"Du musstest mich nicht nach Hause bringen, weißt du", sagte Taehyung, als sie sich in der Nähe von Jimins und Yoongis Wohnung, gleich neben dem Campus, befanden.
"Ich weiß. Aber es ist eine schöne Nacht für einen Spaziergang. Ich brauchte irgendwie frische Luft."
Nach einem Moment meinte Tae zögernd: "Ähm, ich muss dich um einen Gefallen bitten."
"Ja? Was ist es?"
"Erinnerst du dich daran, dass ich sagte, dass ich morgen ein paar Bilder in Sams Galerie bringen muss?"
"Sicher."
"Nun, ich brauche irgendwie deine Erlaubnis, um eines von ihnen zu zeigen", sagte Taehyung schüchtern. "Es ist ein Porträt von dir."
Jungkook blieb stehen und bekam eine Gänsehaut, als eine kühle Brise seinen Nacken kitzelte. Er rückte seine Brille zurecht, schob sie weiter auf den Nasenrücken und fragte: "Du hast mich gemalt?"
"Ja. Ist das in Ordnung? Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und ich weiß, dass Sam es lieben würde. Aber wenn du nicht willst, dass ich es zeige, dann verstehe ich das total."
"Natürlich ist es okay. Aber... kann ich es zuerst sehen?"
"Ja klar. Wenn du möchtest."
"Auf jeden Fall."
"Okay. Also, ich werde morgen fast den ganzen Tag in meinem Studio arbeiten. Ich wollte gegen späten Nachmittag zu Sam gehen, wenn für die Öffentlichkeit geschlossen ist. Sonntags schließt sie etwas früher. Ruf mich einfach an, wenn du vorbeikommst."
"Damit du dein Hemd wieder anziehen kannst, bevor ich da bin?", grinste Jungkook.
Taehyung lachte. "Du hast mit meinen Nippeln gespielt. Ich hab kein Problem mehr damit, in deiner Nähe hemdlos zu sein."
„Ja, na ja, stimmt auch wieder. Ich werde, ähm... deine Hose mit in dein Studio bringen, wenn ich vorbeischaue."
"Vielen Dank. Und ich werde diese waschen und sie dir zurückgeben."
„Keine Eile, Mann. Ich habe noch andere Hosen."
Nach ungefähr einer weiteren Minute trat Taehyung gegen einen kleinen Kieselstein und meinte: „Danke, dass du mir von deinem Bruder erzählt hast. Das bedeutet mir sehr viel, dass du das Gefühl hast, mir damit vertrauen zu können. Und ich weiß, wie es ist, Familie zu verlieren. Meine... ähm... meine Familie kam bei einem Autounfall ums Leben, als ich dreizehn war. Meine Mutter, mein Vater, meine kleine Schwester und mein älterer Bruder. Alle. Alle außer mir."
Jungkook blieb wie versteinert stehen, sein Gesicht drückte nichts als Schmerz aus, als er zu Tae aufblickte und ihn mit einer Hand an seinem Arm zum stehenbleiben bewegte. "Tae... es tut mir so leid. Ich wusste das nicht. Ich weiß nicht einmal, was ich sagen soll. Wie ging es dann für dich weiter?"
Sie liefen weiter und als Jungkooks Hand über Taehyungs Arm streichelte, nahm Tae sie und hielt sie fest. "Ich habe bei meiner Nana gelebt, aber sie ist schon ziemlich alt und als sie krank wurde, wurde sie in ein Heim gebracht. Danach war ich alleine. Bis Jeffrey kam."
"Gott, du hast ein unglaubliches Pech."
"Nun, vielleicht ändert sich das ja", grinste Tae traurig. „Ich hatte heute Abend eine schöne Zeit. Deine Freunde kümmern sich sehr um dich. Das kann ich sagen. Danke, dass du mich gebeten hast, mitzukommen."
"Nicht der Rede wert. Ich wollte dich dabei haben."
"Hier wohne ich", sagte Taehyung plötzlich und blieb vor einem alten Backsteingebäude stehen. "Nun, nicht ich, aber Yoongi und Jimin."
"Oh", sagte Jungkook, als Tae seine Hand losließ und einen Schritt Richtung Tür machte.
Jungkook griff instinktiv erneut nach Taes Hand und fuhr mit seiner Fingerspitze über das Wort, welches darauf geschrieben stand - Glück.
"Jungkook... danke...", sagte Taehyung fast inbrünstig. "Ich weiß nicht... ich weiß nicht was das ist..." Er deutete zwischen ihnen hin und her. "Aber was auch immer es ist... ich bin so, so dankbar dafür. Ich bin es nicht gewohnt, dass Leute... nett... zu mir sind."
Jungkook schaute in Taes große Augen und wollte all die Traurigkeit und die Qualen, die er in ihnen erkennen konnte, wegnehmen. Er sah dort einen Menschen, mit so viel Schmerz. Zu sehen, was für eine erstaunliche und schöne Person Taehyung wirklich war, unter all dem Kummer und dem Unglück, machte ihn fast wahnsinnig. "Du verdienst nichts von dieser Scheiße, die dir passiert, Tae", flüsterte er verzweifelt, fast wütend.
"Du auch nicht", antwortete Taehyung.
Beide starrten einen Moment lang schweigend auf Taes Hand, die sanft in Jungkooks gehalten wurde.
"Tae... ich möchte, dass du mich küsst", bat Jungkook leise. "Bitte."
Mit vor Emotionen verzerrtem Gesicht schnappte Taehyung in einem kleinen Atemzug nach Luft und schaute weg, in die Dunkelheit.
"Bitte. Bitte küss mich."
"Kookie ..."
"Ich will es. Ich möchte nicht, dass es ein Zufall ist. Ich möchte nicht, dass es das verdammte Theaterstück ist. Ich möchte, dass es nur du und ich sind", flüsterte Jungkook, trat näher und legte eine Hand auf Taehyungs Gesicht.
"Ich weiß nicht, ob ich das kann", sagte Tae und schloss die Augen.
"Warum?"
„Wenn ich anfange, kann ich möglicherweise nicht aufhören. Ich will es so sehr, Jungkook. Ich will dich so sehr ", gab er zu und zuckte ein wenig bei dem leisen Geräusch zusammen, das Jungkook als Antwort machte. "Und Jeff..."
"... hat dich nicht verdient. Wer auch nur daran denken könnte, dich zu verletzen, hat dich nicht verdient."
"Wirst du mich retten, Jungkook?", fragte Taehyung mit einem traurigen Lächeln.
"Ich werde es versuchen. Bitte lass es mich versuchen."
Tae antwortete nicht. Er konnte nicht. Er schloss nur die Distanz zwischen ihnen und küsste Jungkook, wobei er seine Finger in das weiche, kurze Haar in dessen Nacken legte.
Es begann sanft und fast süß, wurde aber allmählich verzweifelter und intimer, intensiver, und als Tae sich löste, sah er aus, als wäre seine Welt auf den Kopf gestellt und rückwärts gedreht worden.
„Bis morgen, Tae", sagte Jungkook, als Taehyung die Treppe hinaufsteigt und ein paar Mal auf dem Weg zurückblickte, als würde er prüfen, ob es vielleicht nur eine Illusion war, ein Fiebertraum, der aus purer Not und Sehnsucht geboren wurde. Hoffnung.
"Versprochen?"
"Ja. Ich verspreche es", antwortete Jungkook.
"Okay. Gute Nacht, Kookie." Taehyung lächelte und verschwand ins Dunkel, durch die Tür und außer Sicht.
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Shouting out loud ➛ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ
FanfictionJungkook ist Student und schreibt sich im Theater Workshop der Universität ein. Er ahnt nicht, wie anspruchsvoll dieser ist und auf welche Weise es sein Leben verändern wird. Denn hier trifft er auf Taehyung, der ihn nicht nur mit seiner außergewöhn...