Kapitel 2

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Dunkles Wiehern begrüßte Charly und mich am nächsten Morgen, als wir um 7 Uhr die Stallungen öffneten und den großen Heuwagen beluden, um die Pferde mit ihrem Frühstück zu versorgen. Als ich damals Hals über Kopf die EM und damit auch das Internat verlassen hatte und nach Baden- Württemberg auf dieses Gut gezogen war, waren meine Eltern ausgeflippt und hätten mich beinahe zurück zu ihnen nach München gebracht, allerdings hatte sich dann die Gutsbesitzerin Silvia Melzer eingeschaltet und es irgendwie geschafft, meine Eltern zu beruhigen. Schließlich willigten sie doch ein, dass ich auf dem Gut bleiben durfte- ihre Bedingungen waren allerdings klar: Ich sollte auf das nächstgelegene Gymnasium gehen und dort die zwölfte Klasse wiederholen und ich musste an den Wochenenden und in den Ferien auf dem Gestüt helfen. So erhofften sich meine Eltern, dass ich endlich erwachsen wurde und Verantwortung übernahm, wie sie es ausgedrückt hatten. Dass sie selbst seit einem halben Jahr in den USA weilten, um die Firma eventuell auch noch in Amerika auszubauen und ich sie deshalb schon ewig nicht mehr gesehen hatte, war ihnen dabei herzlich egal. Doch so war es schon immer gewesen und es ging nicht nur mir so, auch Charlys Eltern reisten ständig nur über den Globus, immer auf der Jagd nach noch mehr Geld. Ein tiefes Seufzen schlich sich über meine Lippen, während ich die Heugabel mit ein bisschen zu viel Kraft in den Heuballen stieß und die Heuplatte auf den Wagen hievte. „Val? Warum hast du da nochmal zugestimmt?" fragte Charly vorsichtig und rieb sich nebenbei den Schlaf aus den Augen. „Damit ich nicht nach München zurückmuss, sondern hierbleiben darf!" eine weitere Ladung Heu landete auf dem Wagen, der schon in beachtliche Größe gewachsen war.

„Guta Morga! Na was macht des Heu Füttra? Klappt des auch bei euch?" die vertraute Stimme meines Pferdepflegers ließ mich hochblicken und schon entdeckte ich seine breite Gestalt im Stallgang auf uns zukommen. „Michi!" rief Charly erfreut aus und ließ ihre Heugabel fallen, um den Pferdepfleger mit dem starken schwäbischen Dialekt herzlich zu begrüßen. Michi war damals mein Pferdepfleger geworden, als ich auf das Internat gekommen war, und an der Princess- Show teilgenommen hatte. Dort hatte er mich von Etappe zu Etappe gefahren und spätestens nach meinem Sieg im Finale war er von meinen Pferden nicht mehr wegzudenken. Auch nach meinem sehr turbulenten vergangenen Jahr, war er mir nicht von der Seite gewichen und hatte schließlich seinen Posten als Pferdepfleger im Internat gekündigt, um auf Gut Rosenau wieder eine Anstellung zu finden- wieder, nur um an meiner, und an der Seite meines Pferdes, bleiben zu können. Michi bedeutete mir sehr viel und auch wenn ich am Anfang seinen breiten Dialekt und seinen dicken Vollbart mehr als suspekt empfunden hatte, so wusste ich nun, dass unter der harten Schale ein sehr weicher Kern schlummerte.

„Hasch du schon mit ihr gesprochen?" Auch wenn Michi leise sprach, erregte dieser Satz meine Aufmerksamkeit und ich linste unauffällig zu den beiden hinüber, während ich mit der Heugabel weiter im Heu stocherte. „Nein, aber du kennst sie ja..." Charlys Stimme klang beinahe resigniert. „Aber du weißt auch, dass das nicht ewig so weiter gehen kann, oder? Sie bemitleidet sich schon seit Monaten... Ich weiß gar nicht, wie oft ich sie im Sattel gesehen habe..." Michis Stimme wechselte vom Schwäbischen ins Hochdeutsche, was mir verriet, dass ihm seine Worte bitterernst waren. „Ich frag sie direkt nachher, ob..." weiter kam Charly nicht, denn ich schob mit einem Ruck die Heukarre an und fuhr mit Schwung auf die Beiden zu, sodass ihnen nichts anderes übrigblieb, als auseinanderzuspringen. „Hilft mir jetzt jemand, beim Füttern oder muss ich das allein machen?" fragte ich beinahe etwas schnippisch und warf den beiden einen bitterbösen Blick zu. Charly und Michi warfen sich einen letzten bedeutungsschwangeren Blick zu, bevor sich meine beste Freundin ihre Heugabel schnappte und das Heu vom Wagen in die erstbeste Box lud.

„So Val, jetzt hast du genau zwei Möglichkeiten!" Charlys wütende Stimme drang aus meinem Bad, aus dem meine beste Freundin auch wenige Sekunden später stürmte, lediglich mit meinem großen Bademantel mit ulkigen Pünktchen bekleidet und die Haare noch nass von ihrer Dusche, blieb sie vor meinem Bett stehen, in dem ich es mir gerade gemütlich gemacht hatte. Ich blinzelte nur ein paar Mal verwirrt, während ihre Augen zornig blitzten. „Ich hab' dir jetzt lange genug dabei zugesehen, wie du dich bemitleidest! Es ist immer das gleiche mit dir! Auch letztes Jahr, als du aus der Show geschmissen wurdest, hab' ich dir so dolle in den Hintern treten müssen, dass du nicht dein gesamtes Leben davonschmeißt! Und jetzt muss ich das schon wieder machen!" schimpfte sie und deutete anklagend auf meine schlabberige Jogginghose, die ich nach der Fütterung angezogen hatte und mit der ich mich auf mein Bett geschmissen hatte, um Serien zu schauen und Chips in mich reinzuschaufeln.

„Was ist denn dein Problem? Mir geht es doch gut!" zickte ich zurück und ignorierte den scharfen Stich in den Seiten, als ich meine beste Freundin anlog. „Dir geht es NICHT gut, du weigerst dich nur, dir das einzugestehen!" fauchte sie. Nun auch ärgerlich werdend, richtete ich mich in eine sitzende Position auf und ging in die Offensive. „Ach ja, ich hab' mein Leben also nicht im Griff?! Zumindest gehe ich nicht mehr in dieselbe Klasse wie mein Ex und schmachte ihn unauffällig an!" schrie ich zurück und wusste bereits eine Sekunde später, dass ich übertrieben hatte. Gerade wollte ich meinen Mund öffnen, um mich bei meiner besten Freundin zu entschuldigen, als sie einen großen Schritt auf mich zukam und sich zu mir herunterbeugte. In ihrem Gesicht, dass nun nur noch Zentimeter von meinem entfernt war, leuchteten ihre sonst hellbraunen Augen in einem zornerfüllten schwarz. „So meine liebe Valerie, nachdem du ja von deiner gescheiterten Beziehung feige davongerannt bist, wie du es eigentlich immer machst, werde ich das einfach ignorieren, aber nachdem du dein GESAMTES Leben gerade nicht im Griff hast und einfach alles wegschmeißen willst, werde ich dir so in den Hintern treten! Ich werde nicht zulassen, dass du das alles wegschmeißt! Und dann kümmere ich mich um Logan, mach dir da mal keine Sorgen!" ruckartig richtete sie sich wieder auf und verließ mit kerzengeradem Rücken mein Zimmer. „Der Bademantel..." brachte ich noch heraus, bevor meine Tür mit einem lauten Rumsen ins Schloss fiel.

Ich hielt es nicht einmal eine Stunde ohne sie aus. Mein schlechtes Gewissen nagte unaufhörlich an mir und brachte mich schließlich dazu, meine Beine aus meinem kuscheligen Bett zu schwingen und mich auf die Suche nach ihr zu machen. Ich streifte durch das gesamte Gebäude, in dessen Dachgeschoss ich ein kleines Zimmer bekommen hatte, und fand Charly schließlich bei Michi sitzend einen schwarzen Kaffee trinkend. Er hatte seine Tür nur ein paar Meter von mir entfernt und da er in seiner kleinen Wohnung auch eine gemütliche Küche mit Eckbank besaß, hatten wir schon öfters zusammen gegessen. Doch heute blickte mich mein Pferdepfleger nur anklagend an. „Wie konntesch du ihr des nur antun? Im Bademantel. Mit PÜNKTCHEN!" Mit Nachdruck deutete er auf den zugegebenermaßen ziemlich in die Jahre gekommenen Mantel, den Charly immer noch trug- inzwischen hatte sie es aber geschafft, sich von Michi dicke Wintersocken zu schnappen und sich eine dicke Wolldecke um die Schultern zu legen. Sie selbst ignorierte mich immer noch und schlürfte stattdessen an ihrem Kaffee. „Also ich hab' sie nicht rausgeschmissen!" quietschte ich erst entrüstet, erinnerte mich dann aber an mein schlechtes Gewissen, dass mich eigentlich zu ihr geführt hatte.

Deshalb setzte ich mich auch reuevoll neben sie und murmelte eine leise Entschuldigung. Meine beste Freundin drehte ihr feines Gesicht zu mir und musterte mich lediglich abschätzig. „Weißt du was, Val, manchmal reicht eine Entschuldigung einfach nicht aus!" schnaubte sie und rollte entnervt mit den Augen. Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Michi mir vorsichtig eine seiner mächtigen Pranken auf die Schulter legte. „Manchmal ist auch einfach mehr nötig, als eine reine Entschuldigung..." flüsterte er und blickte mich mit seinen schokoladenfarbenen Augen treuherzig an. „Aber was kann ich denn dann machen, damit sie nicht mehr sauer ist?!" inzwischen kam ich mir vor wie im falschen Film. Charly und ich hatten schon sehr viele Auseinandersetzungen gehabt, aber keine hatte länger gedauert, wie die Entschuldigung eines anderen. „Du könntest mir vielleicht versprechen, mich morgen zu begleiten..." schaltete sich Charly auch prompt ein und musterte mich mit anklagendem Blick. Völlig überrumpelt nickte ich und antwortete: „Na klar, das ist doch selbstverständlich! Wohin geht es denn morgen?" Sofort breitete sich ein breites Grinsen auf dem Gesicht meiner besten Freundin aus und sie stieß ein glückliches Quietschen aus. Auch Michi grinste verschmitzt und hielt meiner der Blonden zu meiner rechten die geöffnete Hand hin, die sie auch prompt in astreiner High-five- Manier abklatschte. „Was?" fragte ich und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen zwischen den beiden hin und her. „Ihr seid gar nicht sauer?" fragte ich vorsichtig und erntete ein hysterisches Lachen seitens meiner Freunde. „Nein, natürlich nicht, aber du gleich, wenn du herausfindesch, was Charly mit dir vorhat..." japste Michi und hielt sich lachend den Bauch.

„Charly?!" 

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