Kapitel 8: Die Stimme am anderen Ende der Leitung

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Lange war ich nicht mehr so nervös. David liegt in seinem Bett und schläft. Mit heftigen Herzklopfen warte ich auf den Anruf. Warum haben wir nicht ausgemacht wer wen anruft. Ich nehme das Handy und entsperre es. Ohne zu zögern klicke ich auf seine Nummer. Am anderen Ende beginnt es zu tuten. Nervös beisse ich mir auf die Lippe.
,,Hallo?" eine männliche Stimme erklingt am Ende des Hörers.
,,Ähm ja hi. Hier ist Mina." antworte ich.
,,Hi. Ja hier ist Chris. Ich wollte dich gerade anrufen." begrüßt er mich und ich lege mich aufs Sofa.
,,Was machst du gerade?"frage ich da ich nicht weis was ich sonst fragen sollte.
,,Ich sitze zu Hause und habe davor meine Tasche gepackt. Morgen geht es ja mit der Tour weiter. " erklärt er mir.
,,Ich habe mir ein paar Videos von euch angeschaut. Es war schon cool was ihr da gemacht habt." sofort muss ich an das Video mit dem Ipad denken.
,,Hat es dir gefallen?" fragt er mit einem neugirigen Unterton.
,,Ja." bestätige ich.
,,Wie geht es David?"
,,Gut. Er schläft." murmle ich.
,,Darf ich dich etwas fragen?"
,,Natürlich." bestätige ich seine Frage.
,,Wie kommst du auf die Idee das ich deinen Glauben nicht respektiere?" er hört sich wirklich sehr gekränkt an.
,,Es ist nur so. Jeder hasst Menschen wie mich oder tritt uns skeptisch gegenüber. Linksradikale hassen uns, Muslime hassen uns. Aber von diesen wird man meist positiv überrascht und rechtsradikale hassen uns ja sowieso. Da bleiben nur wenig Menschen übrig. Bevor ich jemand fremdes in mein Leben lasse, muss ich sicher sein das er nichts böses plant. Nach den Anschlägen von Halle hatte die Synagoge und das Gemeindebüro Polizeischutz. Ein halbes Jahr lang. Alle Männer in meinem Umfeld tragen Kippa. Doch in der Öffentlichkeit diese zu tragen, ist lebensgefährlich in Deutschland. 2012 wurde in Berlin ein Rabbiner von 5 halbstarken Muslimen zusammengeschlagen. Vor den Augen seiner Tochter. Aber es gibt auch Menschen die dann auch offen dagegen stellen und im Fall der Fälle eingreifen. Jedoch liegt das jüdische Leben in Deutschland am Boden." berichte ich ihm.
,,Aber du belästigt doch niemanden mit deinem Leben."
,,Viele sehen aber mein Leben als anstrengend. Ich benutze Freitags und Samstag so gut wie keine Elektrizität. Besuche aber Freunde und Familie. Einige finden es respektlos, dass ich als orthodoxe Jüdin keinem fremden Mann die Handschüttle. Aber ich bin nun mal so aufgewachsen und körperliche Berührungen stehen neben meiner Familie wie Brüdern, Schwestern, Eltern und alles was dazu gehört nur meinem Ehemann zu. Das sehen viele als Einschnitt an." versuche ich es für ihn fassbar zu machen.
,,Ähm warte. Du lässt dich von keinem fremden anfassen. Aber als wir...naja du weist schon...du hattest schon mal davor." seine Stimme ist wirklich verängstigt.
,,Nein." antworte ich knapp.
,,Wie nein?" jetzt ist seine Stimme etwas hoch.
,,Ich hatte davor kein Sex. Das ist für einige der Grund mit Anfang 20 zu heiraten und schnell Kinder zu bekommen. Wir sind 5 Kinder und meine Eltern haben 20 Enkelkinder." berichte ich freudig. Eine Zahl auf die man schon stolz sein kann.
,,Oh nein.... oh Gott... ich habe dich entjungfert." flüstert er hektisch und ich kann mir nur zu gut sein entgleistes Gesicht vorstellen.
,,Ähm ist das für Männer kein Privileg?"
,,Gerade überhaupt nicht. Ich bin geschockt. Du hattest noch keinen Freund und bist wie alt?"
,,34 und du? Was hat mein Alter mit der Tatsache zu tun,dass ich noch keine Beziehung hatte?"
,,39. So etwas ist mir noch nie unter gekommen. Ich muss das erst einmal verdauen."
,,Wie hat denn deine Familie reagiert?" frage ich ihn, um das Thema zu wechseln.
,,Am Anfang war es wirklich eine unschöne Sache. Es gab ein wenig stess. Aber mitlerweile unterstützen sie mich. Nur meine Mutter hatte es sich anderes vorgestellt noch mal Oma zu werden." berichtet er.
,,Und dein Vater?" frage ich blauäugig.
,,Mein Vater ist schon verstorben."
Na super. Anstatt ein Fettnäpchen springen wir gleich in die Frieuse.
,,Das tut mir wirklich Leid." flüstere ich und beise mir auf die Lippe.
,,Schon gut. Wie erging es deiner Familie?" Chris wechselt mit der Frage das Thema. Doch höre ich ganz genau seine Traurigkeit.
,,Schwierig. Meine Eltern fanden das ganz und gar nicht lustig. Doch nach gut 4 Wochen hatte sich die Situation beruhigt. Meine Geschwister haben die Sache recht entspannt aufgenommen." seufze ich und fahre mir durch die Haare.
,,Mina, darf ihn mal sehen, ich meine nur mal so kurz. Ich würde ihn auch so gerne mal halten." bittet er. Ich frage mich wie lange er mit dieser Frage schon gewartet hat.
,,Wenn du den Anruf auf Videoanruf umstellst, schleiche ich mich ins Kinderzimmer." schlage ich vor und stehe auf.
Prompt erscheint die Anfrage nach einem Videoanruf. Ich nehme sie an und schleiche ins Kinderzimmer. Das Nachtlicht spendet so viel Licht, dass Chris ihn sehen kann. Es ist das erstmal das ich Chris aus der Ferne sehe. Seine Haare liegen unter einem Cappy versteckt und er hat einen Bart. Doch seine Augen fesseln mich. Groß, braun und voller hunger. Auf leisen Sohlen schleiche ich nun an das Bett heran und stelle die Kamera so ein das er ihn sehen kann.
,,Siehst du ihn?" frage ich ganz leise.
,,Ja." haucht er und nun stehe ich hier mit dem Handy über dem Babybett und ein Mann am Ende der Leitung der staunend seinen Sohn betrachtet. Vielleicht wird ja vieles leichter als gedacht.

Hallo ihr Lieben. Vielen lieben dank für eure Kommentare und Votings. Natürlich habt ihr recht. Nicht jeder Prominente kann zu jeder Sache etwas sagen. Vor allem wenn man nicht unmittelbar davon betroffen ist. Ich stecke nun mal emotional gesehen viel zu tief in dieser Sache mit drin.   Langsam habe ich es satt immer nur Entschuldigen von Seiten der Politik zu hören, wenn es zu Anschlägen kam. Ich möchte keine leeren Versprechungen mehr. Ich möchte endlich Taten sehen.

Wenn Magie Träume wahr werden lässt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt