Kurz bevor ich mich selbst blutig kratzte, löste ich meine Fingernägel aus meiner Haut. Vor lauter Panik durchzuckten mich Blitze und ich rannte verzweifelt in meinem kleinen Büro auf und ab wie eine Verrückte. Ich warf einen hoffnungslosen Blick aus dem Fenster und entdeckte wieder einmal das unverkennbare Kennzeichen Wiens. Eine Gondel befand sich gerade am höchstens des Riesenrades. Die Menschen in der Gondel hatten den Rundumblick und genau den brauchte ich jetzt auch. Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte mich selbst wieder zu beruhigen. Mit jedem Atemzug kam die Logik wieder zurück und ich wog alle meine Möglichkeiten ab.
Abhauen war mein erster Gedanke, doch erstens hatte ich einen Knebelvertrag und andererseits befürchtete ich, dass Dominik dafür sorgen würde, dass ich nie wieder einen Job bekam. Somit war ich in diesem Wahnsinn hier gefangen. Meine zweite Möglichkeit war Dominik zur Rede zu stellen. Warum glaubte er, dass es ihm zustehen würde, eine junge Frau dermaßen zu demütigen? Obwohl ich ja nicht einmal wusste, was er genau mit Viktoria gemacht hat. Besser gesagt, will ich es mir nicht einmal vorstellen. Aber ich war nicht so lebensmüde, dass ich meinen Vorgesetzten tatsächlich zur Rede stellen würde. Vermutlich landete ich dann neben Viktoria, abgesehen davon, dass ich sicherlich wieder einmal kein Wort aus meinem Mund bekommen würde.
Meine dritte Möglichkeit ist, einfach hier im Büro zu bleiben und abzuwarten. Besser gesagt, mich zu verstecken und zu hoffen, dass niemand auf Idee kam, dass der Blazer mir gehört. Mit einem letzten tiefen Atemzug nahm ich mein Schicksal an und betete insgeheim dafür, dass mich niemand mit Viktoria in Verbindung bringen würde. Auch wenn meine Hoffnung sehr gering war...Zurück an meinem Schreibtisch sah ich die vielen Mails, die in der Zwischenzeit reingeflattert waren. Alle waren von Dominik und jede einzelne Mail überschüttete mich mit Arbeit. Hoffentlich ging Dominik nicht davon aus, dass ich alles heute erledigen sollte. Punkt Ein Uhr wollte ich eigentlich von hier verschwinden. Aber das konnte ich nur schaffen, wenn ich ab jetzt Vollgas gab.
Zehn Minuten vor Eins war ich mit dem Großteil der Arbeit fertig und beschloss es für heute gut sein zu lassen. Ich schrieb mir noch einen Notizzettel für Montag und fuhr meinen PC herunter. Jetzt musste ich nur noch die Klapsmühle verlassen, ohne dass ich Dominik begegnete. Der hatte doch bestimmt besseres zu tun als mich die ganze Zeit zu überwachen. Zwar musste ich an seinem Büro vorbei, aber die großen schwarzen Holztüren waren zum Glück blickdicht.
Leise schloss ich die Türen meines Büros und ging wie auf Eierschalen den Gang entlang zum Aufzug. Hastig drückte ich den Knopf und jede Sekunde dauerte Ewigkeiten bis der Lift endlich kam. Er fuhr doch sonst so schnell. Wo war er denn heute so lange? Sicherheitshalber sah ich mich nochmal um. Der Gang wirkte immer noch dunkel und düster. Ich, in meinem blitzblauen Kleid, passte so gar nicht in diese Umgebung und bildete einen Kontrast, der sofort jedem ins Auge fallen würde. Vielleicht sollte ich mich auch schwarz kleiden, damit ich mich hier besser verstecken konnte. Meinen weißen Lieblingsblazer war ich ja jetzt los.
Endlich war der Lift da und ich setzte mich gerade in Bewegung um schnellstmöglich von hier zu verschwinden. Zu meinem Entsetzen hörte ich, wie hinter mir eine Tür geöffnet wurde. Ohne einen Blick zurück zu werfen, stürzte ich mich in den Aufzug und hämmerte auf den Knopf, damit sich die Türen so schnell wie möglich schlossen. Schritte kamen näher und diese elendiglichen Türen schlossen sich einfach nicht. Markus sah etwas verwundert in mein schockstarres Gesicht und schenkte mir ein Lächeln als Abschied.
„Bis heute Abend, Elina."
Noch nie hatte ich diesen Mann lachen gesehen. Mit pochendem Herzen floh ich aus dem DC-Tower und eilte zur U-Bahn. Im meinem Hinterkopf flüsterte eine kleine Stimme, dass ich diesen Ort nur für ein paar Stunden verlassen kann und heute Abend im 57er-Restaurant in der letzten Etage des DC-Towers noch einem großen Fest bewohnen muss. Aber würde es wirklich auffallen, wenn ich nicht gehen würde?
DU LIEST GERADE
Immer sie!
ChickLitFortsetzung von "Warum ich?" Elina entkam ihrem strengen Vater durch einen neuen Job in der Werbeagentur D&H. Bereits seit ihrem ersten Tag hat sie das Gefühl, der Geist der Vergangenheit spukt durch die ganze Firma. Während sie versucht ihr Leben...