„Wir können denselben Schwachsinn nicht schon wieder machen", bestärkte Daniel Markus.
Wir alle sahen Dominik erwartungsvoll an, während seine Gesichtszüge entglitten. Widerspruch war unbekanntes Terrain für ihn. Dominik hatte so viel Spannung und Energie in seinem Körper, dass er aufsprang und im Raum hin und her eilte.
„Ihr müsst aufhören in der Vergangenheit zu leben", spie Dominik Markus und Daniel entgegen, während er kurze Zeit in unsere Richtung sah.
Daniel kam nur ein verächtlicher Schnaufer aus. Markus blieb mucksmäuschenstill.
Genau in diesem Augenblick entbrannte ein Machtkampf zwischen den beiden Männern, deren Vornamen mit demselben Buchstaben begann. Zwei bernsteinfarbene Augen fraßen sich in das Schwarz einer unergründlichen Seele und wurden dennoch nicht verschlungen. Dominik war eindeutig der Alpha in dieser Position und dennoch ließ sich Daniel nicht unterkriegen.
Dominik fiel es zwar merklich schwer, doch er versuchte eine entspannte Körperhaltung einzunehmen. Er ging zwei Schritte zurück, lehnte sich lässig an die Anrichte, winkelte ein Bein ab und verschränkte die Arme vor seiner massiven Brust.
„Willst du etwas sagen?", fragte er süffisant mit hochgezogenen Augenbrauen. Auf seinen Lippen erschien ein arrogantes Lächeln.
Gegen aller Erwartung war in Daniels ganzer Erscheinung kein Funken Feindseligkeit zu finden. Vielleicht war das der Moment, auf den er schon ewig zu warten schien. Eine offene Aussprache zwischen drei langjährigen Freunden. Doch warum musste ich gerade mittendrin sein? Zum aller ersten Mal entdeckte ich ihn Daniels Augen einen Hauch einer Emotion. Er machte sich ernsthaft Sorgen um seine Freunde.
„Lebst du denn nicht mehr in der Vergangenheit?", stellte Daniel die offensichtliche Frage. „Und von ihm da rede ich gar nicht", ergänzte er mit einem Seitenblick auf Markus, der unbeteiligt im Sofa hing und mit den Gedanken Welten entfernt schien.
„Nicht in dieser Vergangenheit", antwortete Dominik. Sein Gesicht war von Wellen des Schmerzes durchzogen.
„Es wird Zeit, dass ihr beide im Hier und Jetzt ankommt", sprach Daniel neben mir.
„Und sie vergessen?", ertönte Markus Stimme voller Selbsthass und Zorn gegen die Welt.
„Niemand hat etwas von vergessen gesagt, aber Tote kommen nicht mehr zurück. Und sicherlich wollte keine, dass ihr beide euer Leben wegschmeißt."
„Du bist genauso daran Schuld, wie wir beide auch", schrie Dominik Daniel an, „wie kannst du da so großspurig reden?"
„Ich bin Schuld, sonst niemand", flüsterte Markus tonlos. „Ich ganz allein habe sie so weit getrieben."
„Und wenn du so weiter machst, dann bist du der nächste, der vom Dach springt", entfuhr es Daniel.
Im Wortgefecht der Dreien wurde ich immer kleiner und kleiner und versuchte meine Anwesenheit so gut es ging zu verstecken. Diese Worte waren nicht für meine Ohren bestimmt und eigentlich wollte ich all die schlimmen Dinge gar nicht wissen. Möglicherweise bin ich deshalb ein schlechter Mensch, doch all die Katastrophen in den Leben anderer Menschen interessieren mich nicht. Mein Leben ist Katastrophe genug. Empörung ist nicht immer Pflicht.
„Wäre ich doch schon längst, wenn ich nicht zu viel Angst vor dem Teufel hätte", antwortete Markus.
Nun entkam Dominik der verächtliche Schnaufer. „Dein Ernst? Daran glaubst du?"
„Wenn ich daran glauben soll, dass mein Mädchen im Himmel ist, dann muss ich auch daran glauben, dass die Gegenseite auf uns wartet."
Schweigen legte sich über die drei Männer. Schweigen legte sich über den ganzen Raum.
„Markus, du brauchst Hilfe", sagte Daniel besorgt. „Aber du bist genauso wenig an ihrem Tod schuld, wie Dominik am Tod seiner Mutter. Ihre beide müsst euch endlich selbst verzeihen."
„Was weißt du schon", schrie Markus.
„Rede nicht über Dinge, von denen du keine Ahnung hast", entgegnete Dominik.
Jetzt reichte es Daniel. Er stand ebenfalls auf und positionierte sich hinter dem Sofa, genau hinter mir. Seine Hände stützte er an der Lehne des schwarzen Sofas ab und war damit genau über mir. Der hungrige Löwe über seiner Beute.
„Wenn ihr zwei schon im Selbstmitleid versinken wollt, gut. Aber was ist dabei anders als das, was wir mit allen anderen Frauen gemacht haben? Wir haben Frauen weit schlimmere Dinge angetan als das, was mit Ava passiert ist."
„Sag ihren Namen nicht", unterbrach Markus sofort.
Daniel würdigte ihn keines Blickes.
„Wir haben Frauen geschlagen und gedemütigt. Dominik, jede einzelne, die sich mehrere Fehler erlaubt hat, war in deinem Büro deine nackte Dienerin. Ich habe gesehen, wie du manche als Hocker für deine Füße verwendet hast. Acht Stunden lang. Nebenher hast du ihnen den Hintern mit dem Rohrstock verdroschen, bis er blutunterlaufen war. Und bei deiner Mutter willst du den Heiligen spielen?"
Dominik antwortete nicht. Daniel wandte sich an Markus. Er bekam als nächstes seine Rechnung serviert.
„Körperlich warst du nie so grausam wie er. Aber du hast sämtliche Mädchen psychisch fertig gemacht. Ich habe manche weinen sehen, nur weil ich deinen Namen in den Mund genommen habe. Du hast dafür gesorgt, dass sich die Mädchen scharenweise in dich verliebt haben und dann waren sie dir hörig. Jede einzelne hatte darauf gehofft, du wärst der strahlende Ritter, der sich aus dieser Hölle befreit und dabei hast du sie nur weiter reingeritten oder soll ich sagen eingeritten?
Bei Ava hattest du einzig und allein das Pech, dass du perverses Schwein dich auch einmal verliebt hattest. Und dieses winzige Detail macht plötzlich den riesigen Unterschied?Wenn ihr beide schon Reue zeigen wollt, dann gefälligst allen Frauen gegenüber, die jemals bei uns gearbeitet haben. Schmeißt dieses beschissene System über den Haufen. Schließen wir diese unnötige Agentur und leben wir endlich unser Leben. Das, was passiert ist, ist schrecklich. Doch niemand kann es rückgängig machen. Kein Mensch, kein Geld, kein Gott und kein Teufel oder was weiß ich, was sich um uns herum noch alles befindet. Lasst sie endlich gehen."
Wir alle drei hingen an Daniels Lippen, obwohl ich sie gar nicht sehen konnte. Er stand nach wie vor über mir und predigte wie Gott, von dem er sich nicht sicher war, ob es ihn gibt. Dann spürte ich den stechenden Blick in meinem Genick:
„Hier ist die erste, bei der ihr es versuchen könnt."
Damit war seine Ansprache fertig, er umrundete die Sitzgruppe und marschierte geradewegs auf die Tür zu. Auf halben Weg dorthin flog plötzlich die Tür auf und eine abgehetzt Ella erschien. Um Luft ringend keuchte sie:
„Sie kommen. Die Polizei kommt. Sie haben irgendwelche Beweise. Sie werden alles durchsuchen."
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Immer sie!
ChickLitFortsetzung von "Warum ich?" Elina entkam ihrem strengen Vater durch einen neuen Job in der Werbeagentur D&H. Bereits seit ihrem ersten Tag hat sie das Gefühl, der Geist der Vergangenheit spukt durch die ganze Firma. Während sie versucht ihr Leben...