Immer sie! - Teil 20

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In mir kämpften die Leidenschaft der Jagd und die Angst mit meinem Chef alleine mitten im Wald zu sein. Zwar hing ein Gewehr an meiner Schulter, doch auch das war keine Lösung.

Nach der Begrüßung wurden wir verschiedenen Anstellern zugewiesen und fuhren im Convoy ins richtige Gebiet. Mein Vater, aber auch Johann sollten nicht weit entfernt von uns ihren Stand für die Jagd erhalten, daher saßen nun wir vier gemeinsam im silberglänzenden Auto meines Vaters. Jedes Mal, wenn ein Ast oder Gestrüpp unser Auto streifte, zog es mich kurz zusammen. Würde das nicht jede Menge Kratzer im Lack geben? Im Auto war es verdächtig still. Alle freuten sich auf die Jagd und bewunderten gleichzeitig den Wald um uns herum. Ich war schon öfters hier in Sparbach und hatte seit dem ersten Mal immer dieses dumpfe Gefühl in der Brust, dass das hier schlicht und ergreifend falsch war. An ganz normalen Tagen waren hier die Wildschweine so zutraulich, dass sie sich Menschen auf zwanzig Meter oder weniger näherten. Und heute wurden sie erschossen. Wildschweine sind Gewinner des Klimawandels und verbreiten sich dementsprechend, deshalb gehören sich bejagt. Ansonsten laufen sie in Städten umher und zerwühlen den Müll der Menschen. Dennoch konnte jedes einzelne Wildschwein hier nichts für die Unfähigkeit der Menschen nicht im Einklang mit der Natur leben zu können.

Meinen Orientierungssinn verlor ich während der Autofahrt und hatte somit keine Ahnung, wo in diesem Gebiet wir uns nun schlussendlich befanden. Magnus Sohn brachte uns zum Riegelbock und erklärte uns, in welche Richtungen wir schießen konnten. Wie immer waren Magnus Jagden top organisiert und genauso gut ausgestattet. Platz hatten wir genug und gute Schussmöglichkeiten.

Nachdem der Autoconvoy außer Sichtweite war, wurde Dominik eben zu Dominik und ließ keine Sekunde ungenutzt verstreichen.

„Was machst du hier?", wollte er sofort von mir wissen und stellte sich mir gleichzeitig in den Weg. Verunsichert japste ich einen kleinen Schritt zurück und machte damit jede Menge unnötige Geräusche. Meine Hände klammerten sich fest an den schwarzen Lauf meines Steyr-Mannlichers und hielten so den klobigen Schalldämpfer als Sicherheitsabstand zwischen uns. Dominiks Gesicht war heute wie auch sonst unleserlich. Die braunen Haare versteckten sich unter dem grünen Hut und lugten nur an einzelnen Stellen frech heraus. Die goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen fügten sich perfekt in die Farben des Waldes ein. Mein Blick schweifte ängstlich an Dominiks Körper herab und dabei stach mir seine Kleidung sofort ins Auge. Nicht, weil es sich um sündhaftteure Blaser-Kleidung handelte, sondern weil sie wie neu aussah.

„Ziehst du mich wieder mit den Augen aus, Prinzessin?", fragte Dominik wieder einmal belustigt und verunsicherte mich noch mehr, als ich sowieso schon war.
„Muss ich dir erst wieder etwas zu trinken geben, bevor du mit mir redest?", grinste Dominik nun und ließ seinen ebenfalls nagelneuen Rucksack von der Schulter gleiten. Er schaffte es aber nicht, ohne dass sich sein Gewehrriemen mit dem Rucksack verhedderte und er ziemlich überfordert vor mir stand. Ein Schmunzeln legte sich auf mein Gesicht.

Mit diesem scheuen Lächeln beobachtete ich die Szenerie und mein Verdacht bestätigte sich immer mehr. Schnell kehrte Dominik zu seiner üblichen Contenance zurück und holte einen Flachmann aus seinem Rucksack hervor und bot ihn mir an.

Kopfschüttelnd ließ ich ihn stehen und wollte endlich auf den Riegelbock klettern. Ansonsten würden die Wildschweine kommen, bevor wir bereit waren. Nachdem Dominik seine Sache wieder einigermaßen geordnet hatte, kam er ebenfalls auf den Riegelbock und wir richteten uns ein. Die Gewehre wurden geladen und der Gehörschutz aufgesetzt. Ich kam nicht umhin seine Waffe zu begutachten. Im Laufe der Jahre hatte mein Vater aus mir einen kleinen Waffennarr gemacht. Blaser R8 Professional Success – es war klar, dass Dominik dieses Gewehr besaß, doch das teuerste Gewehr half nichts, wenn der Schütze unfähig war.

Die Technik hat auch vor der Jagd nicht Halt gemacht. Unser Gehörschutz ist so konzipiert, dass man alle Geräusche um sich herum hören konnte, lediglich bei einem lauten Geräusch, wie bei einem Schuss, macht der Gehörschutz zu und die Ohren waren geschützt.

„Wenn sie kommen, schießt du zuerst", informierte mich Dominik. Meine Konzentration haftete an der von Eichen dominierten Umgebung und ich hielt es nicht für notwendig zu antworten. Ich liebte die Jagd und wusste, dass unnötige Geräusche die Chancen für ein erfolgreiches Weidmannsheil erheblich verringerten.

Der Riegelbock wackelte kurz und noch bevor ich mich umdrehen konnte, stand Dominik dicht hinter mir. Seinen heißen Atem konnte ich in meinem Genick spüren, seine Hutkrempe strich verräterisch an meinem Hut vorbei. Er berührte mich nicht, schloss mich aber dennoch mit seinem Körper ein. Hitze kroch langsam durch meinen Körper. Härchen für Härchen stellte sich an meinem Körper auf.

„Wenn du leise sein möchtest, muss ich eben näher zu dir", sprach Dominik direkt in das Mikrofon meines Gehörschutzes. Daher war sein Flüstern viel zu laut und durchdrang meinen ganzen Körper.

Ein schwarzer Umriss huschte zwischen dem Gebüsch hervor. Zuerst sah ich nur die Bewegung. Dann wurden die schwarzen Schatten mehr. Sie trotteten direkt auf uns zu. Die Treiber waren noch weit weg und die Wildschweine hatten keine Ahnung davon, dass sie bejagt wurden. Es war eine Rotte mit vielleicht zehn Sauen. Vorne die Leitbache, dahinter ein paar Überläufer. Keine Ahnung, wo die Frischlinge waren. Nun durchflutete das Jagdfieber meinen Körper und verschlang alle anderen Emotionen darin. Ich hatte Zeit. Langsam fuhr ich mit dem Gewehr auf und einem schwächeren Überläuferkeiler mit. Er war nicht schnell unterwegs. Es reichte nur wenige Zentimeter vorzuhalten. Im richtigen Moment krümmte ich meinen rechten Zeigefinger. Der Schuss löste sich. Der Wald schwieg für einen winzigen Augenblick. Doch dann passierten so viele Ereignisse im selben Moment, vom dem ich immer wieder fasziniert war. Der Überläuferkeiler lag noch im Feuer. Die anderen Wildschweine mussten sich nicht erst umsehen, um zu wissen, was passiert ist. Sie kannten es bereits. Sie liefen um ihr Leben.
Die Jagd war offiziell eröffnet.

„Weidmannsheil, Prinzessin." Diese Worte umhüllten meine Ohren und erinnerten mich daran, dass ich nicht alleine hier stand.

Gewohnheitsmäßig repetierte ich noch und lud mein Gewehr erneut. Viel Hoffnung hatte ich zwar nicht heute erneut Anlauf zu haben, denn Dominik würde sich sicherlich nicht auf die Jagd konzentrieren.

Mein Gewehr in den Händen, wollte ich mich gerade umdrehen, als ich sah, dass Dominiks Hände sich links und rechts von mir am Riegelbock festhielten und mich so in der Ecke einsperrten.

„Weidmannsdank", erwiderte ich jetzt seine Beglückwünschung und versuchte irgendwie an Ort und Stelle stehen zu bleiben. Nach jedem erfolgreichen Schuss hatte ich das Gefühl mein Herz sprang mir aus der Brust. Die Knie wurden weich und es dauerte ein paar Minuten, bis sich mein Körper wieder normalisiert hatte. Nach meinem ersten Schuss hatte ich mir geschworen, sofort mit der Jagd aufzuhören, sollte ich dieses Gefühl irgendwann nicht mehr haben.

„Bleib hier stehen, du schießt heute für uns beide", flüsterte Dominik nun wieder hinter mir. Vorsichtig wandte ich meinen Kopf um und musste schräg hinauf blicken, immerhin überragte er mich um einen Kopf.

„Warum schießt du nicht selbst?", fragte ich leise. Manche Jäger bezahlten Unsummen, um an so einer Jagd teilnehmen zu dürfen. Wir hatten das Privileg hier alles erlegen zu dürfen und er trat es mit Füßen.

Meine Augen behielten die Umgebung weiterhin im Blick, während ich immer wieder einen Blick auf Dominiks düsteres Gesicht erhaschte.

„Ich bin kein sonderlich guter Jäger", flüsterte Dominik und sah sich die Bäume in der Ferne an. Ich folgte seinem Blick, sah in der Ferne aber nur Bäume. Kurz herrschte die Stille, die Dominik schließlich durchbrach:

„Zumindest was Wild betrifft. Dich jage ich, bis du dich freiwillig ergibst."

Kurz zuckte ich bei seinen Worten zusammen und musste erst einmal schlucken. Was hatte ich erwartet? Wir waren alleine im Wald und er würde keine Chance ungenützt lassen.




Ansteller = Person, die Jägern zu den jeweiligen Plätzen der Jagd bringt und Sicherheitsanweisungen gibt
Riegelbock=ähnlich wie ein Hochstand, erhöhte Plattform um bessere Übersicht und weniger Gefahr bei Schussabgabe zu haben
Steyr-Mannlicher= Waffenhersteller
Blaser= Hersteller für Waffen, jagdliche Kleidung und Zubehör
Rotte= Gruppe
Bache= weibliches Wildschwein
Leitbache= führende Bache der Rotte
Überläufer= junges Wildschwein
Keiler= männliches Wildschwein

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