Aus alter Gewohnheit fuhr ich heute mit dem Aufzug gleich einmal in das falsche Stockwerk. Nach meinem Zwischenstopp betrat ich mein noch ungewohntes Büro und schaltete den Computer ein. Erst dann fiel mir ein, dass ich nicht einmal wusste, was ich jetzt machen sollte. Dominik sollte mir Arbeit zuteilen, aber musste ich jetzt jeden morgen zu ihm ins Büro gehen und nach meinen Aufgaben fragen? Was blieb mir denn anderes übrig? Ein gutes Gefühl hatte ich dabei aber nicht. Dominiks Büro war so herzlos. Es verschlang einen sofort und am Ende wurde man schweißgebadet wieder ausgespuckt. Aber lag das am Büro oder einfach am Dominik?
Er wirkte immer so angespannt. Ich hatte bei ihm dauernd das Gefühl, dass er es nicht aushält, wenn Dinge außerhalb seiner Kontrolle lagen. Mein Vater war genauso. Solche Menschen sind absolut toxisch. Mit einem flauen Gefühl im Magen stand ich also wieder von meinem bequemen Sessel auf und blieb abrupt stehen, als ich mein Spiegelbild in der dunklen Scheibe meines Büros sah. Seit ich bei meinem Vater ausgezogen war, hingen meine Schultern nicht mehr ständig nach unten. Die kleinen Schulterpolster in meinem weißen Blazer verbesserten zumindest augenscheinlich meine Haltung und es ließ sich sogar ein Hauch von Selbstbewusstsein erahnen. Ella hätte schon wieder gemeckert, dass ich denselben Blazer und sogar dieselben Schuhe wie gestern noch einmal trug. In diesem Moment kam es mir zum ersten Mal in den Sinn, dass ich Ella nun eigentlich los war. Nie wieder würde sie mich kritisieren oder von der Seite anfauchen. Langsam schlich sich sogar ein vorsichtiges Lächeln in mein Gesicht. Dieser neue Job zeigte immer mehr positive Seiten. Wenn ich jetzt nicht in Dominiks Büro müsste...
Unsicher stand ich vor den riesen Türen und fühlte, wie ich sofort um 10 Zentimeter schrumpfte. Zögerlich hob ich meine Hand und klopfte an das schwarzlackierte Holz. Ich wartete wieder einmal, bis ich hinein gebeten wurde. Ich wartete und es passierte nichts. Vorsichtig klopfte ich noch einmal. Möglicherweise war das erste Klopfen zu leise gewesen. Wieder wartete ich. Wieder passierte nichts. War Dominik noch gar nicht da? Irritiert wollte ich gerade in mein Büro zurück gehen, als mir einfiel, dass ich ja auch bei Markus nachfragen sollte, falls Dominik mal nichts für mich hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell der Fall sein würde. Ich machte kehrt und verlor in meinen Schuhen beinahe das Gleichgewicht. Gerade so konnte ich mich noch an der Tür zu Dominik Büro abfangen und riss unbeabsichtigt an der silbernen Schnalle. Ich war doch eh schon ein paar Monate hier. Wann würde ich endlich lernen auf diesen hohen Schuhen zu laufen? Ich richtete mich auf und sah mich erst einmal um, ob irgendjemand meine Blamage gerade gesehen hatte. Das wäre ja noch schöner, wenn ich mich hier im neuen Stockwerk gleich einmal zum Affen gemacht hätte. Zum Glück war niemand zu sehen und ich strich meine weiße Hose glatt. In diesem Moment fiel mir auf, dass sich die Tür zu Dominiks Büro einen Spalt geöffnet hatte. Sofort ergriff ich die Schnalle und wollte schon die Tür zuziehen, als mein Blick auf eine auf dem Boden kauernde Gestalt in der Ecke des Büros fiel. Diese Person weinte und was noch viel merkwürdiger war, diese Person war nackt. Gebannt heftete sich mein Blick auf diese armselige Gestalt und ich konnte einfach nicht wegsehen. Wer war das und was machte dieser Person da? Sollte ich zu ihr gehen? Ihr helfen? Durfte ich einfach so Dominiks Büro betreten? Er würde mich doch grün und blau schlagen? Warum war dieser Person nackt und wo war ihre Kleidung? Meine Hand lag immer noch schwer auf der glänzenden Klinke und klammerte sich daran fest, um irgendwie die Fassung zu bewahren. Warum war diese Person nackt? Dass in dieser Agentur einiges schief rannte, war mir bewusst. Bis jetzt war ich sämtlichen Schikanen immer ausgewichen, indem ich mich einfach an die Regeln hielt. Das war einfach für mich, es waren die gleichen Regen, die bei meinem Vater galten. Nur die Nacktheit passte für mich so gar nicht in dieses Bild. Zwang Dominik Frauen mit ihm oder Markus zu schlafen? War das die Strafe, die man bei Markus zu erwarten hatte? Meine Knie zitterten und dennoch machten sich meine Beine selbstständig und trugen mich Widerwillens zu dieser armen Gestalt am Boden. Als die Person das Klackern meiner Absätze hörte, blickte sie auf und ich erkannte jemanden, denn ich gestern noch gerne am Boden gesehen hätte. Viktoria blickte mich mit großen blauen und verweinten Augen an. Auch wenn sie eine gehässige Furie war, das hatte sie nicht verdient. Egal, was Dominik hier mit ihr angestellt hatte. Während ich mich zu ihr auf den Boden kniete, zog ich meinen Blazer aus und bot ihn ihr an. Gierig nahm sie ihn, legte sich ihn um die Schultern und flüsterte ein leises Danke.
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Immer sie!
ChickLitFortsetzung von "Warum ich?" Elina entkam ihrem strengen Vater durch einen neuen Job in der Werbeagentur D&H. Bereits seit ihrem ersten Tag hat sie das Gefühl, der Geist der Vergangenheit spukt durch die ganze Firma. Während sie versucht ihr Leben...