unchristlichen Stunde neben meinen Ohren. An Heimfahren war gestern nicht mehr zu denken, deshalb schlief ich in meinem alten Kinderzimmer bei meinem Vater. Mit materiellen Dingen wurde ich als Kind immer überhäuft. Mein altes Zimmer ist der beste Beweis dafür. Die Wände waren immer noch mit denselben altrosa Details versehen wie früher. Verschnörkelte rosa Linien zogen sich über die schneeweißen Wände. Mitten im Zimmer stand immer noch mein altes Bett mit den vielen rosanen Zierpölstern, in die ich mich immer verkrochen hatte, wenn mein Vater wieder zu viel trank. Links vom Bett stand ein riesiger weißer Kleiderschrank, dessen von Front von Spiegeln beherrscht wurde. Rechts vom Bett befand sich eine kleine Fensterbank, welche immer mein liebster Platz zum Lesen war. Genug Lesestoff hatte ich immer gehabt. Vor meinem Bett erstreckte sich ein gigantisches Bücherregal über die ganze Wand. Einen Fernseher durfte ich in meinem Zimmer nie haben. Mein Vater wollte alles und vor allem mich immer kontrollieren. Die Bücher, die ich las, wurden alle von ihm kontrolliert. Bei einem Fernseher wäre ihm die Kontrolle wesentlich schwerer gefallen. Deshalb dauerte es auch lange, bis ich mein erstes Handy bekam.

Der Wecker klinselte weiter in meinen Ohren und erinnerte mich daran, dass heute die Agentur wieder auf mich wartete. Leise stand ich auf und schlich mich in mein Bad. Auch wenn ich nur noch selten bei meinem Vater war, waren auch meine Zimmer immer blitzeblank, wenn ich kam. Er musste sich eine Putzkraft zugelegt haben, denn er selbst würde nie alles so sauber halten können. Ich schaffte es vor die Haustür ohne meinen Vater zu wecken und trat den Rückweg nach Wien an. Ich war weit davon entfernt Autofahren zu dürfen. Der gestrige Tag erstreckte sich auch noch lange in die Abendstunden und mein Keiler wurde ordentlich totgetrunken.

Als ich bei meiner Wohnung ankam, war es gerade einmal 6 Uhr in der Früh. Am liebsten hätte ich mich noch einmal in mein Bett gelegt, doch dann würde ich mich heute nicht mehr rühren. Eine heiße Dusche sollte Abhilfe verschaffen und spätestens nach einem ordentlichen Frühstück fühlte ich mich zumindest wieder einigermaßen nüchtern, auch wenn mir immer noch schwindlig war.

Irgendwie schaffte ich es pünktlich in der Agentur zu sein, auch wenn ich die flachen Stiegen zum DC-Tower ziemlich wackelig bewältigte. Die frühlingshaften Temperaturen ließen heute auf sich warten und ein schwerer Nebenschleier hing über Wien. Eilig zog ich meine offene Jacke ein wenig fester um mich und huschte zwischen den ganzen geschäftigen Leuten hindurch. Erleichtert genoss ich die Wärme in den Innenräumen des DC-Towers und ließ mich vom Aufzug in die Höhe tragen. Rasant rauschten die Nummern der Stockwerke an mir vorbei und ich spürte einmal mehr, dass ich gestern zu viel getrunken hatte.

Zu meiner Überraschung verließ Dominik den Schüsseltrieb recht bald. Johann blieb zwar noch eine Weile, doch auch er hatte nur wenig Sitzfleisch mitgebracht und ging kurze Zeit nach dem Essen.

Die Lifttüren öffneten sich und ich spürte wie sich die Magensäure in meiner Speiseröhre sammelte. Angewidert schloss ich meine Augen und tippelte auf meinen hohen Schuhen wenige Schritte aus dem Aufzug heraus. Nachdem ich mehrmals geschluckt hatte, konnte ich meinen Körper wieder einigermaßen kontrollieren und ging zielstrebig auf mein Büro zu. Auf dem Weg dorthin, musste ich an Dominiks überdimensionaler Tür vorbei und hoffte das Beste. Normalerweise war er um so eine Zeit doch noch gar nicht anzutreffen, oder?

Rasch huschte ich an der Tür vorbei und erreichte die trügerische Sicherheit meines Büros. Wenn ich die Tür zusperrte, konnte ich doch sicher noch ein Stündchen schlafen. Wieso bin ich nicht einfach in den Krankenstand gegangen? Doch Dominik hätte sich denken können, warum ich mich krankschreiben ließ. Da mache ich lieber gute Miene zum bösen Spiel. Obwohl es mir die ganze Zeit sauer aufstieß und ich das Gefühl hatte, der ganze Raum würde durch die Luft fliegen, fuhr ich meinen PC hoch und loggte mich in das firmeninterne System ein. Meine rechte Hand lag kraftlos auf der schwarzen Maus, während die linke Hand meinen Kopf stütze. Mein Kopf sackte hinunter und ich betrachtete meine eigene Kleidung. Heute hatte es einfach nicht für mehr gereicht als für eine schwarze Jeans und eine weiße Bluse. Aber Ella saß mir nicht mehr im Genick, daher sollte ich dafür keine Rüge bekommen. Neben mir lag noch der Zettel mit den Aufgaben, die ich heute erledigen wollte, doch mir fehlte jegliche Motivation. Müde massierte ich mit den Fingern meiner linken Hand meine Schläfe und hoffte so etwas mehr Klarheit zu bekommen. Doch meine Augen wurden immer schwerer und schwerer. Nur mit viel Mühe konnte ich sie offen halten, bis ich in einen Dämmerzustand davon driftete.

Ein lautes Krachen riss mich aus meinem Halbschlaf und ich schreckte hoch. Die Tür war gegen die Wand geschlagen und ein wuchsteufelswilder Dominik stand in meinem Büro. Als er bemerkte, dass ich wieder einigermaßen bei mir war, begann zu reden. Doch er schrie nicht die Wände nieder, sondern flüsterte messerscharf:

„In fünf Minuten bist du in meinem Büro und erklärst mir das hier. Komm noch einmal in so einem Zustand hierher und du kannst wieder bei deinem Vater einziehen."

Noch bevor ich wirklich verstanden hatte, was vor sich ging, schlug Dominik die Tür hinter sich zu, sodass der ganze Raum zu wackeln drohte. Nachdem ich heute zum wiederholten Male ein paar Mal geschluckt hatte, begriff ich den Ernst der Situation. Dominik wusste, wo ich gestern war. Ausreden würden mir nichts nützen. Schnell öffnete ich noch den Posteingang meiner Mailadresse und sah, dass mein Chef mir schon vor zwei Stunden mehrere Mails geschrieben hatte. Wie lange hatte ich denn geschlafen? Kein Wunder, dass er so wütend war. Ich hätte schon vor zwei Stunden bei ihm im Büro sein sollen.

Reumütig und auf leisen Sohlen schlich ich durch die Gänge vor Dominiks Türen. Vorsichtig klopfte ich an, doch diese wurden mir sofort geöffnet und Dominik nahm mich in Empfang. Wortlos bedeutete er mir einzutreten und schloss sogleich hinter mir etwas zu fest die Türen. Ich konnte seine Anwesenheit hinter mir fühlen, ohne mich umdrehen zu müssen. Entweder war es seine bloße Anwesenheit oder seine blanke Wut, die mir einen heißkalten Schauer über den Rücken laufen ließen. Immer noch wortlos ging er an mir vorbei und steuerte seinen Schreibtisch an. Ich folgte ihm, doch zögerte in dem schwarzen runden Ledersessel vor seinem mächtigen Schreibtisch Platz zu nehmen. Mein Chef schnappte sich nur mit der rechten Hand eine Mappe vom Schreibtisch und mit der linken Hand ergriff er meinen Oberarm. Ohne Worte zog er mich mit sich in den hinteren Teil seines Büros.
Zwei schmale weiße Türen zierten die Rückwand des mächtigen Büros. Während das Schloss der einen Tür dahinter ein Badezimmer vermuten ließ, blieb mir die zweite Tür zuerst ein Rätsel. Dominiks Griff um meinen Arm hatte sich noch keinen Millimeter gelockert, als er vor eben dieser Tür mit mir stehen blieb. Hektisch schnappte ich nach Luft und zog gleichzeitig meinen Kopf ein. Ich zitterte am ganzen Körper, während mein Chef immer noch leicht hinter mir stand. Dem Klimpern nach zu urteilen, hatte Dominik endlich seinen Schlüssel gefunden und sperrte das silberglänzende Schloss vor uns auf. Rücksichtslos zog er mich hinter sich her in den Raum. Sofort sprang das Licht an und ich war für einen kurzen Moment geblendet. Nach mehrmaligem Blinzeln konnte ich endlich den Raum vor mir aufnehmen. Unbewusst hielt ich die Luft an und sah sämtliche Gerüchte, die es um Dominik gab, ein für alle Mal bestätigt. Im Gegensatz zu seinem Büro wirkte dieser Raum freundlich und einladend. Mitten im Raum stand eine riesige Wohnlandschaft aus schwarzem Leder mit grauen Zierpölstern darauf. Davor stand ein kleiner Tisch aus dunklem Holz. Das Möbelstück, welches mich absolut schockierte, präsentierte sich weiter hinten im Raum. Auf einem kleinen Podest thronte ein Bett, aus demselben Holz wie der kleine Tisch. Schwarze seidenen Laken glänzten schon von weitem. Atemlos starrte ich das Bett an und in meinem Kopf begann es zu rattern. 

Wird sich Dominik jetzt holen, was ich ihm bis heute verweigert hatte? 

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