Kapitel 9

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~Valerie~

Die kommenden zwei Wochen vergingen wie im Flug, ich hetzte jeden Mittag von der Schule zurück auf das Gut, um nach einem kurzen Mittagessen im Stall zu verschwinden und erst spät am Abend zurückzukommen. Ruben und ich hatten vereinbart, dass er mir jeden zweiten Tag Unterricht geben würde. Da er allerdings wieder in Österreich sich um seine Schützlinge kümmerte und nicht so oft nach Deutschland reisen konnte, machten es Kameras, die an vielen Ecken in der Halle extra dafür angebracht worden waren, sowie ein Walkie- Talkie ähnliches Gerät, das per Kabel in mein Ohr weitergeführt wurde, möglich, den Unterricht online abzuhalten. Um ehrlich zu sein, war es das erste Mal, dass ich so eine Art von Unterricht bekam und hatte in den ersten Minuten immer noch Probleme damit, Rubens Stimme in meinen Ohren zu hören, obwohl ich ihn nirgends sehen konnte. Doch der Österreicher und ich arbeiteten dennoch gut zusammen. Er hatte eine ruhige und besonnene Art und seine Tipps trafen immer genau den Punkt, an dem ich wieder mit Olympio kämpfte. Auch mein Hengst strengte sich unglaublich an, galoppierte immer mit weitausgreifenden Sprüngen und war kaum zu bändigen. Auch die Kraft kam so langsam, aber sicher wieder zu uns zurück. Sowohl mein Fuchs als auch ich nutzten die trainingsfreien Tage und während ich ihn immer im Gelände die steilen Hügel hinaufgaloppieren ließ, um seine Muskeln in der Hinterhand zu stärken, fand man mich spät abends immer noch für ein kurzes, aber intensives Workout in dem hoteleigenen Fitnessraum. Anfangs hatten meine Muskeln am nächsten Morgen entsetzt protestiert, und mich mit einem saftigen Muskelkater gestraft, doch inzwischen spürte ich die Fortschritte und so langsam kam die Freude wieder.

Und so auch am heutigen Mittag- zum Glück hatte meine Mathelehrerin kurzfristig eine Erkältung bekommen, weshalb meine beiden letzten Stunden für den heutigen Tag ausgefallen waren. Ich verließ mit weitausgreifenden Schritten die Lobby und glitt durch die Flügeltüren hinaus ins Freie, wo mich eine beißende Kälte erwartete. Der Wind hatte sich ebenfalls die letzten Tage hartnäckig gehalten und fegte mir nur ungestüm durch meinen schlampig zusammengebundenen Zopf, den ich unter meiner Kapuze zu verstecken versuchte. Mit eingezogenem Genick huschte ich weiter und hielt erst wieder an, als ich das Stalltor erreichte und schnell hineinschlüpfte. Olympios eleganter Kopf streckte sich sofort aus seinem Fenster, als er meine schnellen Schritte auf der Stallgasse hörte und er ließ ein donnerndes Wiehern vernehmen, während er mich unter seiner dicken Stirnlocke neugierig anblickte. Na Mädchen, was machen wir heute Verrücktes? Schien sein Blick zu fragen und ich drückte ihm zur Begrüßung erst einmal einen fetten Schmatzer auf die weiche weiße Nase. „Baby, heute tanzen wir wieder!" raunte ich ihm leise zu und als hätte er meine Worte verstanden, nickte er zweimal mit seinem eleganten Kopf. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen.

Mit ruhigen Tritten federte mein Hengst eine halbe Stunde später durch die hell erleuchte Halle und prustete entspannt. Zufrieden klopfte ich seinen glänzenden Hals- Michi hatte sich inzwischen erbarmt und ihm den langen Pelz abgeschoren- und lenkte ihn sanft, aber bestimmt in die nächste Aufwärmübung. Dieses Mal wählte ich Schlangenlinien durch die Bahn, um ihn auf beiden Händen ausgiebig biegen zu können und baute gleichzeitig noch Übergänge zum Galopp oder zum Schritt ein, um ihn immer wieder auf mich aufmerksam zu machen. Nachdem ich mir sicher war, dass er auf jede Schenkelhilfe, auf jedes auch noch so feine Zupfen am Zügel reagierte, parierte ich ihn kurz zum Schritt durch, um ihm eine kurze Verschnaufspause zu genehmigen und drehte mich leicht im Sattel, um ihm liebevoll auf die Kruppe zu klopfen. „Braver Bursche! Heute bist du sehr aufmerksam!" lobte ich ihn noch zusätzlich mit meiner Stimme, was ihm ein zufriedenes Schnauben entlockte.

Dann nahm ich die Zügel wieder auf und startete mit der versammelnden Arbeit. Als ich ihn zehn Minuten später auf die Hinterhand gesetzt hatte und ihn soweit versammelt hatte, testete ich erst ein paar einzelne fliegende Wechsel an, die er mühelos sprang und versuchte mich dann an einer Pirouette, bei der nicht nur er ins Schnaufen geriet- ich schwitzte trotz der kalten Temperaturen mehr, als mir lieb war. Kurz klopfte ich ihn ab, bevor ich auf die nächste Diagonale abwendete und erneut auf die fliegenden Wechsel zurückkam. Dieses Mal hatte ich es auf die Serienwechsel abgesehen. Konzentriert zog ich meine Augenbrauen zusammen und gab abwechselnd die Hilfe für den Links- oder Rechtswechsel, und zählte leicht überfordert in meinem Kopf den Rhythmus mit. Eins, zwei, drei, zwo, zwo, drei, drei, zwo, drei, vier, zwo, drei.(*) Heilfroh klopfte ich meinem braven Fuchs nach dieser Diagonale den Hals. Um ehrlich zu sein, waren es genau die Wechsel, die mir am meisten Sorgen bereiteten. Olympio sprang jeden einzelnen davon flüssig und ohne mit einer Wimper zu zucken, doch ich hampelte auf ihm herum, als wäre ich in meinem Leben noch nie fliegende Wechsel geritten. 

Ärgerlich stieß ich die Luft aus, die ich während der letzten Diagonale angehalten hatte und wollte gerade wieder die Zügel aufnehmen, als mein Handy in meiner Jackentasche zu vibrieren anfing. Noch während ich es versuchte aus der Jacke zu befreien, hörte es auf zu klingeln und ich las auf dem Bildschirm, dass ich einen Anruf von Charly verpasst hatte. Doch da es nicht sofort wieder anfing zu klingeln, steckte ich es mit dem Gedanken, dass ich sie nach dem Training direkt zurückrufen würde, zurück und wollte gerade wieder die Zügel aufnehmen, als Sylvia die Halle betrat. Also lenkte ich mein Pferd mit einem leichten Lächeln an die Bande und wartete auf Silvia, die mit gefassten Schritten auf mich zuging. Als ich ihr verschlossenes Gesicht bemerkte, verblasste mein Grinsen und ein kalter Schauer jagte meinen Rücken hinunter. „Silvi?" fragte ich alarmiert. „Val, ich habe gerade einen Anruf von Ruben bekommen, ich glaube das mit dem Training wird heute nichts mehr...". Unheilvolle Stille breitete sich zwischen uns aus. Eine Augenbraue hochziehend bedeutete ich ihr, weiterzusprechen. „Val, hör zu, das wussten wir vorher wirklich nicht, versprochen...". Erneut hielt sie inne und ich fragte ungehalten: „Was ist denn jetzt, Silvi, sag es doch einfach!"

„Val, du musst morgen früh ins Internat Rosenstein." 

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Meine lieben Zuckerhasen,

entschuldigt bitte die lange Pause, aber ich bin förmlich ertrunken in Uni- Sachen (Die Dozenten meinen es wirklich viel zu gut mit uns, wenn sie gefühlt 304834035 Referate und Präsentationen verlangen...). Aber jetzt dafür ein neues Kapitel mit einem deftigen Cliffhänger (#sorrynotsorry) ;D

* Ihr habt sicher auch das kleine Sternchen im Text bemerkt und wer meine Werke fleißig liest, kennt dieses Sternchen auch schon. Das nutze ich immer, wenn ich euch noch eine Kleinigkeit dazu erklären möchte, so auch in diesem Fall. Valerie reitet in dieser Szene Serienwechsel und ich weiß nicht, wer von euch schon mal Erfahrungen mit Serienwechseln gemacht hat, deshalb dachte ich euch, ich erkläre euch das mit der Zählweise nochmal.

Eins, zwei, drei  ist wahrscheinlich noch relativ verständlich, dabei handelt es sich einfach um die Galoppsprünge, die zwischen den Wechseln gesprungen werden (wie im Springreiten, wenn man Galoppsprünge zum nächsten Sprung zählt). 

Da aber in höheren Dressuren wird bei Serienwechseln auch immer vorgeschrieben, wie viele gesprungen werden sollen. (z.B. 5 Dreierwechsel auf der Diagonalen zwischen K und M) Und damit man beim zählen nicht durcheinanderkommt, wie viele von den Wechseln man denn schon gesprungen hat, wird auf der eins immer die nächsthöhere Zahl gesagt. Hier nochmal ein Beispiel: 

eins, zwo, drei. ( dann kommt der 1. Wechsel)

zwo, zwo, drei ( dann der 2. Wechsel)

drei, zwo, drei (dann der 3. Wechsel)

vier, zwo, drei (dann der 4. Wechsel)

fünf, zwo, drei (dann kommt der 5. Wechsel) 

(dieses System funktioniert natürlich mit jeder Art von Serienwechsel ;)) 

Ich hoffe, das hat euch weitergeholfen :)


Liebe Grüße 

Eure Honey Summer


EmpressWo Geschichten leben. Entdecke jetzt