Immer sie! - Teil 19

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„Wer ist das?", fragte mein Vater neugierig neben mir. Ich hatte nicht bemerkt, dass wir beide nun alleine dastanden und mein Vater genügend Zeit hatte mich zu beobachten. Leider konnte er mich lesen wie ein offenes Buch.

„Ein Bekannter", flüsterte ich mehr zu mir selbst als zu irgendjemand anderes.

„Elina", räusperte sich mein Vater und im selben Moment stellten sich sämtliche Härchen an meinem Körper auf. Jetzt, in diesem Moment würde mich mein Vater nicht schelten oder mir gar etwas tun, aber wenn ich ihm nicht die Antwort lieferte, die er haben wollte, würde es heute noch ein Nachspiel für mich haben.

„Das ist mein Chef und sein Vater, der Gründer von D&H", gab ich ihm nun eine hoffentlich zufriedenstellendere Antwort. Sanft legte sich seine Hand an meine Taille und zog mich ein bisschen näher zu sich. Sogar bei der Jagd trug er dasselbe Parfum, dass ihn schon die letzten zwanzig Jahre begleitete. Vorsichtig legte ich meinen Kopf auf seiner Schulter ab und blickte sorgenerfüllt in Dominiks Richtung. Ich war eine erwachsene Frau und kuschelte mich in der Öffentlichkeit an meinen Vater – man würde mich ewig für ein kleines, blondes und naives Mädchen halten.

Mein Vater hatte mir nie eine Frau vorgestellt. Er gab mir immer das Gefühl die einzige Frau in seinem Leben zu sein. Ich wusste, dass er hin und wieder Freundinnen hatte. Es gab Zeiten in meiner Kindheit, da sollte ich immer wieder bei Oma schlafen. Durch die kindliche Unschuld geschützt kam ich erst irgendwann in der Pubertät auf die wahren Gründe dahinter. Ich fragte meinen Vater, ob er mir seine Freundin einmal vorstellen würde. Meine Frage wurde nie beantwortet.

„Möchtest du ihn mir nicht vorstellen?", drängte mein Vater schon in Dominiks und Johanns Richtung. Resigniert zog ich die Schultern hoch und ließ sie mit einem tiefen Seufzer wieder fallen. Dominik hatte mich ohnehin schon entdeckt, es gab also sowieso kein Entkommen.

Meine Gedanken schlugen auf dem Weg quer über den Platz Purzelbäume, während mein Vater und ich von links und rechts beobachtet wurden. Unsicher überprüfte ich meine Kleidung, ob sich irgendwo ein Makel befand oder ob mein Hosentürl offenstand. Ansonsten konnte ich mir nämlich keinen Reim auf das Starren der Jagdkameraden machen. Ein gezwungenes Lächeln im Gesicht kamen wir meinen beiden Vorgesetzten näher. Dominik beobachtete mich schon den ganzen Weg lang mit stechend braunen Adleraugen. Auch Johann machte es meinem Vater nach und folgte dem Blick seines Kindes. Kurz stand ihm die Verwirrung ins Gesicht geschrieben, doch dann breitete sich ein warmes einladendes Lächeln auf seinem vom alter gezeichneten, doch immer noch attraktiven Gesicht aus. Dominik lächelte ebenfalls, doch bedeutete sein Lächeln genau das Gegenteil. Irgendwie kam es mir so vor, als hätte Johann sämtliche bösartigen Eigenschaften dieser Welt in seinem Sohn gesammelt.

Der ältere der beiden fing schon an zu reden, da waren wir noch 10 Meter von ihnen entfernt:

„Elina, Weidmannsheil. Elina, ich wusste nicht, dass Sie auch jagen. Ach, wissen Sie was, wir Jäger sind doch sowieso alle per Du. Komm her, Elina."

„Ihr kennt euch?", warf Magnus mit einem argwöhnischen Ausdruck im Gesicht, den ich von ihm gar nicht kannte, sofort ein.

„Aber natürlich. Wie soll man denn so ein schönes Geschöpf nicht kennen?", antwortete Johann und lachte gleichzeitig.

Als Vater und ich endlich bei der kleinen Gruppe ankamen, reckte Johann mir sofort die Hand entgegen und zog mich ein Stück zu sich.

„Weidmannsheil, Elina", begrüßte er mich noch einmal und legte seine zweite Hand über unsere gereichten Hände, wie bei einem typischen Politikerhandschlag. Doch in diesem Moment hatte ich den Eindruck, als wolle mich Johann vor irgendetwas oder besser gesagt irgendjemanden beschützen. Er hatte wohl unser Gespräch am Freitag genauso wenig vergessen wie ich.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und versuchte die Situation zu elegant wie möglich zu gestalten. Daher übernahm ich gleich einmal das Vorstellen.

„Vater, das ist mein Chef, Johann Berger, der Gründer von D&H und sein Sohn."

Dominiks Blick verfinsterte sich für einen Bruchteil einer Sekunde, bevor sein Gesicht wieder unleserlich wurde.

„Joachim, Weidmannsheil", streckte nun mein Vater seine Hand Johann entgegen, der meine Hand nun ausließ und mich damit Dominik zum Fraß vorwarf. Woher hatte ich am Freitag bloß den Mut so mit Dominik zu reden? Heute würde ich definitiv kein Wort herausbringen.

Sofort ergriff Johann die Hand meines Vaters für einen freundlichen Händedruck und begann mit dem nächsten Redeschwall:

„Elina, mein Kind, erzähl deinem Vater keinen Blödsinn. Chef bin ich nicht mehr. Gott sei Dank. Den ganzen Wahnsinn habe ich vor zwei Jahren meinem Sohn übergeben und kann nun endlich meine Pension genießen. Ich sehe zwar immer noch gerne nach dem Rechten, aber Dominik hat die Agentur und seine Mitarbeiter fest im Griff."

Ohne auf Johanns Worte zu achten, stand ich wie ein kleines Mädchen vorm großen bösen Wolf und betete dafür, dass er mich nicht fressen würde. Aber im Gegensatz zu Rotkäppchen besaß ich ein Gewehr. Bevor ich diesen Gedanken weiterspinnen konnte, reichte mir auch Dominik nun seine Hand und begrüßte mich mit dem obligatorischen Gruß:

„Weidmannsheil, Elina", verheißungsvoll und langsam sagte er meinen Namen. Seine Stimme wirkte in der Nähe des dichten grünen Waldes noch viel dunkler. Mit zitternden Knien erwiderte ich den Gruß und ließ meine Augen für einen winzigen Augenblick über die Lippen streifen, die ich am Freitag geküsst hatte. Die Wärme kroch meinen Körper entlang und ich hoffe nicht zu erröten.

Abrupt löste sich Dominiks Griff und er wandte sich meinem Vater zu:

„Weidmannsheil, Dominik Berger, Elinas wirklicher Chef", stellte er sich vor und warf einen ärgerlichen Seitenblick auf mich.

„Weidmannsheil, freut mich", erwiderte mein Vater kurz angebunden und wandte sich gleich verwirrt an mich:

„Elina, ich dachte dein Chef hieße Daniel."

Bevor ich auch nur verstand in welchen Schlamassel mich Dominik gleich reinreiten würde, antwortete er schon für mich:

„Hat Elina dir denn gar nicht von ihrer Beförderung erzählt?"

„Beförderung?", fragte mein Vater nun wieder an mich gewandt mit einer hochgezogenen Augenbraue, von der ich wusste, dass sie nichts Gutes bedeutete. Das würde heute noch ein langes Gespräch werden...

„Das ist doch etwas Großartiges", ergänze mein Vater. „Wieso hast du mir nichts davon erzählt?"

Ich hatte ganz vergessen, dass wir uns in der Öffentlichkeit befanden und sich mein Vater wieder als der Vater des Jahrhunderts präsentierte. Jahrelanges Abrichten zur höflichen Kommunikation machte ich mir jetzt zu Nutze und blendete den großen bösen Wolf mit den braunen Augen vor mir einfach einmal aus.

„Ich war mit den Gedanken heute nur mehr bei der Jagd, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht."

Die Männer um mich herum stimmten in wohlwollendes Gelächter ein und sie Situation entspannte sich für einen kurzen Moment.

Magnus nutzte die Chance und ergriff das Wort:

„Das hört man gerne, meine Prinzessin." Sein eingedrehter Schnauzer schunkelte bei jedem Wort auf und ab. Der Hut auf seinem Kopf saß dafür bombenfest und ließ ihn noch rundlicher wirken.

„Esst und trinkt, damit ihr für die Triebe gestärkt seid." Magnus wollte sich gerade zum Gehen wenden, damit er sich auch um die anderen Gäste kümmern konnte, doch dann schien ihn ein Gedanken bei uns festzuhalten.

„Elina, Dominik, bevor ich es vergesse. Dass ihr beide euch kennt, erleichtert mir einiges. Seit gestern überlegte ich schon, wenn ich gemeinsam auf einen Riegelbock stellen sollte. Ihr zwei seit ja die Zusammenarbeit gewohnt, dann wird das schon passen."

Ohne unsere Antwort abzuwarten, kämpfte sich Magnus durch die Leute und hatte offensichtlich immer noch Hunger. 

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